03.12.2015 · IWW-Abrufnummer 145904
Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 17.09.2015 – C-589/13
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Freizügigkeit – Art. 20 AEUV und 21 AEUV – Angehöriger eines Mitgliedstaats – Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat – Studium in einem überseeischen Land oder Gebiet – Weitergewährung der Finanzierung einer Hochschulausbildung – Wohnsitzvoraussetzung nach der ‚Drei-von-sechs-Jahren-Regel‘ – Beschränkung – Rechtfertigung“
In der Rechtssache C‑359/13
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Centrale Raad van Beroep (Niederlande) mit Entscheidung vom 24. Juni 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Juni 2013, in dem Verfahren
B. Martens
gegenMinister van Onderwijs, Cultuur en Wetenschap
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Richters A. Ó Caoimh (Berichterstatter), der Richterin C. Toader sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. G. Fernlund,
Generalanwältin: E. Sharpston,Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. Juli 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman, B. Koopman und J. Langer als Bevollmächtigte,– der dänischen Regierung, vertreten durch C. Thorning und M. Søndhal Wolff als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Enegren und M. van Beek als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 24. September 2014
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 20 AEUV, 21 AEUV und 45 AEUV sowie von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Martens und dem Minister van Onderwijs, Cultuur en Wetenschap (Minister für Bildung, Kultur und Wissenschaft, im Folgenden: Minister) über dessen Bescheid, mit dem von Frau Martens die Rückzahlung der Finanzierung einer Hochschulausbildung (im Folgenden: Studienfinanzierung) gefordert wird, weil sie eine Voraussetzung der nationalen Regelung nicht erfüllt habe, nach der sie in den sechs ihrer Einschreibung für eine Ausbildung außerhalb der Niederlande vorangegangenen Jahren drei Jahre lang in den Niederlanden hätte wohnen müssen (im Folgenden: Drei-von-sechs-Jahren-Regel).
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht3
Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie Nr. 1612/68 sieht vor:
„(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.(2) Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer.“
Niederländisches Recht
4
In Art. 2.2 Abs. 1 der Wet studiefinanciering 2000 (Studienfinanzierungsgesetz 2000) in der Fassung der Änderung vom 11. Oktober 2006 (im Folgenden: WSF 2000) heißt es:
„Für eine Studienfinanzierung kommen Studierende in Betracht, diea) die niederländische Staatsangehörigkeit besitzen;
b) nicht die niederländische Staatsangehörigkeit besitzen, aber aufgrund eines Vertrags oder eines Beschlusses einer internationalen Organisation im Bereich der Studienfinanzierung Niederländern gleichgestellt sind …
…“
5
Art. 2.14 WSF 2000 in der zuletzt durch das Gesetz vom 15. Dezember 2010 geänderten Fassung (Stb. 2010, Nr. 807) sieht vor:
„1. Dieser Artikel findet nur Anwendung auf Studierende, die nach dem 31. August 2007 für eine Hochschulausbildung in einem Studiengang außerhalb der Niederlande eingeschrieben sind …2. Für eine Studienfinanzierung kommen Studierende in Betracht, die
a) für eine Ausbildung in einem Studiengang außerhalb der Niederlande eingeschrieben sind, soweit in den Niederlanden für eine vergleichbare Kategorie von Studiengängen Studienfinanzierung gewährt wird, das Niveau und die Qualität des Studiengangs mit entsprechenden Studiengängen … vergleichbar sind und die Abschlussprüfung des Studiengangs mit einer Abschlussprüfung entsprechender Studiengänge … vergleichbar ist;
b) für eine Ausbildung in einem Studiengang außerhalb der Niederlande eingeschrieben sind, die unbeschadet Buchst. a im Übrigen den durch Ministerialerlass festgelegten Kriterien genügt, und
c) während mindestens drei der ihrer Einschreibung in diesem Studiengang vorangegangenen sechs Jahre in den Niederlanden gewohnt und sich in diesem Zeitraum dort rechtmäßig aufgehalten haben. Die Zeit, in der ein Studierender in einem Studiengang außerhalb der Niederlande im Sinne von Buchst. a eingeschrieben ist, zählt bei der Berechnung der sechs Jahre im Sinne des vorhergehenden Satzes nicht mit.
