09.07.2020 · IWW-Abrufnummer 216737
Bundesfinanzhof: Beschluss vom 10.03.2020 – VII B 206/18
NV: Ein erheblicher Grund i.S. des § 227 Abs. 1 ZPO für eine Terminsänderung kann darin liegen, dass der Kläger als ehrenamtliches Mitglied eines Stiftungskuratoriums (hier: Stiftung für Menschen mit Behinderungen) zu einer für den gleichen Zeitpunkt wie die mündliche Verhandlung des Gerichts anberaumten Kuratoriumssitzung eingeladen worden ist.
Tenor:
Auf die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 09.11.2018 ‒ 14 K 3423/16 AO aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Münster zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Gründe
I.
1
Die Beteiligten streiten in der Sache über die Erteilung von Abrechnungsbescheiden zur Umsatzsteuer für 2002 bis 2014.
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Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), der sich als Rechtsanwalt selbst vertritt, hatte am 02.11.2016 Klage erhoben. Mit Verfügung vom 10.10.2018 beraumte der Vorsitzende den Termin zur mündlichen Verhandlung für den 09.11.2018 um 09:45 Uhr an.
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Mit Fax vom 29.10.2018 bat der Kläger um eine Verlegung des Termins und führte zur Begründung aus, aufgrund seiner ehrenamtlichen Tätigkeit in einer Stiftung für Menschen mit Behinderungen ergebe sich eine Terminschwierigkeit, da ebenfalls am 09.11.2018 ab 09:00 Uhr eine Sitzung des Kuratoriums stattfinde, zu der er geladen worden sei. Dieser Sitzungstermin stehe schon länger fest, doch sei die konkrete Einladung hierzu erst jetzt bei ihm eingetroffen.
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Der Vorsitzende lehnte mit Verfügung vom 29.10.2018 eine Terminsänderung ab und begründete dies damit, dass ein erheblicher Grund i.S. von § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht worden sei. Es sei nicht einmal ansatzweise ersichtlich, warum der Teilnahme an der Sitzung des Stiftungskuratoriums, so anerkennenswert die von dem Kläger als Kuratoriumsmitglied ausgeübte ehrenamtliche Tätigkeit auch sein möge, Vorrang gegenüber der Teilnahme an dem anberaumten Gerichtstermin einzuräumen sein sollte, zumal dem Kläger die Ladung zur mündlichen Verhandlung noch vor der Einladung zu der Kuratoriumssitzung zugegangen sei.
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Der Kläger übersandte dem Gericht daraufhin mit Fax vom 30.10.2018 die Kopie einer Vorlage für die Kuratoriumssitzung vom 27.10.2017 mit Terminvorschlägen für die Sitzungstermine 2018, u.a. auch für eine Kuratoriumssitzung am Freitag, den 09.11.2018, 09:00 Uhr, des Weiteren eine Kopie des Protokolls der Kuratoriumssitzung vom 27.10.2017, aus dem hervorgeht, dass das Kuratorium den Terminvorschlägen zugestimmt hatte, und schließlich eine Kopie der Einladung zur Kuratoriumssitzung für den 09.11.2018, 09:00 Uhr, in Bad Oeynhausen vom 26.10.2018. Der Kläger trug ergänzend vor, dass die Teilnahme an den Sitzungen der Aufsichtsgremien der Stiftung zu den Kernbereichen seiner ehrenamtlichen Tätigkeit gehöre und dass die Schlussfolgerung des Vorsitzenden, die Ladung zur mündlichen Verhandlung sei vor der Festlegung des Termins für die Kuratoriumssitzung erfolgt, unzutreffend sei; lediglich die mit der konkreten Tagesordnung versehene Einladung vom 26.10.2018 sei nach der Ladung des Finanzgerichts (FG) zugegangen.
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Mit einem weiteren Fax vom 06.11.2018 wies der Kläger das FG darauf hin, dass ihm bislang keine Antwort auf sein Schreiben vom 30.10.2018 vorliege.
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Mit Verfügung vom 06.11.2018 teilte der Vorsitzende dem Kläger mit, dass der anberaumte Termin bestehen bleibe, da nicht ersichtlich sei, dass dem Termin, den der Kläger im Rahmen seiner ehrenamtlichen Tätigkeit wahrnehmen wolle, gegenüber dem anberaumten Gerichtstermin Vorrang gebühre. Es sei bereits erheblich zweifelhaft, ob eine freiwillig und ohne rechtliche Verpflichtung übernommene, ehrenamtlich ausgeübte Tätigkeit überhaupt aus irgendeinem Grund vorrangig gegenüber einem Gerichtstermin sein und dementsprechend als erheblicher Grund i.S. von § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO angesehen werden könne. Unabhängig davon könne nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem Termin für die Kuratoriumssitzung am 09.11.2018 um einen bereits endgültig feststehenden und für den Kläger bedeutsamen und verpflichtenden Termin gehandelt habe; das werde nicht zuletzt daran deutlich, dass sich der Kläger selbst auf diesen Termin erst berufen habe, nachdem ihm hierzu eine Einladung zugegangen sei.
