11.03.2010
Bundesfinanzhof: Urteil vom 18.11.2009 – II R 46/07
Gründe
1
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts, die am 12. Juni 1968 mit Sitz in A (Deutschland) von einem Unternehmer (Stifter) errichtet wurde. Vorstand der Klägerin waren der Stifter und nach seinem Tod im Jahre 1989 seine zweite Ehefrau. Die Aufsichtsbehörde sah die Klägerin als Familienstiftung an und übte daher nur eine eingeschränkte Stiftungsaufsicht aus. Die Klägerin bezeichnete sich in ihren Satzungen bis 1983 selbst als "Familienstiftung".
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Die mehrmals geänderte Satzung benannte als Stiftungszweck die Unterstützung des Stifters und seiner Ehefrau sowie ihres Sohnes (jeweils § 2 Abs. 1 der Satzung). Nach dem Tod der Ehefrau im Jahre 1981 und der Wiederverheiratung des Stifters bestimmte die Satzung ihn, seine zweite Ehefrau, seine Adoptivtochter sowie den Sohn seiner ersten Ehefrau zu Destinatären. Die Klägerin gewährte den Destinatären bis an deren Lebensende Ansprüche auf monatliche Geldzahlungen, soweit deren Einkünfte einen bestimmten Betrag unterschritten. Die näheren Voraussetzungen für die Zahlungen wurden bei jeder Satzungsänderung modifiziert, insbesondere die Beträge regelmäßig angehoben und zum Teil nachträglich dynamisch an die Beamtenbesoldung gekoppelt. Da die anderweitigen Einkünfte der Destinatäre --seit 1986 auch durch Zahlungen der ebenfalls vom Stifter errichteten B-Stiftung-- nie hinter diesen Grenzbeträgen zurückblieben, leistete die Klägerin seit ihrer Errichtung keine Zahlungen an die Destinatäre.
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Seit 1986 erlaubte die Satzung unter Berücksichtigung von Ausschüttungen an die Destinatäre Spenden an gemeinnützige Einrichtungen (§ 2 Abs. 6 der Satzung vom 10. Oktober 1986), die auch tatsächlich getätigt wurden.
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Nachdem die Klägerin zunächst am 9. Juli 1968 mit einem Barvermögen von 300.000 DM ausgestattet worden war, gehörten ihr seit 1968 auch Unternehmensbeteiligungen. Am 9. Juli 1998 war sie zu 95 v.H. an der X-Verwaltungs-GmbH (Komplementär-GmbH) beteiligt, die einzige Komplementärin der Y-GmbH & Co. KG (Holding-KG) war. Zugleich war die Klägerin zu 80 v.H. Kommanditistin der Holding-KG. Die Holding-KG stand an der Spitze der verschiedenen Unternehmen der Unternehmensgruppe. Die Satzung vom 10. Oktober 1986 bezeichnete die "finanzielle Sicherung der Unternehmensgruppe" als "besonderes Anliegen des Stifters, solange die Stiftung an der Unternehmensgruppe mit insgesamt mehr als 51% beteiligt ist" (§ 3 Abs. 2 der Satzung).
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Die Klägerin konnte mit Beschluss des Vorstands aufgelöst werden (§ 9 der Satzungen von 1968 und 1969, seit dem 31. Dezember 1977 § 12 der Satzung). Die Satzungen von 1968 und 1969 ließen die Auflösung nur zu, wenn die Vermögensanlage u.a. bei der Unternehmensgruppe nicht mehr möglich war. Die Satzungen ab 1977 sprachen die Voraussetzungen einer Auflösung nicht mehr an. Anfallsberechtigt waren gemeinnützige Unternehmen, die in den Satzungen von 1968 und 1969 namentlich benannt waren und deren Auswahl in späteren Satzungen dem Vorstand vorbehalten war.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) sah die Klägerin als Familienstiftung an und setzte gegen sie zuletzt mit Bescheid vom 8. Dezember 2003 Ersatzerbschaftsteuer gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) in Höhe von ... DM (... EUR) fest. Der Einspruch blieb erfolglos.
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Das Finanzgericht (FG) hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, die Klägerin sei keine Familienstiftung i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG. Die finanzielle Sicherung der Unternehmensgruppe begründe keinen unmittelbaren bzw. keinen messbaren Vorteil der Familienangehörigen und genüge nicht den an ein Vermögensinteresse der Familie zu stellenden Anforderungen. Die Bezugsberechtigung der Familienmitglieder sei wegen deren eigener Einkünfte sowie deren Ansprüche gegen die B-Stiftung faktisch ausgeschlossen, so dass die Klägerin nicht wesentlich im Interesse der Familie errichtet worden sei. Die Vorentscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 470 veröffentlicht.