…“
6
Nach Art. 11.5 WSF 2000 kann der Minister von der Drei-von-sechs-Jahren-Regel des Art. 2.14 Abs. 2 Buchst. c dieses Gesetzes abweichen, sofern ihre Anwendung zu einer erheblichen Unbilligkeit führen könnte.
7
Art. 12.3 WSF 2000, der eine auf Art. 2.14 dieses Gesetzes beruhende Übergangsvorschrift enthält, bestimmt in der mit Wirkung vom 1. September 2007 geänderten Fassung:
„Abweichend von Art. 3.21 Abs. 2 [WSF 2000] kann ein Studierender, der vor dem 1. September 2007 ohne Anspruch auf Studienfinanzierung … bereits für eine Hochschulausbildung außerhalb der Niederlande eingeschrieben war, rückwirkend höchstens bis 1. September 2007 Studienfinanzierung für eine Hochschulausbildung außerhalb der Niederlande beanspruchen, wenn er dies spätestens am 31. August 2008 beantragt.“Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
8
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, eine am 2. Oktober 1987 geborene niederländische Staatsangehörige, zog im Juni 1993 mit ihren Eltern nach Belgien, wo ihr Vater erwerbstätig war. Sie besuchte dort flämische Schulen der Primär- und Sekundarstufe, und ihre Familie wohnt noch immer dort.
9
Ab dem 15. August 2006 war die Klägerin des Ausgangsverfahrens an der Universität der Niederländischen Antillen in Willemstad (Curaçao) für ein Bachelor-Vollzeitstudium eingeschrieben.
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Von Oktober 2006 bis Oktober 2008 arbeitete der Vater der Klägerin des Ausgangsverfahrens als abhängig teilzeitbeschäftigter Grenzgänger in den Niederlanden. Ab November 2008 nahm er wieder eine Vollzeitbeschäftigung in Belgien auf.
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Am 24. Juni 2008 stellte die Klägerin des Ausgangsverfahrens beim Minister einen Antrag auf Studienfinanzierung. In dem hierzu auszufüllenden Formular erklärte sie u. a., dass sie in den sechs Jahren vor Aufnahme ihres Studiums in Curaçao mindestens drei Jahre lang rechtmäßig in den Niederlanden gewohnt habe.
12
Mit Bescheid vom 22. August 2008 bewilligte der Minister der Klägerin des Ausgangsverfahrens in Anwendung der Regelung für nicht bei den Eltern wohnende Studenten eine Studienfinanzierung ab September 2007, dem nach Art. 12.3 WSF 2000 frühestmöglichen Zeitpunkt für ihre rückwirkende Gewährung, in Form eines Grundstipendiums und einer Vergütung für öffentliche Verkehrsmittel. Diese Bewilligung wurde vom Minister mehrmals verlängert. Am 1. Februar 2009 beantragte die Klägerin des Ausgangsverfahrens ein ergänzendes Studiendarlehen, das ihr bewilligt wurde.
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Nach einer Prüfung der Studienfinanzierungen stellte der Minister mit Bescheiden vom 28. Mai 2010 fest, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens in der Zeit von August 2000 bis Juli 2006 nicht mindestens drei Jahre in den Niederlanden gewohnt und somit der Drei-von-sechs-Jahren-Regel nicht genügt habe. Er widerrief daraufhin die der Klägerin des Ausgangsverfahrens zuvor erteilten Bewilligungen von Studienfinanzierung, lehnte jede weitere Verlängerung der Studienfinanzierung ab und verlangte die Rückerstattung der bereits gezahlten Studienfinanzierung in Höhe von 19 481,64 Euro.
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Mit Bescheid vom 27. August 2010 erklärte der Minister die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens im Rahmen ihres Widerspruchs gegen die Bescheide vom 28. Mai 2010 erhobenen Rügen für unbegründet. Frau Martens hatte geltend gemacht, dass die fehlende Verbundenheit mit den Niederlanden keine ausreichende Rechtfertigung sei, um ihr wegen Nichteinhaltung der Drei-von-sechs-Jahren-Regel die Studienfinanzierung zu verweigern. Bei Studierenden, die diese Voraussetzung erfüllten und damit Anspruch auf eine niederländische Finanzierung für eine Ausbildung außerhalb der Niederlande hätten, könne die Verbundenheit mit diesem Mitgliedstaat erheblich schwächer sein als die, die sie gehabt habe und immer noch habe.
