08.01.2010
Finanzgericht Münster: Urteil vom 31.01.2000 – 9 K 6925/98 K
Die Auflösung einer während des Bestehens einer körperschaftsteuerlichen Organschaft (in vertraglicher Zeit) aus freiwilligen Zuzahlungen der Gesellschafter gebildeten Rücklage führt nicht zu einer Gewinnabführung an den Organträger. Die aufgelöste Kapitalrücklage kann an die Gesellschafter ausgeschüttet werden (kein Ausschluss des Leg - ein - Hol - Zurück - Verfahrens).
IM NAMEN DES VOLKES hat der 9. Senat des Finanzgerichts Münster in der Sitzung vom 31.01.2000, an der teilgenommen haben:
aufgrund mündlicher Verhandlung für Recht erkannt:
Unter Änderung des Körperschaftsteuerbescheides 1991 vom 15.10.1997 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 18.09.1998 wird die Körperschaftsteuer auf ./. 329.783,00 DM herabgesetzt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Gründe
Streitig ist im Rahmen einer Organschaft, ob die Auflösung einer in vertraglicher Zeit gebildeten Kapitalrücklage zu einer Gewinnausschüttung an die Gesellschafter oder zu einer Gewinnabführung an den Organträger führt.
In den Jahren 1991 bis 1992 war die Klägerin (Kl.) als Organgesellschaft über die Kunststofftechnik GmbH als Organträger in den Organkreis der … AG … eingegliedert. Zwischen der Kl. und dem Organträger bestand seit 1991 ein Gewinnabführungsvertrag, der auf unbestimmte Zeit abgeschlossen war. Dieser Vertrag erfüllte zwar nicht die vom Bundesgerichtshof in seinem Beschluß vom 24.10.1988, DB 1988, 2623, geforderten Kriterien; er entsprach jedoch dem ab 1991 geltenden BMF-Schreiben vom 31.10.1998, BStBl. II 1989, 430.
Zum 31.12.1992 wurde der Gewinnabführungsvertrag beendet. Zu diesem Zeitpunkt endete auch das körperschaftsteuerliche Organschaftsverhältnis.
Im Rahmen einer im Jahre 1996 durchgeführten Betriebsprüfung für die Jahre 1991 bis 1994 stellte die Konzernbetriebsprüfung fest, daß die Gesellschafterin der Kl., die Kunststofftechnik GmbH, im Jahre 1991 eine Gesellschaftereinlage in Höhe von 860.114 DM erbracht hatte. Nach Erbringen der Gesellschaftereinlage beschloß die Gesellschafterin der Kl. eine Ausschüttung in Höhe von 1.174.277 DM zum 31.12.1991 außerhalb des Gewinnabführungsvertrages.
In ihrer Einkommensermittlung wies die Kl. den Jahresüberschuß einschließlich Rücklagenveränderung mit 1.174.277 DM aus und korrigierte diesen anschließend außerhalb der Steuerbilanz um die Körperschaftsteuer in Höhe von ./. 329.783 DM (./. 314.163 DM und ./. 15.620 DM). Die Gesellschaftereinlage wurde als sonstige steuerfreie Einlage dargestellt und als Einkommensminderung behandelt.
Die Konzernbetriebsprüfung … ging davon aus, daß es sich bei der in vertraglicher Zeit geleisteten Gesellschaftereinlage um eine Einlage handelt, die der Kapitalrücklage im Sinne des § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB zuzuführen sei und bei einer späteren Auflösung den nach § 291 Abs. 1 Aktiengesetz an den Organträger abzuführenden Gewinn erhöhe. Wie ein in vertraglicher Zeit entstandener Gewinn könne die Einlage nicht an den Gesellschafter ausgeschüttet werden, so daß keine Ausschüttungsbelastung herzustellen sei. Dementsprechend setzte der Beklagte (Bekl.) der Konzernbetriebsprüfung folgend die Körperschaftsteuer mit Bescheid vom 15.10.1997 von vormals ./. 329.783,00 DM auf 0 DM fest.
