· Fachbeitrag · Editorial November 2023
Selbstverständliches
| Vor allem steuerrechtliche Fragen führen im Zusammenhang mit gemeinnützigen Stiftungen immer wieder einmal zu Rechtsstreitigkeiten. So stritt in einem Fall ein gemeinnütziger Kläger mit der Finanzverwaltung darüber, wie aus der entgeltlichen Überlassung von Räumlichkeiten an eine andere gemeinnützige Körperschaft erzielte Gewinne steuerlich einzuordnen sind ( BFH, Beschluss vom 30.06.2023, Az. V B 13/22, Abruf-Nr. 236352 , DStR 2023, 1600 ff.). Fallen die „Gewinne“ unter die steuerfreie Vermögensverwaltung? Sind sie Teil eines ebenfalls steuerfreien Zweckbetriebs? Oder sind sie als wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb zu versteuern? |
Dieses steuerliche (Standard-)Thema soll hier nicht vertieft werden. Der BFH-Beschluss ist aus einem anderen, eher allgemeinen Grund erwähnenswert. Der BFH gibt dort einen grundsätzlichen Hinweis zur mündlichen Verhandlung in modernen Zeiten, nämlich zur Verhandlung per Videokonferenz. Dazu scheint mir genau genommen gar kein näherer Blick in die Gesetze erforderlich. Der BFH hat beschlossen, dass während einer gerichtlichen Videokonferenz für alle Beteiligten feststellbar sein muss, ob die befassten Richter in der Lage sind, der Verhandlung in ihren wesentlichen Abschnitten zu folgen. Das nämlich erfordert, so der BFH, dass alle zur Entscheidung berufenen Richter während der Videokonferenz für die lediglich zugeschalteten Beteiligten per Video sichtbar sind. Die Video-Übertragungstechnik muss ohne Verlust an rechtsstaatlicher Qualität genutzt werden, betont der BFH. Wenn das keine Selbstverständlichkeit ist! Tatsächlich war in dem Fall überwiegend nur der Vorsitzende Richter des Senats im Bild zu sehen.
Der Beschluss erstaunt ‒ und das nicht wegen seines Inhalts. Es erstaunt, dass die Befassung des BFH überhaupt erforderlich geworden ist. Es ist doch eine ohne Weiteres auf der Hand liegende Selbstverständlichkeit, dass ein Parteivertreter vor Gericht z. B. feststellen können muss, ob ein beteiligter Richter nicht etwa schläft, während mündlich verhandelt wird. Liegt es in uns Juristen, dass wir uns gerne über solche Binsenweisheiten streiten? Oder dass wir (vermeintlich) gerne rabulistisch förmeln?
Sinnvoll wäre es aus meiner Sicht jedenfalls, wenn wir Juristen uns immer wieder einmal selbstkritisch betrachten und uns fragen, worum es in einer Angelegenheit eigentlich geht. Das könnte oft schon helfen ‒ und zwar nicht nur bei Gerichtsverhandlungen, sondern bei unserem gesamten Tun und der Anwendung von Recht. Das kann unnötigen Aufwand vermeiden. Es kann zudem dafür sorgen, dem leider bestehenden Vorurteil des Anwalts als „Rechtsverdreher“ entgegenzuwirken.
Viel Spaß bei der Lektüre.
Dr. K. Jan Schiffer | Rechtsanwalt