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  • · Fachbeitrag · Mustersatzungen (Teil 2)

    Die steuerliche Mustersatzung: Keine Pflicht zur wörtlichen Übernahme

    | Die meisten Stiftungen verfolgen gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke. Nur 6,4 % sind auf private Zwecke ausgerichtet und damit in vollem Umfang steuerpflichtig. Satzungen steuerbegünstigter Stiftungen müssen nach § 60 Abs. 1 S. 2 AO zwingend die in der Anlage 1 bezeichneten Festlegungen enthalten. Insofern wird auf die steuerliche Mustersatzung verwiesen. Diese Verpflichtung gilt nach § 60 Abs. 2 AO für den ganzen Veranlagungs- und Bemessungszeitraum (KSt, GewSt) bzw. den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer (z. B. GrSt, USt, ErbSt). |

    1. Bedeutung des § 60 AO

    Wird eine Satzung rechtswirksam, die den Anforderungen des § 60 AO nicht entspricht, können die Steuerprivilegien entzogen werden. Dies kann mit erheblichen Nachteilen verbunden sein (Besteuerung der Erträge aus Vermögensverwaltung und Zweckbetrieb, Spendenhaftung u. a.). Zwar ziehen die Finanzämter aus Gründen des Vertrauensschutzes in diesen Fällen meist nicht sofort steuerschädliche Folgerungen, wenn die Mängel zeitnah beseitigt werden und ansonsten gegen die Geschäftsführung keine Bedenken bestehen (vgl. Nr. 4 AEAO zu § 59). Bei Gründungen und Satzungsänderungen empfiehlt sich aber in jedem Fall, sich vorher mit der Finanzverwaltung abzustimmen, um die formelle Satzungsmäßigkeit rechtssicher zu gewährleisten.

    2. Auslegung der Rechtsnorm

    Im Rahmen einer Vorprüfung und auch bei späteren Beanstandungen fordert die Finanzverwaltung immer öfter die steuerliche Mustersatzung wörtlich zu übernehmen. Ist dies aber tatsächlich verpflichtend? Um die genaue Bedeutung des Gesetzestextes zu ermitteln, empfehlen sich, die klassische Methoden grammatikalischer, systematischer, historischer und teleologischer Auslegung (Ullrich, DStR 09, 2471). Daneben wird neuerdings noch eine fünfte Auslegungsform vorgeschlagen, die „ökonomische Analyse des Rechts“, bei der eine Auslegung vorgenommen wird, die allen Beteiligten eines Rechtssystems den gleichen Nutzen aus der Rechtsnorm zubilligt. Die Methoden ergänzen sich und greifen ineinander. Dabei kommt der teleologischen Auslegung das größte Gewicht zu. Die Vorgaben höherrangigen Rechts, insbesondere der Verfassung und des europäischen Rechts, sind zudem zu beachten.

     

    2.1 Wortsinn als Grundlage

    Jede Auslegung muss vom Wortlaut des Gesetzes ausgehen. Um den Wortsinn zu ermitteln, muss analysiert werden, welche Bedeutung den Worten in der Alltags- oder Fachsprache zukommt. In § 60 Abs. 1 S. 2 AO hat der Gesetzgeber den Begriff „Festlegungen“, in Anlage 1 „Bestimmungen“ verwendet, um Inhalte zu bezeichnen, die in der Satzung steuerbegünstigter Körperschaften enthalten sein müssen. Beide Begriffe sprechen nicht zwingend für eine Pflicht zur wörtlichen Wiedergabe der Mustersatzung. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, hätte er den Begriff „Formulierungen“ gewählt.

     

    Zwar verwendet die Finanzverwaltung in Nr. 2 S. 2 AEAO zu § 60 den Begriff „Wortlaut“. Es ist jedoch unklar, ob der Begriff an dieser Stelle („Unter anderem sind in folgenden Fällen Abweichungen vom Wortlaut der Mustersatzung möglich“) bewusst verwendet wurde, um den Begriff „Festlegungen“ zu interpretieren. Möglich ist auch, dass nur der Bezug zum vorhergehenden Satz geschaffen werden sollte, also zu erklären, welche „Festlegungen“ für eine „Körperschaft im Einzelfall einschlägig sind“. Des Weiteren handelt es sich beim AEAO lediglich um eine einheitliche Dienstanweisung zur Auslegung der AO, die nur die Finanzverwaltungen in der Rechtsanwendung bindet. Sie ist nicht allgemein verbindlich und präjudiziert insbesondere nicht die Auslegung des Gesetzes und die Entscheidungen der Rechtsprechung.

     

    Beachten Sie | An dieser Stelle sei ergänzend darauf hingewiesen, dass Nr. 2 S. 3 AEAO zu § 60 klarstellt, dass „derselbe Aufbau und dieselbe Reihenfolge der Bestimmungen wie in der Mustersatzung nicht verlangt“ werden.