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Mit ihrer Revision rügt das FA Verletzung des § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG. Das Merkmal "im Interesse einer Familie" sei weit auszulegen und umfasse auch die finanzielle Sicherung der eigenen Unternehmensgruppe. Auch die Bezugsrechte der Destinatäre begründeten ein wesentliches Familieninteresse, wobei ohne Bedeutung sei, dass diese tatsächlich keine Zahlungen erhalten hätten.
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Das FA beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen. Die Familienmitglieder seien nur formal als Bezugsberechtigte benannt worden, weil der Stifter bei der damaligen Genehmigungspraxis angenommen habe, nur dadurch eine Unternehmensstiftung errichten zu können.
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II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Klägerin ist entgegen der Auffassung des FG eine Familienstiftung i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG.
12
1.
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG unterliegt der Erbschaftsteuer in Zeitabständen von je 30 Jahren das Vermögen einer Stiftung, sofern sie wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien errichtet ist (Familienstiftung).
13
Diese im Zuge der Erbschaftsteuerreform 1974 durch Gesetz vom 17. April 1974 eingeführte Ersatzerbschaftsteuer soll verhindern, dass in Familienstiftungen gebundenes Vermögen auf Generationen der Erbschaftsteuer entzogen wird (BTDrucks 7/1333, S. 3). Zu diesem Zweck fingiert der Steuertatbestand in Abständen von je 30 Jahren einen Generationenwechsel, bei dem der Erblasser zwei Kinder hinterlässt. Dementsprechend gewährt das Gesetz ausgehend vom Vermögen der Stiftung (§ 10 Abs. 1 Satz 6 ErbStG) den doppelten Freibetrag für Kinder und wendet die Steuersätze der Steuerklasse I mit dem Vomhundertsatz an, der für die Hälfte des steuerpflichtigen Vermögens gelten würde (§ 15 Abs. 2 Satz 3 ErbStG). Die Ersatzerbschaftsteuer ist verfassungsgemäß (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8. März 1983 2 BvL 27/81, BVerfGE 63, 312).
14
2.
Ob eine Stiftung als Familienstiftung anzusehen ist, ist anhand des vom Stifter verfolgten Zwecks der Stiftung zu beurteilen, wie er ihn objektiv erkennbar in der Satzung zum Ausdruck gebracht hat. Die Bezeichnung durch den Stifter sowie die Einschätzung der Stiftungsaufsicht sind für die erbschaftsteuerrechtliche Beurteilung unerheblich.
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a)
Eine Stiftung ist im Interesse einer Familie errichtet, wenn sie den Vermögensinteressen einer Familie gewidmet ist (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Dezember 1997 II R 25/94, BFHE 185, 58, BStBl II 1998, 114). Zu den weit zu fassenden Vermögensinteressen gehören nicht nur Bezugs- und Anfallsrechte, sondern alle unmittelbaren oder mittelbaren, nicht notwendig in Geld bezifferbaren Vermögensvorteile, die die begünstigte Familie aus dem Stiftungsvermögen zieht.
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b)
"Wesentlich" im Interesse einer Familie errichtet ist eine Stiftung dann, wenn das Wesen der Stiftung nach der Satzung und ggf. dem Stiftungsgeschäft darin besteht, es der Familie zu ermöglichen, das Stiftungsvermögen, soweit es einer Nutzung zu privaten Zwecken zugänglich ist, zu nutzen und die Stiftungserträge aus dem gebundenen Vermögen an sich zu ziehen (BFH-Urteil in BFHE 185, 58, BStBl II 1998, 114).
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Gewährt die Satzung nicht nur Familienmitgliedern, sondern auch Dritten Vermögensvorteile, ist eine wertende Gesamtschau aller Vermögensinteressen vorzunehmen. Abzustellen ist dabei jeweils auf den Dreißigjahreszeitraum (BFH-Urteil in BFHE 185, 58, BStBl II 1998, 114).
18
c)
Besteht das Stiftungsvermögen im Wesentlichen aus einem Unternehmen und/oder Unternehmensbeteiligungen, spricht der vom Stifter beabsichtigte Erhalt des Unternehmens weder für noch gegen ein (wesentliches) Familieninteresse. Denn der Erhalt und die Weiterentwicklung des Stiftungsvermögens stellen noch keinen Stiftungszweck dar (MünchKommBGB/Reuter, 5. Aufl. 2006, §§ 80, 81 Rz 95 f.; Pöllath/Richter, in Seifart/von Campenhausen, Stiftungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 12 Rz 142, m.w.N.). Der Pflege des Stiftungsvermögens kann daher bei der Beurteilung des Stiftungszwecks keine entscheidende Bedeutung zukommen. Vorgaben des Stifters zum Stiftungsvermögen sind lediglich als Wiederholung des Motivs für die Errichtung der auf Dauer angelegten Stiftung oder als Bestimmung des Unternehmens als Einkunftsquelle (Dotationsquelle) und damit als Mittel zur eigentlichen Zweckerfüllung der Stiftung aufzufassen (vgl. zur Trennung von Vermögensanlage und Mittelverwendung: Pöllath/Richter, a.a.O., § 12 Rz 53, 142). Auch bei unternehmensbezogenen Stiftungen sind daher nur die ggf. verschiedenen Stiftungszwecke daraufhin zu prüfen, ob die Stiftung wesentlich dem Familieninteresse dient.