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Die Rechtbank ’s-Gravenhage erklärte die Klage von Frau Martens gegen den Bescheid vom 27. August 2010 für unbegründet.
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Im Rahmen des Verfahrens über das Rechtsmittel der Klägerin des Ausgangsverfahrens gegen das Urteil der Rechtbank ’s-Gravenhage vor dem vorlegenden Gericht erklärte der Minister, dass er die Drei-von-sechs-Jahren-Regel im Fall von Frau Martens für die Zeit von September 2007 bis Oktober 2008 nicht anwenden werde, weil ihr Vater in diesem Zeitraum in den Niederlanden teilzeitbeschäftigt gewesen sei und die Voraussetzungen für die Studienfinanzierung somit erfüllt gewesen seien. Dagegen bleibe die Drei-von-sechs-Jahren-Regel für den Zeitraum von November 2008 bis Juni 2011 anwendbar, da ihr Vater in diesem Zeitraum ausschließlich in Belgien gearbeitet habe und deshalb in den Niederlanden nicht mehr als Grenzgänger angesehen werden könne.
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Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten ergibt sich, dass neben dem Antrag auf Studienfinanzierung im Wesentlichen die Eltern der Klägerin des Ausgangsverfahrens für ihren Lebensunterhalt und die Studienkosten während ihres Studiums an der Universität der Niederländischen Antillen aufkamen, das sie am 1. Juli 2011 abschloss.
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Unter diesen Umständen hat der Centrale Raad van Beroep das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. a) Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68, dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaat der Europäischen Union (das Königreich der Niederlande) daran hindert, einem volljährigen unterhaltsberechtigten Kind eines in Belgien wohnenden und teils in den Niederlanden und teils in Belgien arbeitenden Grenzgängers niederländischer Staatsangehörigkeit den Anspruch auf eine Studienfinanzierung für eine Ausbildung außerhalb der Union ab dem Zeitpunkt, zu dem die Grenzgängerschaft endet und der Grenzgänger nur noch in Belgien tätig ist, mit der Begründung zu versagen, dass das Kind die Voraussetzung, in den sechs seiner Einschreibung bei der betreffenden Bildungseinrichtung vorangegangenen Jahren mindestens drei Jahre lang in den Niederlanden gewohnt zu haben, nicht erfülle?b) Wenn Frage 1a zu bejahen ist: Untersagt es das Unionsrecht, die Studienfinanzierung – die Erfüllung ihrer übrigen Voraussetzungen unterstellt – für einen Zeitraum zu bewilligen, der kürzer ist als die Dauer der Ausbildung, für die sie bewilligt wurde?
Sofern der Gerichtshof in Beantwortung der Fragen 1a und 1b zu dem Ergebnis gelangt, dass die das Recht auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer regelnden Vorschriften es nicht verbieten, Frau Martens für den Zeitraum von November 2008 bis Juni 2011 oder für einen Teil dieses Zeitraums keine Studienfinanzierung zu bewilligen:
2. Sind die Art. 20 AEUV und 21 AEUV dahin auszulegen, dass sie den Mitgliedstaat der Union (das Königreich der Niederlande) daran hindern, die Studienfinanzierung für eine Ausbildung an einer Bildungseinrichtung in den überseeischen Ländern und Gebieten (ÜLG) (Curaçao), auf die ein Anspruch bestand, weil der Vater der Betroffenen als Grenzgänger in den Niederlanden tätig war, mit der Begründung nicht zu verlängern, dass die Betroffene die für alle Unionsbürger, auch die eigenen Staatsangehörigen, geltende Voraussetzung nicht erfülle, in den sechs ihrer Einschreibung für diese Ausbildung vorangegangenen Jahren mindestens drei Jahre lang in den Niederlanden gewohnt zu haben?
Zu den Vorlagefragen
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Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, wonach die Weitergewährung der Finanzierung einer außerhalb dieses Mitgliedstaats absolvierten Hochschulausbildung davon abhängt, dass der Studierende, der eine solche Finanzierung beantragt, in den sechs Jahren vor seiner Einschreibung für den Studiengang mindestens drei Jahre lang in dem Mitgliedstaat gewohnt hat.