     

    2.2 Systematische Auslegung

    Bei der systematischen Auslegung wird betrachtet, wo der Rechtssatz im Gesetz steht und mit anderen Normen verglichen. Vorliegend drängt sich der Bedeutungszusammenhang zu § 60 Abs. 1 S. 1 AO auf. Offenbar soll die Mustersatzung sicherstellen, dass „aufgrund der Satzung geprüft werden kann, ob die satzungsmäßigen Voraussetzungen für Steuervergünstigungen gegeben sind“. Dazu reicht - wie Nr. 1 AEAO zu § 60 unter Hinweis auf BFH (19.4.89, I R 3/88, BStBl II 89, 595) verdeutlicht - „die bloße Bezugnahme auf Satzungen oder andere Regelungen Dritter“ nicht aus.

     

    Die Satzung muss nur hinreichend „präzise“ gefasst sein. Auch deshalb ist es nicht zwingend, bestimmte Formulierungen zu übernehmen. Angesichts unterschiedlicher Lebenssachverhalte ist die Mustersatzung im Gegenteil nicht unbedingt die präziseste Möglichkeit, um die gemeinnützigkeitsrechtlichen Voraussetzungen einzuhalten. Dies gilt vor allem für die Formulierung des Stiftungszwecks und seine Verwirklichung.

     

    2.3 Historische Entwicklung

    Um die Bedeutung des § 60 AO Abs. 1 S. 2 AO zu klären, können weiter die Vorstellung, der Wille und die Motive des Gesetzgebers ermittelt und die Diskussionen anlässlich der Gesetzgebung berücksichtigt werden. Eingefügt wurde die Mustersatzung mit dem Jahressteuergesetz 2009. Das kam insofern überraschend, als dies im Regierungsentwurf (BT-Drucksache 16/10189, 79) nicht vorgesehen war. Zwar wurde eine steuerliche Mustersatzung bereits seit Jahrzehnten verwendet und hatte als Anlage 2 zu § 60 auch Eingang in den AEAO a. F. gefunden. War sie zuvor nur unverbindliche Hilfestellung für die Sachbearbeiter in den Finanzämtern, von denen sanktionslos abgewichen werden konnte, wurde ihre Verwendung in leicht modifizierter Form nun unter der neuen Überschrift „Mustersatzung für Vereine, Stiftungen, Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, geistliche Genossenschaften und Kapitalgesellschaften“ verpflichtend.

     

    Der BFH hatte - entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung - in seinem Urteil vom 14.7.04 (I R 94/02, BStBl II 05, 721, „Stauffer“) die Meinung vertreten, dass die Begriffe „ausschließlich“ und „unmittelbar“ nicht in der Satzung einer steuerbegünstigten Körperschaft genannt werden müssen. Dies obwohl § 59 AO besagt, dass eine Steuervergünstigung gewährt wird, wenn sich aus der Satzung u. a. ergibt, dass der von der Körperschaft verfolgte Zweck ausschließlich und unmittelbar verfolgt wird. Um zukünftig Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden, wurden die Begriffe in die aktualisierte Fassung der Mustersatzung aufgenommen. (BT-Drucksache 16/11108, 46).

     

    Der tiefere Grund lag in Herausforderungen des Europarechts auf das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht, die mit den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Rechtssachen „Stauffer“ oder „Persche“ bezeichnet sind (Ulrich, DStR 09, 2472). Sie haben zum einen zur Normierung eines strukturellen Inlandsbezugs der gemeinnützigen Zwecke in § 51 Abs. 2 AO n. F. geführt (BT-Drucksache 16/11108, 9). Zum anderen sollten mit der Aufnahme der Mustersatzung in die AO ausländische, grundsätzlich in Deutschland nur beschränkt steuerpflichtige Körperschaften, die hier Steuerbefreiungen aus ihrer gemeinnützigen Verfassung und Tätigkeit in Anspruch nehmen wollen, auf die hiesigen Voraussetzungen für die Steuerbegünstigung verpflichtet werden. Konsequenterweise wurde gleichzeitig die Vorschrift des § 62 AO a. F. gestrichen, die staatlich beaufsichtigte Stiftungen von der Vorgabe einer ausdrücklichen satzungsgemäßen Vermögensbindung befreit hatte.

     

    Um einen verbindlichen Satzungsrahmen für Körperschaften mit Sitz und Geschäftsleitung im Ausland vorzugeben, ist es nicht erforderlich, die Mustersatzung wörtlich zu übernehmen. Dies würde bedeuten, dass ausländische Körperschaften ihre Satzungen in deutscher Sprache verfassen müssten, da es sich sonst statt um die vorgegebenen Formulierungen um anderssprachige Entsprechungen handeln würde (Ullrich, DStR 09, 2472). Eine solche formale Vorgabe dürfte die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 EGV i. V. m. Art. 58 Abs. 1a EGV unverhältnismäßig beschränken und damit europarechtswidrig sein. Der grenzüberschreitende Spendenabzug wäre praktisch ausgeschlossen (Hüttemann/Helios, DB 09, 705). Die Vorgabe, die Mustersatzung inhaltlich zu übernehmen und eine Übersetzung der jeweiligen Satzungsregeln beizufügen, dürfte hingegen hinnehmbar sein. Gerade mit Blick auf Körperschaften aus dem EU-Ausland - die eigentlichen Adressaten der Neuregelung des § 60 Abs. 1 S. 2 AO - wird also deutlich, dass eine Pflicht zur wörtlichen Übernahme der Mustersatzung vom Gesetzgeber nicht gewollt war.