19
3.
Ausgehend von diesen Grundsätzen war die Klägerin entgegen der Auffassung des FG zwischen dem Zeitpunkt der ersten Ausstattung mit Vermögen am 9. Juli 1968 und dem Entstehen der Ersatzerbschaftsteuer mit Ablauf des 9. Juli 1998 (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) eine Familienstiftung i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG.
20
a)
Bereits die Bezugsberechtigung der in den Satzungen bezeichneten Familienangehörigen prägt das Wesen der Klägerin als Familienstiftung. Die Unterstützung dieser namentlich benannten Angehörigen des Stifters ist der einzige in allen Satzungen ausdrücklich benannte Stiftungszweck. Die Satzung gewährt ausschließlich Familienmitgliedern als Ansprüche verfestigte Rechtspositionen. Der Annahme eines wesentlichen Familieninteresses steht nicht entgegen, dass im Streitfall die Bezugsberechtigung die Unterschreitung von Einkommensgrenzen voraussetzte, die bei den Destinatären im Dreißigjahreszeitraum nicht eingetreten ist. Auf die Wahrscheinlichkeit, mit der die Destinatäre mit Unterstützungsleistungen rechnen konnten, kommt es nicht an. Zwar war damit der wirtschaftliche Gehalt der Bezugsberechtigung gering; dies relativiert sich aber im Hinblick auf die ohnehin schmale Zwecksetzung für die Klägerin, der es an einem weiteren mit Rechtsansprüchen ausgestatteten Begünstigten fehlt.
21
b)
In Anbetracht der Bezugsberechtigung der Familienmitglieder fallen die gegen eine Familienstiftung sprechenden Umstände nicht entscheidend ins Gewicht.
22
aa)
Das gilt zunächst für die Spenden, die nach der Satzung von 1986 zugelassen und auch tatsächlich getätigt worden waren. Anders als bei der Bezugsberechtigung der Familienmitglieder räumte die Satzung nämlich nicht bestimmten Empfängern entsprechende Ansprüche ein, sondern stellte es in das Ermessen des Vorstands, ob, an wen und in welcher Höhe gespendet werden sollte. Zudem waren die Spenden ausdrücklich gegenüber der Sicherung der Familienmitglieder nachrangig. Entgegen R 2 Abs. 2 Satz 4 der Erbschaftsteuer-Richtlinien 2003 kommt es für die Gewichtung der Spenden im Vergleich zu den Vorteilen für die Familienmitglieder nicht auf ein wie auch immer beschaffenes Verhältnis der tatsächlich ausgeschütteten Erträge an Familienmitglieder und familienfremde Empfänger an, sondern auf die Bezugsberechtigung.
23
bb)
Auch die Anfallsberechtigung der gemeinnützigen Unternehmen stellt die Einordnung der Klägerin als Familienstiftung nicht in Frage. Die Satzungen enthielten von 1977 an keine Regelungen darüber, unter welchen Voraussetzungen die Stiftung aufzulösen war. Hierüber hatten allein der Vorstand, also der Stifter und nach seinem Tod seine zweite Ehefrau, zu entscheiden; diesen war auch die Auswahl der gemeinnützigen Unternehmen vorbehalten. Im Übrigen deutete während des Dreißigjahreszeitraums nichts auf eine Auflösung der Klägerin hin.
24
cc)
Der Beurteilung der Klägerin als Familienstiftung stehen die mit ihrer Errichtung etwa verbundenen Motive des Stifters nicht entgegen. Die Bezugsberechtigung der Familienmitglieder war ernstlich gewollt, um die Genehmigung der Stiftung zu erlangen. Dies wird auch durch die ständige Anpassung der Bezugsberechtigung an die geänderten familiären Verhältnisse und die mehrfache Heraufsetzung der für die Destinatäre bestimmten Beträge deutlich.
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4.
Da das FG die Klägerin zu Unrecht nicht als Familienstiftung angesehen hat, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der angefochtene Steuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die auf die Aufhebung dieser Steuerfestsetzung gerichtete Klage war daher abzuweisen.