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Mit Fax vom 07.11.2018 legte der Kläger noch einmal dar, welche Bedeutung die ehrenamtliche Tätigkeit und daher auch die Kuratoriumssitzung für ihn habe, wies darauf hin, dass nach der Rechtsprechung auch eine bereits festgelegte urlaubsbedingte Abwesenheit eines Prozessvertreters als ausreichend für eine Terminsverlegung angesehen werde, und lehnte den Vorsitzenden wegen der Besorgnis der Befangenheit ab.
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Laut Verfügung vom 08.11.2018 beriet der zuständige Senat des FG unter Beteiligung des abgelehnten Vorsitzenden über den Befangenheitsantrag des Klägers und kam dabei zu dem Ergebnis, dass der Antrag unzulässig sei.
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Am 09.11.2018 fand in Abwesenheit des Klägers die mündliche Verhandlung statt. Die Klage wurde abgewiesen.
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Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.
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Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) tritt der Beschwerde entgegen.
II.
13
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt unter Anwendung von § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Das angefochtene Urteil verletzt den Kläger in seinem Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes —GG—, § 96 Abs. 2 FGO).
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1. Die Beschwerde ist zulässig.
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Der Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs kann durch eine unzutreffende Behandlung eines Antrags auf Änderung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung verletzt sein (ständige Rechtsprechung, s. Senatsbeschlüsse vom 19.10.2012 ‒ VII B 79/12, BFH/NV 2013, 225; vom 12.01.2004 ‒ VII B 122/03, BFH/NV 2004, 654, und vom 03.02.2003 ‒ VII B 13/02, BFH/NV 2003, 797, jeweils m.w.N.). Indem die Beschwerde geltend macht, der Kläger habe unter Angabe eines erheblichen Grundes —nämlich einer Überschneidung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung mit einer Kuratoriumssitzung im Zusammenhang mit einem Ehrenamt— um eine Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung vor dem FG gebeten, das FG jedoch die Terminsverlegung abgelehnt habe, wird ein Verfahrensmangel in ausreichend schlüssiger Weise i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.
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Die schlüssige Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör erfordert in einem solchen Fall keine Ausführungen darüber, was bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wäre und dass dieser Vortrag die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können; denn die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nach § 119 Nr. 3 FGO ein absoluter Revisionsgrund, d.h. das Urteil als solches ist in einem solchen Fall stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, ohne dass es weiterer Ausführungen zur Sache bedürfte (s. Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 03.09.2001 ‒ GrS 3/98, BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802).
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2. Die Beschwerde ist auch begründet.
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Nach § 155 FGO i.V.m. § 227 ZPO kann der Vorsitzende bzw. das FG aus erheblichen Gründen einen Termin aufheben oder verlegen bzw. eine mündliche Verhandlung vertagen. Die erheblichen Gründe für eine Aufhebung oder Verlegung sind gemäß § 227 Abs. 2 ZPO auf Verlangen glaubhaft zu machen.
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Wenn erhebliche Gründe i.S. des § 227 ZPO vorliegen, verdichtet sich das in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessen zu einer Rechtspflicht, d.h. der Termin muss in diesen Fällen zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird. Der durch Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gesicherte Anspruch des Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das FG, einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf Antrag des Beteiligten aufzuheben oder zu verlegen, wenn dafür nach den Umständen des Falls, insbesondere nach dem Prozessstoff oder den persönlichen Verhältnissen des Beteiligten bzw. seines Prozessbevollmächtigten erhebliche Gründe vorliegen. Bei der Prüfung der Gründe muss das FG zugunsten des Beteiligten berücksichtigen, dass es einzige Tatsacheninstanz ist und der Beteiligte ein Recht darauf hat, seine Sache in der mündlichen Verhandlung selbst zu vertreten (ständige Rechtsprechung, s. Senatsbeschluss in BFH/NV 2013, 225, m.w.N.).
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Im Streitfall hat der Kläger seinen Antrag auf Terminsverlegung mit einer bereits ein Jahr zuvor für denselben Tag um 09:00 Uhr vereinbarten Kuratoriumssitzung begründet. Er hat dieses Vorbringen durch die Übersendung von Unterlagen zu der maßgeblichen Kuratoriumssitzung aus dem Jahr 2017, in der die Sitzungstermine für das Jahr 2018 beschlossen wurden, und der —diesen Termin insoweit lediglich bestätigenden— Einladung vom 26.10.2018 ausreichend glaubhaft gemacht. Anhaltspunkte dafür, dass diese Angaben unzutreffend sein könnten, hat das FG weder benannt noch sind solche ersichtlich. Da die Distanz zwischen dem Ort der mündlichen Verhandlung und dem Ort der Kuratoriumssitzung laut Google-Maps zwischen 100 und 114 km beträgt und sich die Fahrzeit im günstigsten Fall auf deutlich mehr als eine Stunde beläuft, ist damit unabhängig von der Dauer der Kuratoriumssitzung ausgeschlossen, dass der Kläger rechtzeitig zu der für denselben Tag für 09:45 Uhr anberaumten mündlichen Verhandlung erscheinen konnte.