Die Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals gemäß § 47 Abs. 1 KStG gliederte der Bekl. entsprechend; wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage KSt 1 G/C zur Erklärung zur gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen zum 31.12.1991, die Anlage zum 31.12.1992, die Feststellungsbescheide vom 01.10.1993 sowie 15.10.1997 (31.12.1991), 11.10.1994, 08.02.1995 und 15.10.1997 (31.12.1992) und die Anlagen 11 a und 11 b zum Betriebsprüfungsbericht vom 26.06.1997 Bezug genommen.
Den gegen den geänderten Körperschaftsteuerbescheid vom 15.10.1998 eingelegten Einspruch wies der Bekl. mit Einspruchsentscheidung vom 18.09.1998 als unbegründet zurück.
Zur Begründung ihrer dagegen erhobenen Klage trägt die Kl. vor, die Kl. habe keine Gewinnabführung an den Organträger, sondern eine Gewinnausschüttung an den Gesellschafter vorgenommen. Dies sei handelsrechtlich und steuerrechtlich zulässig. Die Zahlung könne nicht als Gewinnabführung nach § 301 Satz 2 Aktiengesetz behandelt werden. Denn die Vorschrift des § 301 Satz 2 Aktiengesetz erfasse weder die Kapitalrücklage im allgemeinen (§ 272 Abs. 2 HGB) noch die aus Zuzahlungen gebildete Kapitalrücklage (§ 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB). § 301 Satz 2 Aktiengesetz erfasse nur andere Gewinnrücklagen, die in § 272 Abs. 3 HGB definiert seien.
Werde eine Kapitalrücklage in vertraglicher Zeit gebildet und wieder aufgelöst, so erhöhe sie nicht die Gewinnabführung; die Auflösung sei vielmehr als Bilanzgewinn auszuweisen. Der durch die Auflösung ausgewiesene Gewinn könne nur aufgrund eines ordnungsgemäßen Gewinnverwendungsbeschlusses an die Gesellschafter ausgeschüttet werden, nicht hingegen an den Organträger abgeführt werden. Die Auffassung der Finanzverwaltung finde im Gesetz keine Stütze. Die Einbeziehung der in vertraglicher Zeit gebildeten und aufgelösten Kapitalrücklagen in die Gewinnabführung hätte einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedurft. Eine analoge Anwendung des § 301 Aktiengesetz widerspreche dem Verbot steuerverschärfender Analogie.
Anders als bei vorvertraglichen Rücklagen verstoße die Zulassung der Ausschüttung vertraglicher Rücklagen nicht gegen den Schutz der Minderheitsgesellschafter. Lasse man entsprechend der Auffassung der Finanzverwaltung die Abführung der aufgelösten Kapitalrücklage an den Organträger zu, so bedeute dies nicht gleichzeitig, daß eine Ausschüttung dieser aufgelösten Rücklage unzulässig sei.
Nur organschaftliche Rücklagen könnten zugunsten des abzuführenden Gewinns aufgelöst werden. Vororganschaftliche Rücklagen könnten hingegen nur ausgeschüttet werden. Dies diene dazu, eine Benachteiligung der Minderheitsgesellschafter auszuschließen. Sie sollen an den im vororganschaftlicher Zeit gebildeten Rücklagen teilhaben. Der Garantiedividendenanspruch sei für die organschaftliche Zeit keine ausreichende Kompensation. Diese Situation sei hinsichtlich der in der organschaftlichen Zeit gebildeten Kapitalrücklage vergleichbar. Einlagen könnten von allen Gesellschaftern, mithin auch von Minderheitsgesellschaften erbracht werden. Bei deren Auflösung in organschaftlicher Zeit wird der Minderheitsgesellschafter benachteiligt, wenn die aufgelöste Kapitalrücklage der Gewinnabführung unterliege.
Die Kl. beantragt,
unter Änderung des Körperschaftsteuerbescheides 1991 vom 15.10.1997 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 18.09.1998 die Körperschaftsteuer 1991 auf ./. 329.783 DM herabzusetzen.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen;
hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vom 18.09.1998.
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Auflösung einer während des Bestehens der körperschaftsteuerlichen Organschaft (in vertraglicher Zeit) aus freiwilligen Zuzahlungen der Gesellschafter gebildeten Kapitalrücklage führt nicht zu einer Gewinnabführung an den Organträger. Die aufgelöste Kapitalrücklage kann an die Gesellschafter ausgeschüttet werden (kein Ausschluß des sogenannten Leg - ein - Hol - Zurück - Verfahrens).