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Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Frau Martens als niederländische Staatsangehörige gemäß Art. 20 Abs. 1 AEUV Unionsbürgerin ist und sich daher, gegebenenfalls auch gegenüber ihrem Herkunftsmitgliedstaat, auf die mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Rechte berufen kann (vgl. Urteile Morgan und Bucher, C‑11/06 und C‑12/06, EU:C:2007:626, Rn. 22, sowie Prinz und Seeberger, C‑523/11 und C‑585/11, EU:C:2013:524, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
21
Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, ist der Unionsbürgerstatus dazu bestimmt, der grundlegende Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zu sein, der es denjenigen unter ihnen, die sich in der gleichen Situation befinden, erlaubt, im sachlichen Anwendungsbereich des AEU-Vertrags unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und unbeschadet der insoweit ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen die gleiche rechtliche Behandlung zu genießen (Urteile D’Hoop, C‑224/98, EU:C:2002:432, Rn. 28, sowie Prinz und Seeberger, EU:C:2013:524, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).
22
In den Geltungsbereich des Unionsrechts fallen u. a. diejenigen Situationen, die sich auf die Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten beziehen, insbesondere auch die, in denen es um das durch Art. 21 AEUV verliehene Recht geht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Urteile Morgan und Bucher, EU:C:2007:626, Rn. 23, sowie Prinz und Seeberger, EU:C:2013:524, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
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Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 165 Abs. 1 AEUV zwar für die Lehrinhalte und die Gestaltung ihrer jeweiligen Bildungssysteme zuständig sind, doch müssen sie diese Zuständigkeit unter Beachtung des Unionsrechts und insbesondere der Bestimmungen des Vertrags über das durch Art. 21 Abs. 1 AEUV jedem Unionsbürger verliehene Recht ausüben, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Urteile Morgan und Bucher, EU:C:2007:626, Rn. 24, sowie Prinz und Seeberger, EU:C:2013:524, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
24
Im Übrigen sind die Mitgliedstaaten nach dem Unionsrecht nicht verpflichtet, ein System zur Förderung der Hochschulausbildung für eine Ausbildung in einem anderen Mitgliedstaat oder im Ausland vorzusehen. Sieht ein Mitgliedstaat jedoch ein solches System vor, nach dem Studierende eine solche Förderung in Anspruch nehmen können, muss er dafür Sorge tragen, dass die Modalitäten der Bewilligung dieser Förderung das genannte Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nicht in ungerechtfertigter Weise beschränken (vgl. in diesem Sinne Urteile Morgan und Bucher, EU:C:2007:626, Rn. 28, Prinz und Seeberger, EU:C:2013:524, Rn. 30, sowie Thiele Meneses, C‑220/12, EU:C:2013:683, Rn. 25).
25
Hierzu geht aus einer ständigen Rechtsprechung hervor, dass eine nationale Regelung, die bestimmte eigene Staatsangehörige allein deswegen benachteiligt, weil sie von ihrer Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und dort aufzuhalten, Gebrauch gemacht haben, eine Beschränkung der Freiheiten darstellt, die Art. 21 Abs. 1 AEUV jedem Unionsbürger zuerkennt (Urteile Morgan und Bucher, EU:C:2007:626, Rn. 25, sowie Prinz und Seeberger, EU:C:2013:524, Rn. 27).
26
Die vom Vertrag auf dem Gebiet der Freizügigkeit der Unionsbürger gewährten Erleichterungen könnten nämlich nicht ihre volle Wirkung entfalten, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats von ihrer Wahrnehmung durch Hindernisse abgehalten werden könnte, die seinem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat infolge einer Regelung seines Herkunftsstaats entgegenstehen, die ihn allein deshalb ungünstiger stellt, weil er von diesen Erleichterungen Gebrauch gemacht hat (vgl. in diesem Sinne Urteile Morgan und Bucher, EU:C:2007:626, Rn. 26, sowie Prinz und Seeberger, EU:C:2013:524, Rn. 28).