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Zwar führt das FG zutreffend unter Hinweis auf die BFH-Rechtsprechung aus, dass der Terminplanung des Gerichts wegen des Grundsatzes der Verfahrensbeschleunigung in der Regel Vorrang vor anderen Terminen gebührt (vgl. BFH-Urteil vom 08.07.2015 ‒ X R 41/13, BFHE 250, 397, BStBl II 2016, 525, m.w.N.). Daher kommt —auch darauf weist das FG zutreffend hin— eine Terminsänderung wegen einer durch eine anderweitige Verpflichtung bedingten Ortsabwesenheit eines Beteiligten nur dann in Betracht, wenn die andere Sache vorrangig ist (vgl. zu anderweitigen Gerichtsterminen BFH-Beschlüsse vom 15.11.2016 ‒ VI R 48/15, BFH/NV 2017, 284, und vom 14.01.2016 ‒ III B 73/15, BFH/NV 2016, 584).
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Anders als das FG meint, ist hiervon aber im Streitfall auszugehen. Das FG verkennt die gesellschaftliche Bedeutung des Ehrenamtes im Allgemeinen und der ehrenamtlichen Tätigkeit im Rahmen einer Einrichtung, die sich um die Belange von Menschen mit Behinderungen kümmert, im Besonderen, wenn es in seiner Verfügung vom 06.11.2018 ausführt, es sei bereits zweifelhaft, ob eine freiwillig übernommene ehrenamtliche Tätigkeit überhaupt aus irgendeinem Grund vorrangig gegenüber einem Gerichtstermin sein könne. Auch ist im Hinblick auf die von dem Kläger mit Schreiben vom 30.10.2018 vorgelegten Unterlagen nicht nachvollziehbar, wie das FG zu seiner Annahme kommt, die Teilnahme des Klägers an der Kuratoriumssitzung beruhe "lediglich auf einer kurzfristigen Planung" (s. S. 18 der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils). Soweit das FG hierzu ausführt, der Kläger habe sich nach eigenen Angaben erst aufgrund der mit der Einladung übersandten Tagesordnung zu einer Teilnahme an der Kuratoriumssitzung veranlasst gesehen, ist für den beschließenden Senat nicht ersichtlich, wie das FG zu diesem Schluss gekommen ist; weder aus dem Verlegungsantrag des Klägers vom 29.10.2018 noch aus dem Schriftsatz vom 30.10.2018 geht dies hervor. Jedenfalls belegen die vorgelegten Unterlagen unzweifelhaft, dass der Termin für die Kuratoriumssitzung zum Zeitpunkt des Verlegungsantrags bereits seit über einem Jahr feststand. Dieser Termin betraf auch nicht nur den Kläger alleine, sondern das gesamte Stiftungskuratorium. Demgegenüber waren zu dem anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung nur der Kläger und der Vertreter des FA geladen, so dass die begehrte Verlegung ohne erheblichen Aufwand möglich gewesen wäre; auch dies hätte das FG berücksichtigen müssen (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2013, 225). Als weitere Gesichtspunkte kommen hinzu, dass es im Streitfall um den ersten Termin zur mündlichen Verhandlung ging (vgl. Senatsbeschluss vom 23.03.2015 ‒ VII B 167/14, BFH/NV 2015, 999) und dass keinerlei Anhaltspunkte für einen Verdacht auf eine Prozessverschleppungsabsicht des Klägers bestanden. In Anbetracht dieser Umstände hält es der beschließende Senat nicht für erforderlich, dass der Kläger zusätzlich noch hätte darlegen müssen, ob und inwieweit die Teilnahme an der Kuratoriumssitzung für ihn selbst von so großer Bedeutung gewesen ist, dass er nicht darauf hat verzichten können (zur Terminsverlegung wegen Teilnahme an einer Gemeinderatssitzung s.a. Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 15.07.1999 ‒ A 14 S 2413/98, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2000, 213; zur Teilnahme an der Mitgliederversammlung eines Fördervereins als einer durch Art. 9 Abs. 1 GG geschützten Veranstaltung s.a. Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 07.01.2004 ‒ L 12 AL 129/03, juris).
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3. Der Senat hält es aus Gründen der Prozessökonomie für geboten, von dem Verfahren nach § 116 Abs. 6 FGO Gebrauch zu machen und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
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4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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5. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab. Diese Vorschrift gilt auch im Fall des § 116 Abs. 6 FGO (vgl. BFH-Beschluss vom 03.07.2019 ‒ XI B 17/19, BFH/NV 2019, 1351, m.w.N.).