Für die steuerliche Anerkennung einer körperschaftsteuerlichen Organschaft, bei der die Organgesellschaft eine GmbH ist, ist einerseits gemäß § 17 Satz 2 Nr. 1 KStG Voraussetzung, daß die Gewinnabführung den in § 301 Aktiengesetz genannten Betrag nicht überschreitet, und andererseits, daß gemäß § 14 Satz 1 KStG die Organgesellschaft ihren ganzen Gewinn abführt (§ 17 Satz 1 KStG). Der abzuführende Gewinn bestimmt sich gemäß § 291 Abs. 1 Aktiengesetz i.V.m. § 301 Aktiengesetz nach dem Jahresüberschuß unter Einbeziehung der in § 301 Aktiengesetz geregelten Positionen. Der Begriff des Jahresüberschusses in §§ 291 Abs. 1, 301 Aktiengesetz ist identisch mit dem entsprechenden Begriff in § 275 HGB (Blümich-Danelsing, KStG § 14 Rz. 96; Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, KStG § 14 Rz. 80).
Die aufgrund der Einzahlung der Anteilseignerin der Kl. gebildete und aufgelöste Kapitalrücklage ist eine solche im Sinne des § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB. Diese beeinflußt bei ihrer Bildung nicht das Jahresergebnis. Dementsprechend ist ihre Auflösung ebenfalls ohne Einfluß auf das Jahresergebnis und damit auch nicht Gegenstand einer Gewinnabführung. In der Gewinn- und Verlustrechnung ist sie gemäß § 275 Abs. 4 HGB erst nach dem Jahresüberschuß auszuweisen. Da sie das Jahresergebnis nicht beeinflußt, ist sie nicht als Bestandteil des Gewinns abzuführen. Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht durch die Regelung des § 301 Satz 2 Aktiengesetz. Nach dieser Vorschrift können Entnahmen aus in vertraglicher Zeit gebildeten anderen Gewinnrücklagen handelsrechtlich an den Organträger abgeführt werden. Wegen der Pflicht des § 14 KStG zur Abführung des gesamten Gewinns führt dies steuerlich zu einer zwingenden Gewinnabführung und zum Ausschluß einer Ausschüttung. Dies ist steuerlich konsequent, da die Gewinnrücklagen aus an den Organträger abzuführenden Gewinnen gebildet wurden, mithin aufgrund des Gewinnabführungsvertrages diesem und nicht etwaigen neben dem Organträger vorhandenen Minderheitsgesellschaftern zustehen.
Diese für Gewinnrücklagen aus vertraglicher Zeit sinnvolle und systemgerechte Regelung gilt jedoch nicht für in vertraglicher Zeit durch Zuzahlungen der Gesellschafter gebildete Kapitalrücklagen. Seinem Wortlaut nach erfaßt § 301 Satz 2 Aktiengesetz nur Gewinnrücklagen, nicht aber Kapitalrücklagen. Handelsrechtlich wird die Auflösung solcher Rücklagen von der Gewinnabführung nicht erfaßt (Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage, § 301 Rz. 13; a. A. nur für Zuzahlungen in das Eigenkapital Hüffer Aktiengesetz, 3. Aufl. 1997, § 301 Rz. 8 unter Hinweis auf BMF vom 11.10.1990 - IV B 7-S 2270 - 21/90, DB 1990, 2142). Steuerrechtlich soll die Auflösung einer solchen Rücklage allerdings unter § 301 Satz 2 Aktiengesetz fallen und den gemäß § 291 Abs. 1 Aktiengesetz abzuführenden Gewinn erhöhen (BMF vom 25.07.1994 - IV B 7-S 2270 - 37/94, DB 1994, 1546; Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, KStG, § 14 Rz. 82, 94; a. A. Willenberg-Welte, DB 1994, 1688).
