· Fachbeitrag · Gemeinnützigkeit
Streit in und ums Essen: Droht der Tafel die Aberkennung der Gemeinnützigkeit?
von RA Berthold Theuffel-Werhahn, FAStR/FAHGR, Leiter des Bereichs Stiftungsberatung, PricewaterhouseCoopers GmbH, Kassel
| Der Streit um die „Essener Tafel“ polarisiert. Andere steuerbegünstigte Einrichtungen ‒ auch Stiftungen ‒ könnten vor ähnlichen Fragen stehen. In Fortsetzung des Beitrags in SB 18, 76 sollen die gemeinnützigkeitsrechtlichen Aspekte betrachtet werden. |
1. Altenhilfe und Wohlfahrtspflege
Der ‒ wenngleich nur als vorübergehend gedachte e‒ Ausschluss von „Kunden“ der Tafel könnte gemeinnützigkeitsrechtlich problematisch sein.
§ 52 Abs. 1 S. 1 und 2 AO definieren allgemein die Anforderungen an die Gemeinnützigkeit: Eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Eine Förderung der Allgemeinheit ist nicht gegeben, wenn der Kreis der Personen, dem die Förderung zugutekommt, fest abgeschlossen ist (Beispiel: Zugehörigkeit zu einer Familie oder zur Belegschaft eines Unternehmens). Oder er kann infolge seiner Abgrenzung, insbesondere nach räumlichen oder beruflichen Merkmalen, dauernd nur klein sein.
Gemeinnützige Zwecke, die die Tafeln im Rahmen ihrer Tätigkeit verfolgen, sind insbesondere
- die Altenhilfe, § 52 Abs. 2 Nr. 4 AO, sowie
- die Wohlfahrtspflege, § 52 Abs. 2 Nr. 9 i.V.m. § 66 AO.
1.1 Altenhilfe
Altenhilfe soll dazu beitragen, Schwierigkeiten, die durch das Alter entstehen, zu verhüten, zu überwinden oder zu mildern und alten Menschen die Möglichkeit zu erhalten, am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen, § 75 Abs. 1 S. 2 BSHG a.F. Als Maßnahme der Altenhilfe kommt im Fall der Tafeln insbesondere in Betracht die Hilfe zum Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung, der Bildung oder den kulturellen Bedürfnissen alter Menschen dienen, § 52 Abs. 2 Nr. 4 BSHG a.F. Die Altenhilfe umfasst auch die Altenfürsorge (BR-Drucks. 418/99, 16). Häufig überschneidet sich die Altenhilfe mit mildtätigen Zwecken, was nicht schadet, vgl. Klein/Gersch, AO, § 52 Rn. 19.
1.2 Wohlfahrtspflege
Ebenfalls einschlägig ist die Förderung des Wohlfahrtswesens, § 52 Abs. 2 Nr. 9 i.V.m. § 66 AO. Wohlfahrtspflege ist die planmäßige, zum Wohle der Allgemeinheit und nicht des Erwerbs wegen ausgeübte Sorge für notleidende oder gefährdete Mitmenschen, § 66 Abs. 2 S. 1 AO. Die Sorge kann sich auf das gesundheitliche, sittliche, erzieherische oder wirtschaftliche Wohl erstrecken und Vorbeugung oder Abhilfe bezwecken, § 66 Abs. 2 S. 2 AO. Nicht erforderlich ist es, dass die Tafeln zu den amtlich anerkannten Verbänden der freien Wohlfahrtspflege gehören, vgl. Klein/Gersch, AO, § 52 Rn. 25. Vgl. dazu § 23 UStDV, in der die amtlich anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege aufgezählt werden; die Tafeln gehören nicht dazu.
2. Keine Förderung des Allgemeinwohls?
Am Maßstab der Rechtsprechung des BFH u. a. zur fehlenden Förderung des Allgemeinwohls von sog. „Freimaurerlogen“ gemessen, die regelmäßig keine Frauen zulassen, könnte auch die Essener Tafel mit dem ‒ temporären ‒ Ausschluss von Kunden ohne deutsche Staatsangehörigkeit gegen Gemeinnützigkeitsrecht verstoßen.