27
Dies gilt angesichts der mit Art. 6 Buchst. e AEUV und Art. 165 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich AEUV verfolgten Ziele, u. a. die Mobilität von Lernenden und Lehrenden zu fördern, in besonderem Maß im Bereich der Bildung (vgl. Urteile D’Hoop, EU:C:2002:432, Rn. 32, Morgan und Bucher, EU:C:2007:626, Rn. 27, sowie Prinz und Seeberger, EU:C:2013:524, Rn. 29).
28
Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens nach Belgien umzog, wo ihr Vater erwerbstätig war, und seitdem dort flämische Schulen der Primär- und Sekundarstufe besuchte. Im August 2006 nahm sie mit 18 Jahren ein Studium an der Universität der Niederländischen Antillen in Willemstad auf, das sie am 1. Juli 2011 abschloss. Wie die niederländische Regierung in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, konnte Frau Martens in den Genuss einer Finanzierung ihres Studiums in Curaçao kommen, weil nach der durch das WSF 2000 eingeführten Regelung jeder Studierende, der die Drei-von-sechs-Jahren-Regel erfüllt, für eine solche Finanzierung eines Auslandsstudiums in Betracht kommt. Frau Martens selbst hatte bei der Stellung ihres Antrags auf Studienfinanzierung im Mai 2008 angegeben, dass sie diese Voraussetzung erfülle. Seit dem Abschluss ihres Studiums arbeitet Frau Martens in den Niederlanden.
29
Die niederländische Regierung meint, es liege keine Beschränkung der Freizügigkeitsrechte der Klägerin des Ausgangsverfahrens vor, weil sie bei ihrem Umzug von Belgien nach Curaçao nicht von dem ihr durch Art. 20 Abs. 2 Buchst. a AEUV verliehenen Recht Gebrauch gemacht habe, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.
30
Dieses Argument kann keinen Erfolg haben, weil außer Acht gelassen wird, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machte, als sie im Jahr 1993 mit ihrer Familie aus den Niederlanden nach Belgien umzog, und dass sie während der gesamten Dauer ihres Aufenthalts in Belgien weiterhin davon Gebrauch machte.
31
Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung könnte dadurch, dass sie die weitere Finanzierung des Auslandsstudiums von der Drei-von-sechs-Jahren-Regel abhängig macht, angesichts der Auswirkungen, die die Ausübung der Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und dort aufzuhalten, auf die Möglichkeit haben kann, eine Finanzierung für eine Hochschulausbildung zu erhalten, einen Antragsteller allein deshalb benachteiligen, weil er von dieser Freiheit Gebrauch gemacht hat (vgl. in diesem Sinne Urteile D’Hoop, EU:C:2002:432, Rn. 30, Prinz und Seeberger, EU:C:2013:524, Rn. 32, sowie Thiele Meneses, EU:C:2013:683, Rn. 28).
32
Wie die Generalanwältin in Nr. 106 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist es dabei unerheblich, dass längere Zeit vergangen ist, seit die Klägerin des Ausgangsverfahrens von ihren Freizügigkeitsrechten Gebrauch gemacht hat (vgl. entsprechend Urteil Nerkowska, C‑499/06, EU:C:2008:300, Rn. 47).
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Somit ist festzustellen, dass die in Art. 2.14 Abs. 2 WSF 2000 vorgesehene Drei-von-sechs-Jahren-Regel auch dann eine Beschränkung des nach Art. 21 AEUV allen Unionsbürgern zustehenden Rechts auf Freizügigkeit und auf freien Aufenthalt darstellt, wenn sie unterschiedslos für niederländische Staatsangehörige und für andere Unionsbürger gilt (vgl. in diesem Sinne Urteil Prinz und Seeberger, EU:C:2013:524, Rn. 31).
34
Die Beschränkung, die sich aus der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung ergibt, lässt sich unionsrechtlich nur rechtfertigen, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen des Allgemeininteresses beruht und in angemessenem Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Ziel steht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine Maßnahme verhältnismäßig, wenn sie zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was dazu notwendig ist (Urteile De Cuyper, C‑406/04, EU:C:2006:491, Rn. 40 und 42, Morgan und Bucher, EU:C:2007:626, Rn. 33, sowie Prinz und Seeberger, EU:C:2013:524, Rn. 33).