Der Senat hält diese steuerliche Auffassung für unzutreffend. Er ist vielmehr der Auffassung, daß die Vorschrift des § 301 Satz 2 Aktiengesetz die Kapitalrücklagen nicht erfaßt und die der Kapitalrücklage entnommenen Beträge entsprechend den Regelungen der Organschaft nach ihrem Sinn und Zweck nicht unter den abzuführenden Gewinn fallen. Steuerrechtlich fordert § 14 KStG die Abführung des gesamten Gewinns als Ergebnis der wirtschaftlichen Aktivitäten der Organgesellschaft. Die Obergrenze des abzuführenden Gewinns wird durch § 301 Satz 1 Aktiengesetz bestimmt, die Untergrenze durch § 14 Nr. 5 KStG. Die Regelung dient der Kapitalerhaltung im Interesse der Organgesellschaft, ihrer Gesellschafter und ihrer Gläubiger. Daher ist die Abführung durch § 301 Aktiengesetz auf den Gewinn einschließlich aufgelöster in vertraglicher Zeit gebildeter Gewinnrücklagen beschränkt. Vorvertragliche Gewinnrücklagen dürfen zum Schutz außenstehender Gesellschafter nicht aufgelöst und als Gewinn an den Organträger abgeführt werden. Dieser Schutzgedanke trifft auch auf Kapitalrücklagen zu, die durch Zuzahlungen der Gesellschafter gebildet wurden. An diesen sind die Gesellschafter im Falle der Auflösung der Kapitalrücklagen im Wege der Ausschüttung zu beteiligen und nicht ausschließlich der Organträger über eine Gewinnabführung. Zudem berührt die Kapitalrücklage den Gewinn und das erwirtschaftete Ergebnis nicht. Gemäß §§ 14, 17 KStG, §§ 301, 291 Aktiengesetz ist aber nur dieser Gewinn abzuführen. Das Kapital und eventuelle Kapitalrücklagen stehen den Gesellschaftern zu. Sie sind kein dem Organträger als erwirtschaftetes Ergebnis der geschäftlichen Tätigkeit der Organgesellschaft zustehender Betrag. Die Nichterfassung der aufgelösten Kapitalrücklagen im Rahmen der Gewinnabführung führt dazu, daß die Kapitaleinlage durch den Organträger von diesem während der Geltung des Ergebnisabführungsvertrages über die Gewinnabführung nicht zurückgeführt werden kann. Dies kann nur über eine Ausschüttung und bei Fehlen entsprechenden verwendbaren Eigenkapitals möglicherweise in organschaftlicher Zeit gar nicht erfolgen (s. Arthur Andersen KStG § 14 Rz. 667), da wegen der Gewinnabführung entsprechendes verwendbares belastetes Eigenkapital nicht gebildet wird. Dieser Umstand spricht allerdings nicht für eine Erfassung der aufgelösten Kpitalrücklage im Rahmen der Gewinnabführung. Nach den Regelungen des KStG kann eine Kapitaleinlage nur im Wege der Ausschüttung oder der Liquidation vom Gesellschafter zurückerlangt werden. Über diesen Weg wird auch vermieden, daß eine von allen Gesellschaftern einschließlich Minderheitsgesellschaftern geleistete Kapitaleinlage bei ihrer Auflösung über eine Gewinnabführung ausschließlich dem Organträger zulasten etwaiger Minderheitsgesellschafter zugute kommt. Über die Ausschüttung wird diese Benachteiligung von Minderheitsgesellschaftern vermieden.
Gegen die Gewinnabführung und für die Ausschüttung spricht auch, daß das Steuerguthaben aus dem vorhandenen für die Ausschüttung als verwendet geltenden belasteten Eigenkapital in vorvertraglicher Zeit und nicht in organschaftlicher Zeit erwirtschaftet wurde. Die in vorvertraglicher Zeit erwirtschafteten Gewinne, die in Rücklagen eingestellt sind, und die vorvertraglichen Kapitalrücklagen sollen nach den Regelungen des § 301 AktG aber gerade nicht dem Organträger allein aufgrund der Organschaft zufließen, sondern den Gesellschafter als Gewinnverwendung.
Die Einlage der Gesellschafterin der Klin. hat diese gem. § 36 Satz 2 Nr. 2 KStG zutreffend bei der Gliederung des Eigenkapitals der Organgesellschaft und nicht dem Organträger zugerechnet. Ausgehend von den sich danach ergebenden Eigenkapitalanteilen ergibt sich die von der Klin. begehrte KSt-Minderung. Da aufgelöste Kapitalrücklagen dementsprechend nicht an den Organträger abzuführen sind, stehen sie für eine Ausschüttung an die Gesellschafter zur Verfügung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.