04.11.2009 · IWW-Abrufnummer 093504
Bundesfinanzhof: Beschluss vom 01.07.2009 – I R 6/08
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
I R 6/08
Gründe:
I.
Satzungszweck des Klägers und Revisionsklägers (Kläger), eines eingetragenen Vereins, ist die Förderung des Sports, die Pflege und Wahrung von Sitten, Brauchtum und Tradition des Schützentums und die Liebe zur Heimat. Im Jahr 1996 beschloss er, ein Vereinslokal aufzubauen, in dem auch gelegentliche Tanzveranstaltungen stattfinden können. Er meldete zum 1. November 1997 ein entsprechendes Gewerbe an.
Der Kläger erzielte aus der Gastwirtschaft in den Jahren 1997 bis 1999 Verluste von 2 649,34 DM, 23 933 DM und 4 340,85 DM, im Jahr 2000 einen Überschuss von 108,33 DM und 2001 einen Verlust von 2 467,20 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) war der Auffassung, der Kläger habe gegen das Mittelverwendungsgebot des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) verstoßen, weil er die Verluste aus dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb mit Mitteln des gemeinnützigen Bereichs ausgeglichen habe, und erließ Körperschaftsteuerbescheide für die Streitjahre 1999 bis 2001.
Die dagegen gerichtete Klage wies das Thüringer Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 15. November 2007 III 657/05 als unbegründet ab.
Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung materiellen Rechts.
II.
Der Senat entscheidet gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss. Er hält die Revision einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind angehört worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Das FG hat zu Recht angenommen, dass der Kläger in den Streitjahren nicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) von der Körperschaftsteuer befreit war.
1. Die Steuerbefreiung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG setzt voraus, dass die Körperschaft nach ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen oder --was im Streitfall nicht in Betracht kommt-- mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dient. Gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 AO verfolgt eine Körperschaft gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.
Selbstlosigkeit setzt unter anderem voraus, dass die Mittel der Körperschaft nur für die satzungsmäßigen Zwecke, das heißt für die in der Satzung festgelegten gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecke verwendet werden (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 AO). Ausnahmen von diesem sog. Mittelverwendungsgebot enthält § 58 AO. Im Streitfall kommen sie nicht in Betracht.
Wie der Senat mit Urteil vom 13. November 1996 I R 152/93 (BFHE 181, 396, BStBl II 1998, 711; gl.A. Leisner-Egensperger in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 55 AO Rz 125; Tipke in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 55 AO Rz 8; Sauer in Beermann/Gosch, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 55 AO Rz 11.2.) entschieden hat, ist ein Ausgleich von Verlusten eines Nicht-Zweckbetriebes mit Mitteln des ideellen Tätigkeitsbereichs nur dann kein Verstoß gegen das Mittelverwendungsgebot, wenn die Verluste auf einer Fehlkalkulation beruhen und die Körperschaft bis zum Ende des dem Verlustentstehungsjahr folgenden Wirtschaftsjahres dem ideellen Tätigkeitsbereich wieder Mittel in entsprechender Höhe zuführt. Die wieder zugeführten Mittel dürfen weder aus Zweckbetrieben oder dem Bereich der steuerbegünstigten vermögensverwaltenden Tätigkeiten noch aus Beiträgen oder anderen Zuwendungen stammen, die zur Förderung der steuerbegünstigten Zwecke der Körperschaft bestimmt sind.
Für das Vorliegen eines Verlustes ist das Ergebnis des einheitlichen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes (§ 64 Abs. 2 AO) maßgeblich. Eine Verwendung von Mitteln des ideellen Bereichs für den Ausgleich des Verlustes eines einzelnen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes liegt deshalb nicht vor, soweit der Verlust bereits im Entstehungsjahr mit Gewinnen anderer steuerpflichtiger wirtschaftlicher Geschäftsbetriebe verrechnet werden kann. Verbleibt danach ein Verlust, ist keine Verwendung von Mitteln des ideellen Bereichs für dessen Ausgleich anzunehmen, wenn dem ideellen Bereich in den sechs vorangegangenen Jahren Gewinne des einheitlichen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes in mindestens gleicher Höhe zugeführt worden sind. Insoweit ist der Verlustausgleich im Entstehungsjahr als Rückgabe früherer, durch das Gemeinnützigkeitsrecht vorgeschriebener Abführungen anzusehen (vgl. Anwendungserlass zur Abgabenordnung --AEAO--, BStBl I 2008, 26, zu § 55 Abs. 1 Nr. 1 Tz. 4). Außerdem dürfen für den Ausgleich des Verlustes Umlagen und Zuschüsse, die dafür bestimmt sind, verwendet werden.
Bei dem Aufbau eines neuen Betriebes ist nach Auffassung der Verwaltung eine Verwendung von Mitteln des ideellen Bereichs für den Ausgleich von Verlusten auch dann unschädlich, wenn mit Anlaufverlusten zu rechnen war. Auch in diesem Fall muss die Körperschaft aber in der Regel innerhalb von drei Jahren nach dem Ende des Entstehungsjahres des Verlustes dem ideellen Bereich wieder Mittel, die gemeinnützigkeitsunschädlich dafür verwendet werden dürfen, zuführen (AEAO zu § 55 Abs. 1 Nr. 1 Tz. 8 Sätze 3 und 4).