35
Die niederländische Regierung macht geltend, sofern eine Beschränkung des Rechts, sich frei zu bewegen und aufzuhalten, vorliegen sollte, seien die Bestimmungen der WSF 2000 durch Erwägungen des Allgemeininteresses gerechtfertigt, nämlich das Ziel, sich eines gewissen Grades der Integration der die Studienfinanzierung beantragenden Person in den leistenden Staat zu vergewissern. Es sei mithin gerechtfertigt, die Finanzierung eines vollen Studiums im Ausland den Studierenden vorzubehalten, die die Gewähr für eine hinreichende Integration in den Niederlanden böten. Bei einem Studierenden, der in den letzten sechs Jahren vor seiner Ausbildung im Ausland mindestens drei Jahre lang in den Niederlanden gewohnt habe, sei dieser Integrationsgrad nachgewiesen. Diese Voraussetzung gehe aus zwei Gründen auch nicht über das hinaus, was zur Erreichung der verfolgten Ziele notwendig sei. Erstens könne der Minister nach Art. 11.5 WSF 2000 von der Anwendung der Drei-von-sechs-Jahren-Regel absehen, wenn deren Anwendung zu einer erheblichen Unbilligkeit führen würde, so dass diese Voraussetzung nicht als zu allgemein angesehen werden könne. Zweitens verlange die Wohnsitzvoraussetzung nicht, dass ein Studierender vor der Aufnahme seines Studiums drei Jahre lang ununterbrochenen in den Niederlanden gewohnt habe, und habe somit keinen zu starken Ausschlusscharakter.
36
Hierzu ist festzustellen, dass sowohl die Integration der Studierenden als auch der Wille, das Bestehen einer gewissen Verbindung zwischen der Gesellschaft des leistenden Mitgliedstaats und dem Empfänger einer Leistung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden zu überprüfen, objektive Erwägungen des Allgemeininteresses darzustellen vermögen, die es rechtfertigen können, dass die Freizügigkeit der Unionsbürger möglicherweise durch die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung berührt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil Thiele Meneses, EU:C:2013:683, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).
37
Nach ständiger Rechtsprechung darf der von einem Mitgliedstaat verlangte Nachweis für die Geltendmachung des Bestehens eines tatsächlichen Bandes der Integration jedoch keinen zu starken Ausschlusscharakter haben, indem er einem Gesichtspunkt, der nicht zwangsläufig für den tatsächlichen und effektiven Grad der Verbundenheit des Antragstellers mit dem Mitgliedstaat repräsentativ ist, unangemessen hohe Bedeutung beimisst und jeden anderen repräsentativen Gesichtspunkt ausschließt (vgl. Urteile D’Hoop, EU:C:2002:432, Rn. 39, Prinz und Seeberger, EU:C:2013:524, Rn. 37, sowie Thiele Meneses, EU:C:2013:683, Rn. 36).
38
Was den Grad der Verbundenheit des Empfängers einer Leistung mit dem betreffenden Mitgliedstaat angeht, hat der Gerichtshof zu Leistungen, die wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht unionsrechtlich geregelt sind, entschieden, dass die Mitgliedstaaten ein weites Ermessen in Bezug auf die Festlegung der Kriterien zur Beurteilung einer solchen Verbundenheit haben (vgl. in diesem Sinne Urteile Gottwald, C‑103/08, EU:C:2009:597, Rn. 34, sowie Thiele Meneses, EU:C:2013:683, Rn. 37).
39
Mit einer alleinigen Wohnsitzvoraussetzung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden könnten jedoch Studierende von der fraglichen Finanzierung des Hochschulstudiums ausgeschlossen werden, die zwar nicht die geforderten drei von sechs Jahren vor der Aufnahme des Auslandsstudiums in den Niederlanden gewohnt haben, aber gleichwohl tatsächliche, ihre Integration belegende Verbindungen zu diesem Mitgliedstaat haben.
