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  • · Fachbeitrag · Qualitätsverlust

    Auf Kante genäht: Wie Einsparungen um jeden Preis Leben und Arbeit erschweren

    von RA Dr. K. Jan Schiffer, www.schiffer.de, Bonn

    | Ich mag Zeitdiebe nicht. Sie lauern überall, in Hotlines, bei Unternehmen und Behörden, aber auch im Stiftungswesen. Man kann fast meinen, mit einer Mischung aus Hinhalten und Inkompetenz sollen nicht nur Verbraucher, sondern auch Berufsträger „mürbe“ gemacht werden. Lassen wir uns das nicht mehr gefallen: ein Plädoyer für Zielorientiertheit und fachliche Kompetenz. |

    1. Hinhaltetaktik als Credo

    Kennen Sie das auch? Sie erreichen niemanden oder Sie warten gefühlt unendlich lange in einer Hotline. Und wenn Sie dann doch endlich jemanden erreicht haben, müssen Sie in der Folge ständig nachfragen. Die Personen, die Sie mit Ihrem Anruf oder auch Ihrer schriftlichen Anfrage erreichen, sind tatsächlich oder angeblich nicht zuständig oder wissen kaum bis nicht Bescheid. Noch schlimmer: Sie wirken absolut uninteressiert oder wiederholen immer nur dieselben Argumente und Allgemeinplätze, ohne sich mit Ihnen, Ihrem Anliegen und Ihren Argumenten auseinandersetzen zu wollen. Sie kommen gar nicht erst in eine echte Kommunikation.

     

    Wo mir das begegnet? Privat, aber auch beruflich bei Behörden und Unternehmen sowie bei „Verhandlungspartnern“ in der Stiftungswelt und auch sonst. Warum mich das stört? Es kostet mich Zeit, Aufwand sowie Nerven und bringt mich häufig kaum bis gar nicht weiter.

    2. Schlanker werden auf Kosten anderer und der Qualität

    Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass Controller und Unternehmensberater mit bunten PowerPoint-Präsentationen mir in meiner Funktion als Mitglied z. B. des Aufsichtsorgans einer Stiftung oder eines Unternehmens berichten und nahelegen, wie man die betreffende Organisation und ihren Output optimieren sowie Synergien nutzen kann ‒ durch Einsparen, Zusammenfassen, Umgruppieren, Weglassen, Konzentrieren, billiger Einkaufen oder Ersetzen, Entlassen und durch Outsourcen.

     

    Ja, ich weiß, dass an vielen Stellen die Mittel knapp werden. Gerade bei Stiftungen, die bekanntlich erhebliche Probleme haben, ausreichend Erträge für Ihre Zweckerfüllung zu erlangen, weiß ich das. Ich weiß auch, dass die moderne IT und die Globalisierung uns erhebliche Möglichkeiten geben, Abläufe und Systeme zu beschleunigen und zu optimieren, aber ich kenne eben auch das eingangs skizzierte häufige Ergebnis solcher Maßnahmen.

     

    Ich habe kein Verständnis dafür, dass Unternehmen und Behörden, ihre Optimierung zu meinen Lasten betreiben. Nur ein Beispiel: Als Fachautor habe ich immer wieder erlebt, wie Verlage durch neue „Systemer“ und Vorlagen versuchen, die eigentliche Lektoratsarbeit an meinem Text (Layout, Rechtschreibprüfung, Vereinheitlichung der genutzten Abkürzungen und Zitate, …) auf mich als Autor abzuwälzen oder ganz zu unterlassen (= kritische Durchsicht des Texts und dem Hinterfragen des Inhalts).

     

    Was bei der Arbeit mit Fachverlagen funktioniert, nämlich das konsequente Beenden einer solchen „Zusammenarbeit“, ist in vielen anderen beruflichen und privaten Bereichen nicht möglich. Ich kann nicht den Kontakt zu einer Behörde einstellen, bei der ich etwas für eine Stiftung erreichen will.

     

    Die Facetten des hier skizzierten Befunds sind mannigfaltig und natürlich spreche ich sie nicht alle an. Zu den denkbaren Ursachen habe ich aber einige Gedanken. Ich sehe aktuell insbesondere fünf folgende Punkte:

     

    a) Mögliche Einsparungen im Personalbereich werden übertrieben

    Anstatt Fachleute zu engagieren, werden preiswertere Kräfte „eingekauft“, die für ihre Aufgabe leider nur angelernt und nicht wirklich ausgebildet werden. Sie kennen die Grundlagen und Hintergründe ihres Tuns nicht. Sobald es sich um eine Spezialangelegenheit jenseits des gelernten Standardfalls handelt, folgt daraus für den leider nur Angelernten notwendigerweise eine Überforderung und das mit den o. g. Ergebnissen. Das muss mit mangelndem Einsatz noch nicht einmal etwas zu tun haben, wie das treffende Schlagwort vom „Schmalspur-Workaholic“ belegt.