Der BFH (17.5.17, V R 52/15, Abruf-Nr. 195587, dazu Theuffel-Werhahn, SB 17, 176) hatte entschieden, dass die Tätigkeit der betreffenden Freimaurerloge nicht darauf gerichtet sei, die Allgemeinheit i. S. des § 52 Abs. 1 S. 1 AO auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Zwar erfülle sie nicht die speziellen Ausschlussvoraussetzungen des § 52 Abs. 1 S. 2 AO (fest abgeschlossener Kreis der Personen, denen die Förderung zugutekomme, zum Beispiel Zugehörigkeit zu einer Familie oder zur Belegschaft eines Unternehmens, oder infolge seiner Abgrenzung, insbesondere nach räumlichen oder beruflichen Merkmalen, dauernd nur kleiner Kreis). Allerdings fördere die Loge die Allgemeinheit nicht i. S. v. § 52 Abs. 1 S. 1 AO, da sie Frauen ohne sachlich zwingenden Grund von der Mitgliedschaft ausschlösse.
Bei dem Tatbestandsmerkmal einer Förderung der „Allgemeinheit“ handele es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Gehalt wesentlich geprägt werde durch die objektive Wertordnung, wie sie insbesondere im Grundrechtskatalog der Art. 1 bis 19 GG zum Ausdruck komme. Eine Tätigkeit, die mit diesen Wertvorstellungen nicht vereinbar sei, sei keine Förderung der Allgemeinheit.
- Als Förderung der Allgemeinheit seien daher solche Bestrebungen nicht anzuerkennen, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland oder gegen verfassungsrechtlich garantierte Freiheiten richteten.
- Gleiches gälte für einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Ein Verein, der entgegen Art. 3 Abs. 3 GG die wesensmäßige Gleichheit aller Menschen in Abrede stelle, sei daher mangels Förderung der Allgemeinheit nicht als gemeinnützig einzustufen.
Die Loge diskriminiere Frauen, da sie nur Männer als Mitglieder aufnähme und nur diesen das Erlebnis des Rituals in den Tempelarbeiten offenstünde. Indem die Loge Frauen von der Mitgliedschaft sowie von der Teilnahme an den rituellen Arbeiten selbst dann ausschlösse, wenn sie die für Männer geltenden Aufnahmebedingungen (über 21 Jahre alt, unbescholten, wahrheitsliebend, Zugehörigkeit zu christlicher Glaubensgemeinschaft, Bekenntnis zur Lehre Jesu Christi) erfüllten, geschähe dies alleine wegen ihres Geschlechts. Es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass diese Ungleichbehandlung von Männern und Frauen sachlich gerechtfertigt wäre, sodass ein Verstoß gegen die Werteordnung des GG vorläge.
An das Geschlecht anknüpfende differenzierende Regelungen seien mit Art. 3 Abs. 3 GG nur vereinbar, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten könnten, zwingend erforderlich seien. Fehle es an zwingenden Gründen für eine Ungleichbehandlung, lasse sich diese nur noch im Wege einer Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht legitimieren. Entgegen der Ansicht der Loge lägen die Voraussetzungen hierfür nicht vor.
Nach diesen Grundsätzen wäre die Gemeinnützigkeit der Essener Tafel zumindest infrage gestellt, weil lediglich anhand des Kriteriums der Staatsangehörigkeit über Zugang (oder eben Nichtzugang) zu Leistungen der Tafel entschieden wurde. Dieses Kriterium ist ähnlich ungeeignet für eine sachgerechte Differenzierung, wie das Kriterium des Geschlechtes im Fall der Freimaurerloge (jedenfalls aus Sicht des BFH).
3. Die besondere Situation bei der „Essener Tafel“
Bei der Beurteilung muss jedoch zugunsten der Tafel auch berücksichtigt werden, dass Neukunden der Essener Tafel ohne deutschen Pass nicht für die Zukunft per se ausgeschlossen werden, sondern auf einer Warteliste für die Warenverteilung geführt werden sollten. Diese vorübergehende Warteliste hatte zumindest bezweckt, eine dem Anteil unterschiedlicher Staatsangehörigkeiten an der (Gesamt-)Bevölkerung entsprechende Verteilung der Leistungen an die von der Tafel unterstützten Hilfsbedürftigen (wieder-)herzustellen. So erscheint dieser Ausschluss ‒ vor allem wegen seines von vornherein nur als vorübergehend geplanten Charakters ‒ als grenzwertig, aber gerade noch vertretbar.
Zum Redaktionsschluss lagen keine Informationen darüber vor, ob der umstrittene Aufnahmestopp für Ausländer als Bedürftige bereits aufgehoben wurde oder nicht. Die Aufhebung des Aufnahmestopps war ursprünglich für Ende März angekündigt und später auf Anfang April verschoben worden.