40
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Bezug auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung bereits festgestellt hat, dass die Anwendung der Drei-von-sechs-Jahren-Regel zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von niederländischen Arbeitnehmern und in den Niederlanden wohnenden Wanderarbeitnehmern führt, da diese Regel, indem sie konkrete Zeiträume des Wohnens im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats vorschreibt, einem Umstand den Vorzug gibt, der nicht zwangsläufig der einzige für den tatsächlichen Grad der Verbundenheit zwischen dem Betreffenden und dem Mitgliedstaat repräsentative Umstand ist, und daher einen zu starken Ausschlusscharakter hat (vgl. Urteil Kommission/Niederlande, C‑542/09, EU:C:2012:346, Rn. 86 und 88).
41
Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung hat jedoch dadurch, dass sie eine Beschränkung des Rechts eines Unionsbürgers wie der Klägerin des Ausgangsverfahrens schafft, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ebenfalls einen zu starken Ausschlusscharakter, denn sie lässt die Berücksichtigung etwaiger anderer Verbindungen eines solchen Studierenden zum leistenden Mitgliedstaat, wie z. B. Staatsangehörigkeit, Schulausbildung, Familie, Beschäftigung, Sprachkenntnisse und sonstige soziale oder wirtschaftliche Bindungen, nicht zu (vgl. in diesem Sinne Urteil Prinz und Seeberger, EU:C:2013:524, Rn. 38). Wie die Generalanwältin in Nr. 103 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, könnte auch die Beschäftigung von Familienangehörigen des Studierenden im leistenden Mitgliedstaat ein bei der Beurteilung dieser Verbindungen zu berücksichtigender Faktor sein.
42
Im Übrigen kann die mögliche Anwendung von Art. 11.5 WSF 2000 durch den zuständigen Minister, nach der dieser von der Drei-von-sechs-Jahren-Regel absehen kann, wenn deren Anwendung zu einer erheblichen Unbilligkeit führen würde, unter den Umständen des Ausgangsverfahrens nichts an dem zu starken Ausschlusscharakter der genannten Regel ändern. Diese Bestimmung gewährleistet nämlich nicht die Berücksichtigung der etwaigen anderen Verbindungen der Klägerin des Ausgangsverfahrens zum leistenden Mitgliedstaat und ist daher nicht zur Erreichung des nach dem Vorbringen der niederländischen Regierung mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung verfolgten Ziels der Integration geeignet.
43
Unter diesen Umständen bleibt die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Drei-von-sechs-Jahren-Regel mit einem zu starken Ausschluss- und Zufallscharakter behaftet, da einem Gesichtspunkt, der für den Grad der Integration des Antragstellers im betreffenden Mitgliedstaat nicht zwangsläufig repräsentativ ist, in unangemessener Weise der Vorzug gegeben wird. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung kann demnach nicht als in angemessenem Verhältnis zu dem genannten Ziel der Integration stehend angesehen werden.
44
Daher ist es Sache des vorlegenden Gerichts, das allein für die Beurteilung des Sachverhalts zuständig ist, die etwaigen Verbindungen zwischen der Klägerin des Ausgangsverfahrens und dem Königreich der Niederlande zu prüfen, wobei zu berücksichtigen ist, dass Frau Martens, die die niederländische Staatsangehörigkeit besitzt und in den Niederlanden geboren wurde, in ihrem Antrag auf Studienfinanzierung angab, in den sechs Jahren vor ihrer Einschreibung für ein Auslandsstudium drei Jahre lang in diesem Mitgliedstaat gewohnt zu haben, obwohl sie in Wirklichkeit seit ihrem sechsten Lebensjahr in Belgien wohnte, dass ihr Vater von 2006 bis 2008 in den Niederlanden arbeitete und dass sie derzeit dort arbeitet.
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Somit ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Art. 20 AEUV und 21 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach die Weitergewährung der Finanzierung einer außerhalb dieses Staates absolvierten Hochschulausbildung davon abhängt, dass der Studierende, der eine solche Finanzierung beantragt, in den sechs Jahren vor seiner Einschreibung für den Studiengang mindestens drei Jahre lang in dem betreffenden Staat gewohnt hat.
Kosten
46
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:
Die Art. 20 AEUV und 21 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach die Weitergewährung der Finanzierung einer außerhalb dieses Staates absolvierten Hochschulausbildung davon abhängt, dass der Studierende, der eine solche Finanzierung beantragt, in den sechs Jahren vor seiner Einschreibung für den Studiengang mindestens drei Jahre lang in dem betreffenden Staat gewohnt hat.