     

    b) Sinnvolle Spezialisierungen werden übertrieben

    Der spezialisierte Spezialist, der heute zunehmend propagiert wird (kritisch SB 18, 225) ist anders als der spezialisierte Generalist (a. a. O.) von einem Lebenssachverhalt leicht überfordert. Er kann nicht einmal die verschiedenen Aspekte des Sachverhalts erkennen, weil er eben nur sein kleines Spezialthema beleuchtet (kritisch SB 14, 122). Es ist doch absurd, dass wir in einer Zeit immer engere Spezialisierungen fordern, in der uns zugleich die unendliche Komplexität des modernen Lebens und der modernen Wirtschaft immer deutlicher wird.

     

    c) Die reine Kostenbetrachtung wird übertrieben

    Da ältere Mitarbeiter auf den ersten Blick mehr kosten, werden immer noch gerne ältere Kollegen durch jüngere, vermeintlich preiswertere Kollegen ersetzt. Der Kompetenzverlust liegt aber auf der Hand. Da reicht es nicht, nur einen Blick auf das jeweilige Gehalt zu werfen. Da muss man mehr im Blick haben: Erfahrung, Gespür, Bauchgefühl und natürlich auch möglicherweise nachlassende Leistungsfähigkeit im Alter. Spezifische Arbeits- und Vergütungsmodelle sind hier ein zunehmend propagierter Lösungsansatz, den ich allerdings bei den öffentlich-rechtlichen Arbeitgebern noch kaum bis gar nicht finde ‒ bei größeren Stiftungen hingegen schon.

     

    d) Die Organisationsverschlankung wird übertrieben

    Scheidet etwa ein älterer leitender Mitarbeiter mit Leitungsfunktion aus, wird oft kein Nachfolger ernannt, sondern die Leitungsaufgabe einem Mitarbeiter zusätzlich und zwar „kommissarisch“ übertragen. Wie wenig sinnvoll das gerade in Zeiten besonderer Arbeitsbelastung ist, liegt auf der Hand. Demotivierend ist es unabhängig davon in der Regel für den nur kommissarischen Nachfolger auch.

     

    e) Das Ausdünnen wird übertrieben

    Wo früher drei Personen tätig waren, ist es heute eine Person aus den vorstehend angesprochenen Personenkreisen. Natürlich wird die Person durch ein großartiges System und eine unglaubliche IT unterstützt. Nur, wenn dann der Aufwand über den des Standardfalls hinausgeht, hat der arme zuständige Mitarbeiter gar keine Zeit, sich mit den Spezialproblemen zu befassen und diese vielleicht sogar zu erledigen. So eng ist er getaktet. Er arbeitet nur noch gegen die Fallzahl an, die er nach Ansicht der Controller (theoretisch) doch erledigen können muss, und kommt gar nicht mehr zum Nachdenken.

    3. Thesen

    Was folgt aus alledem? Das wird näher zu betrachten und zu diskutieren sein. Einige Gedanken kann ich aber hier schon festhalten:

     

    • Eine gesunde Skepsis gegenüber den so häufig propagierten Einsparpotenzialen scheint mir angebracht. Ein Gesamtblick auf eine Angelegenheit und auch auf einen Einsparvorschlag ist unerlässlich. Genau genommen wissen wir es doch alle sehr gut: Eine jede Organisation muss atmen können, braucht Reserven für den Sonderfall. Auf Kante zu nähen, spart auf Dauer nicht wirklich, sondern kostet Mehraufwand im Spezialfall, kostet Vertrauensverlust der Geschäftspartner sowie Kunden und kostet Motivation der Mitarbeiter und Mitstreiter.

     

    • Wir alle sehen zunehmend, dass Nachhaltigkeit ein entscheidender Punkt ist, der oftmals kurzfristig hebbare Potenziale schlägt. Bleiben wir also, wo wir entsprechende Verantwortung haben skeptisch, wenn wieder einmal unbedingt auf Kante genäht werden soll. Da bedarf es schon besonders guter Begründungen, damit das im Einzelfall überzeugt.

     

    • Fordern wir auch unabhängig davon in der Praxis immer wieder tragfähige Begründungen für die Ansichten und Entscheidungen unserer Gegenüber, und gerade auch von den Behörden oder von den Gerichten, die in unserem Fall zu entscheiden haben.

     

    • Seien wir vor dem skizzierten Hintergrund unbedingt mutig, z. B. wenn eine Stiftungsbehörde oder eine Finanzverwaltung angeblich zu hohe Verwaltungskosten bei einer gemeinnützigen Stiftung moniert. Hier sind pauschale prozentuale Obergrenzen ersichtlich ein falscher Denkansatz. Es sind auch hier die Besonderheiten im Einzelfall zu beachten und vor allem die Qualität sowie der Gedanke der Tragfähigkeit und Nachhaltigkeit der Stiftungsorganisation.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Die Gedanken werden mit einem Beitrag zur Stiftungserrichtung in einer der nächsten Ausgabe weiter verfolgt.
    Quelle: Ausgabe 02 / 2019 | Seite 21 | ID 45698400