     

    2.4 Auslegung nach Sinn und Zweck

    Das Ergebnis wird auch durch die entscheidende teleologische Auslegung abgesichert, die auf den Sinn und den Zweck der Norm abstellt. Danach soll der Rechtssatz eine gerechte und sachgemäße Regelung sein. Sinn und Zweck des § 60 Abs. 1 AO war und ist, eine zweifelsfreie „Prüfung der Einhaltung der Anforderungen des steuerlichen Gemeinnützigkeitsrechts allein anhand der Satzung als Buchnachweis zu ermöglichen“ (BFH 23.7.09, V R 20/08, Abruf-Nr. 093295). Durch die Ergänzung des § 60 Abs. 1 AO um Satz 2, der auf die Festlegungen der Mustersatzung in Anlage 1 verweist, sollte diese Regelung zusätzlich abgesichert werden.

     

    Selbst die wörtliche Übernahme der steuerlichen Mustersatzung würde jedoch eine Satzungsprüfung nicht (wesentlich) erleichtern, denn eine gewissenhafte und nicht schematische Prüfung der Gemeinnützigkeitskonformität erfordert stets die Bewertung der vollständigen Satzung, nicht zuletzt der jeweiligen spezifischen Zwecksetzung. Sie „kann nicht dadurch erfolgen, dass lediglich ein Abgleich mit einer Liste von Schlüsselformulierungen erfolgt und an der betreffenden Stelle ein Haken oder Kreuz gesetzt wird“ (Ullrich, DStR 09, 2471).

     

    Gerade § 1 der Mustersatzung bietet keine besondere Hilfestellung zur Formulierung des steuerbegünstigten Satzungszwecks einer operativ oder fördernd tätigen Stiftung.

     

    Die Inhalte der steuerlichen Mustersatzung machen ohnehin nur einen Teil der zu überprüfenden Satzungsbestimmungen aus. Vor diesem Hintergrund erscheint das Festhalten an einem vorgegebenen Wortlaut als „unnötige Förmelei, die dem deutschen Rechtssystem im Übrigen dogmatisch fremd ist“ (Ullrich, DStR 09, 2471).

     

    2.5 Wirkungsanalyse

    Rechtsregeln werden zunehmend auch mit ökonomischen Gesetzmäßigkeiten gespiegelt, um Aussagen über deren Wirkungen auf Kosten, Entscheidungen und Verteilungsfolgen zu gewinnen. Wenn argumentiert wird, eine wörtliche Übernahme der Mustersatzung würde der Finanzverwaltung die Rechtsanwendung erleichtern, überzeugt dies nicht. Durch Einführung einer verbindlichen Mustersatzung wurde die Prüfungsaufgabe der Finanzverwaltung kaum erleichtert (Ullrich, DStR 09, 2471). Vielmehr haben seitdem die Auseinandersetzungen zwischen gemeinnützigen Körperschaften und ihren Beratern mit den Finanzämtern zu Gestaltungsfragen zugenommen (Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 3. Aufl., Rn. 4.125). Stifter, Stiftungen und Berater stoßen zunehmend auf Schwierigkeiten bei den Finanzbehörden, wenn sie ihre gemeinnützigen Anliegen sachgerecht in den Satzungen abbilden wollen, aber auf Vorbehalte stoßen, die allein auf den Wortlaut der Mustersatzung gestützt werden.

     

    Beachten Sie | Engagierte Bürger können durch ein solches förmelndes Argumentieren leicht entmutigt werden. Insofern wird die gewünschte Verfahrenserleichterung nicht erreicht. Es wäre hilfreich, wenn § 60 Abs. 1 S. 2 AO gestrichen und wieder in den AEAO aufgenommen würde.

     

    FAZIT | Im Ergebnis ist eine wortgenaue Übernahme der Formulierungen der Mustersatzung nicht erforderlich. Ohnehin werden nicht derselbe Aufbau und dieselbe Reihenfolge der Bestimmungen verlangt. Lediglich die inhaltlichen Festlegungen der Mustersatzungen müssen unmissverständlich ihren Ausdruck in der Stiftungssatzung finden.

     

    Es genügt grundsätzlich, dass die sogenannte formelle Satzungsmäßigkeit aufgrund einer Auslegung der gesamten Satzungsbestimmungen zweifelsfrei gegeben ist.

     
    Quelle: Sonderausgabe 01 / 2017 | Seite 5 | ID 44524062