2. Gegen das Senatsurteil in BFHE 181, 396, BStBl II 1998, 711 und die Auffassung der Finanzverwaltung wird eingewandt, ein striktes Verlustausgleichsverbot gehe an der Realität wirtschaftlichen Handelns vorbei. Man könne gemeinnützigen Körperschaften nicht auf der einen Seite unter Hinweis auf § 64 AO die Aufnahme wirtschaftlicher Betätigungen zur Mittelbeschaffung gestatten, ihnen gleichzeitig aber die Erwirtschaftung von Verlusten strikt verbieten. Denn in einer Marktwirtschaft gebe es keine "sicheren Geschäfte", sondern jeder Gewinnchance stehe auch ein gewisses Verlustrisiko gegenüber. Investitionen zur Mittelbeschaffung seien nicht der Ebene der Mittelverwendung, sondern dem Bereich der Mittelerzielung zuzuordnen. Solange eine Investition ex ante wirtschaftlich vernünftig sei, werde das Mittelverwendungsgebot nicht verletzt (Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, § 6 Rz 21 ff.).
Das Bild, dass ein Verlust in einem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb durch Zuwendung von Mitteln aus dem ideellen Bereich ausgeglichen werden müsse, stimme nur in den Fällen, in denen die gemeinnützige Körperschaft eine Beteiligung an einer gewerblich tätigen KG halte. In den Fällen, in denen der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb einer gemeinnützigen Körperschaft nicht rechtlich verselbständigt sei, bewirke der Verlust im steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gleichzeitig einen Verlust der gemeinnützigen Körperschaft selbst. Die Mittel, die bis zur Verlustentstehung für die gemeinnützigen Zwecke zur Verfügung gestanden hätten, hätten sich durch den Verlust vermindert. Die Entstehung von Verlusten bei wirtschaftlichen Aktivitäten sei aber keine schädliche Mittelverwendung (Schauhoff, Deutsches Steuerrecht 1998, 701).
3. Der Senat kann offenlassen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang er der Kritik an der bisherigen Rechtsprechung folgen könnte. Im Streitfall haben FA und FG jedenfalls zu Recht angenommen, dass der Kläger im Streitjahr nicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG von der Körperschaftsteuer befreit war.
a) Der Kläger hat in den Jahren 1997 bis 2001 mit Ausnahme des Jahres 2000, in dem er einen geringen Überschuss erzielt hat, ständig Verluste erwirtschaftet, die er mit Mitteln aus dem ideellen Bereich ausgleichen musste. Obwohl infolge der geänderten Struktur des Gaststättenangebots mit keinen Überschüssen mehr zu rechnen war, hat der Kläger die verlustbringende Tätigkeit fortgesetzt. Jedenfalls ab dem Zeitpunkt, als absehbar war, dass durch den Betrieb der Gaststätte zeitnah keine Überschüsse mehr erzielt werden würden, hätte der Kläger den Betrieb einstellen müssen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil er ausschließlich über Mittel verfügte, die zeitnah für satzungsmäßige Zwecke zu verwenden waren. Aus § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 KStG, § 64 AO folgt zwar, dass steuerbegünstigte Körperschaftsteuersubjekte eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben dürfen. Aufwendungen zur Ingangsetzung einer wirtschaftlichen Tätigkeit (z.B. Erwerb des Umlauf- und Anlagevermögens) sind daher grundsätzlich unschädlich, sofern innerhalb der im AEAO zu § 55 Abs. 1 Nr. 1 Tz. 8 Satz 4 genannten Frist mit Überschüssen zu rechnen ist. Dies gilt jedoch nur bei nicht zeitnah zu verwendenden Mitteln, etwa dem Stiftungsvermögen und den Rücklagen i.S. des § 58 Nr. 7 Buchst. a AO. Zeitnah zu verwendende Mittel (§ 55 Abs. 1 Nr. 5 AO) sind dagegen grundsätzlich nicht in dem Bereich der Einkunftserzielung, sondern unmittelbar zur Verwirklichung des steuerbegünstigten Zwecks einzusetzen.
b) Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb angezeigt, weil der Kläger mit der Vereinsgaststätte lediglich Einnahmen einschließlich Umsatzsteuer erzielt hat, die die Freigrenze von in den Streitjahren 30 678 EUR (jetzt: 35 000 EUR) des § 64 Abs. 3 AO nicht überschritten haben. Denn die Rechtsfolge des § 64 Abs. 3 AO erschöpft sich darin, dass die diesem Geschäftsbetrieb zuzuordnenden Besteuerungsgrundlagen nicht der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer unterliegen. Der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb ändert auch in den Jahren, in denen die Besteuerungsgrenze unterschritten wird, seinen Charakter nicht. Er wandelt sich dadurch insbesondere nicht in einen Zweckbetrieb. Verwendet eine Körperschaft für diese wirtschaftlichen Tätigkeiten Mittel des ideellen Bereichs, verstößt sie daher auch dann gegen das Mittelverwendungsgebot des § 55 Abs. 1 Nr. 1 AO, wenn die Freigrenze des § 64 Abs. 3 AO nicht erreicht wird (vgl. Senatsurteil vom 4. April 2007 I R 55/06, BFHE 217, 113, BStBl II 2007, 725; Tipke in Tipke/ Kruse, a.a.O., § 64 AO Rz 18; Sauer in Beermann/Gosch, a.a.O., § 64 AO Rz 54.1; Klein/Gersch, AO, 9. Aufl., § 64 Rz 6; Koenig in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 64 Rz 20; AEAO zu § 64 Tz. 22).