4. Mildtätigkeit (§ 53 AO)
Mit ihren Leistungen erfüllen Tafeln ‒ generell und auch die Essener Tafel ‒ mildtätige Zwecke i. S. d. § 53 AO, indem Menschen, die infolge körperlichen, geistigen oder seelischen Gebrechens (§ 53 Nr. 1 AO) oder aus wirtschaftlichen Gründen hilfsbedürftig sind, selbstlos unterstützt werden. Anders als jedoch bei der Gemeinnützigkeit, § 52 AO, kommt es bei der Mildtätigkeit nicht auf eine Förderung der Allgemeinheit, sondern auf die Förderung der in § 53 AO genannten zwei Personengruppen an, vgl. Klein/Gersch, AO, § 53 Rn. 1.
Auf Antrag der Körperschaft kann auf einen Nachweis der wirtschaftlichen Hilfebedürftigkeit verzichtet werden, wenn aufgrund der besonderen Art der gewährten Unterstützungsleistung sichergestellt ist, dass nur wirtschaftlich hilfebedürftige Personen unterstützt werden, vgl. § 53 Nr. 2 S. 8 AO. Hierbei sind die besonderen Gegebenheiten vor Ort sowie Inhalte und Bewerbungen des konkreten Leistungsangebots zu berücksichtigen, vgl. Nr. 12 zu § 53 AEAO. Im Regelfall müssen die Tafeln deshalb keinen Nachweis erbringen, vgl. Nr. 12 zu § 53 AEAO. Gleiches gilt für den Nachweis über die Einhaltung der Zweidrittelgrenze i. S. d. § 66 AO, vgl. Nr. 7 zu § 66 AEAO.
5. Verstoß gegen § 51 Abs. 3 S. 1 AO?
Die Steuervergünstigung setzt voraus, dass die Körperschaft nach ihrer Satzung und bei ihrer tatsächlichen Geschäftsführung dem Gedanken der Völkerverständigung nicht zuwiderhandelt, § 51 Abs. 3 S. 1 AO.
Diese durch das JStG 2009 eingeführte Ergänzung stellt lediglich klar, dass grundgesetzschädigende und ausländerfeindliche Zweckverfolgung bereits nach der bisherigen einhelligen Auffassung nicht dem Gemeinwohl dient, vgl. Koenig, AO, § 51 Rn. 23. Durch die Stellung im Gesetz ist die Einschränkung der steuerbegünstigten Zwecke nicht auf die gemeinnützigen Zwecke beschränkt, sondern kann sich auch bei den kirchlichen und mildtätigen Zwecken auswirken, vgl. Klein/Gersch, AO, § 51 Rn. 11.
Nimmt man in den Blick, dass es schon vor Einführung dieser Bestimmung gefestigter Rechtsauffassung entsprach, dass Tätigkeiten, die mit den Wertvorstellungen des Grundgesetzes unvereinbar sind, keine Förderung der Allgemeinheit darstellen können (vgl. Klein/Gersch, AO, § 51 Rn. 11) und vergleicht die Maßstäbe, die der BFH in der Freimaurerloge-Entscheidung (s. o.) anlegt, mit dem Ausschluss von Neukunden ohne deutsche Staatsangehörigkeit bei der Essener Tafel, erscheint die Gemeinnützigkeit auch unter dem Aspekt der Mildtätigkeit infrage gestellt.
6. Relevanz für die Praxis
Es ist damit zu rechnen, dass Fälle, in denen ‒ wie bei der „Essener Tafel“ >‒ eine grundgesetzwidrige „Diskriminierung“ behauptet wird, immer mehr zunehmen werden. Dies zeigt ein anderes aktuelles Beispiel außerhalb des „Dritten Sektors“: die Klage einer Bremer Schulleiterin gegen die Bildungsbehörde, um die Einrichtung einer Inklusionsklasse zu verhindern.
So richtig und unangefochten die Maßstäbe des BFH sind, führt die Anwendung im Einzelfall ‒ bei der „Essener Tafel“ wie schon bei der Freimaurerloge ‒ zu Ergebnissen, die nicht wirklich überzeugen: Der BFH schießt (deutlich) über das Ziel hinaus.
Weiterführender Hinweis
- Zu den rechtlichen Aspekten der Entscheidung der Essener Tafel, insbesondere zur Frage der Diskriminierung, Theuffel Werhahn, SB 18, 76