· Fachbeitrag · Mietrecht
Der pflegebedürftige Mieter ‒ (teilweise) Überlassung der Wohnung an Dritte zulässig?
von RA Dr. Hans-Reinold Horst, Hannover / Solingen
| Welche Folgen hat die Pflegebedürftigkeit von Senioren für ihre Wohnsituation? Der zweite Teil dieses Beitrags beschäftigt sich mit der Untervermietung und der Überlassung einer gemieteten Wohnung. Zur Erinnerung hier noch einmal der Ausgangsfall, dessen Lösung Sie am Ende des Beitrags finden: Oma O wohnt in der 1. Etage und ist dement. Ihre Kinder wohnen im Erdgeschoss. Sie möchten die Oma zu sich nehmen, um sie zu pflegen. Die Wohnung im 1. Obergeschoss, die dann frei wird, soll von den Enkelkindern (junge Familie) genutzt werden. |
4. Untervermietung
Die Untervermietung ist erlaubnispflichtig und ohne Genehmigung des Vermieters vertragswidrig. Der Mieter ist gemäß § 540 Abs. 1 BGB nicht berechtigt, die Mietsache ohne Erlaubnis des Vermieters unterzuvermieten.
PRAXISTIPP | Allerdings ist auf einen entsprechenden Erlaubnisanspruch des pflegebedürftigen Mieters zur Genehmigung der Untervermietung in den gesetzlichen Grenzen von §§ 540, 553 BGB hinzuweisen. Im Falle eintretender eigener Pflegebedürftigkeit wird dem Mieter ein berechtigtes Interesse an der Untervermietung von Wohnungsteilen an eine Pflegekraft zugebilligt (AG Tempelhof-Kreuzberg 6.3.14, 23 C 226/13, juris; Blank in: Schmidt-Futterer, Kommentar zum Mietrecht, § 540 BGB Rn. 24). |
Beachten Sie | Teilweise wird eine Erlaubnis des Vermieters nicht für notwendig gehalten, weil es sich bei einer Pflegeperson nur um einen Besitzdiener (§ 855 BGB) handeln könne, der nicht eigenständig nutzen könne (Kraemer/von der Osten in: Bub/Treier, 4. Aufl. 2014, Teil III. Rn. 2499, S. 996).
Schon das Interesse eines älteren Mieters an einer vorbeugenden Abwehr von Vereinsamung nach Auszug seiner Kinder wurde als anspruchsbegründend anerkannt (AG Hamburg 16.5.90, 45 C 334/90, WuM 90, 500).
a) Kündigungsrelevantes Verhalten?
Dabei wird unterschiedlich beurteilt, ob sich ein Mieter kündigungsrelevant verhält, wenn er den Vermieter über sein Vorhaben nicht zuvor informiert, ihn sodann um eine Genehmigung zur Untervermietung nachsucht und ggf. seinen Erlaubnisanspruch geltend macht:
- Während dem Vermieter nach einer Auffassung grundsätzlich auch ein fristloses Kündigungsrecht gemäß § 543 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Alt. 2 BGB eingeräumt wird (AG München 25.4.13, 423 C 29146/12, IMR 14, 15),
- stellt eine vermittelnde Ansicht auf eine fristgemäße Kündigungsmöglichkeit gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB ab (BGH 10.10.07, XII ZR 12/07, NZM 08, 167, nur Leitsatz; OLG Hamm WuM 97, 364 = NJW-RR 97, 1370; BayObLG RE-Miet 3/94, WuM 95, 378).
- Die Gegenansicht verweigert einer so gestützten Kündigung des Vermieters die Wirksamkeit, da im Falle eines bestehenden Erlaubnisanspruchs seine Kündigung dem Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens unterliege (§ 242 BGB; BayObLG RE-Miet 1/90, ZMR 91, 64; LG Berlin 21.3.91, 62 S 483/90, juris; LG Köln 5.4.91, 12 S 393/90, WuM 91, 548; LG Hamburg 20.7.01, 311 S 5/01, ZMR 01, 973; Blank in: Schmidt-Futterer, Kommentar zum Mietrecht, § 573 BGB Rn. 24).
Beachten Sie | Jedwede Kündigungsmöglichkeit mit dem Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens bei infrage kommendem Erlaubnisanspruch zu versagen hieße, ein eindeutig vertragswidriges Verhalten auch gegen gesetzliche Vorgaben des Mietrechts sanktionslos zu akzeptieren. Der Mieter erhielte so einen Freibrief, nach Gutdünken „schalten und walten“ zu können.
b) Wer nutzt die Wohnung?
Umgekehrt ist es für den Vermieter von erheblicher Bedeutung, wer die Wohnung nutzt. Dies gilt einmal mit Blick auf die „soziale Passform“ des Vertragspartners und Wohnungsnutzers, die extra in einer vorvertraglichen Verhandlungsphase ventiliert werden soll ‒ und auch muss. Das gilt zum anderen aber auch für den zu prognostizierenden Abnutzungsgrad der Wohnung, einmal durch eine steigende Bewohnerzahl und zum anderen durch ein ‒ dem Vermieter bislang unbekanntes ‒ Nutzerverhalten der aufgenommenen Personen. Dafür muss der Vermieter einstehen (§ 538 BGB).
MERKE | Mit diesem Hintergrund ist der Genehmigungsvorbehalt mit Informationsanspruch des Vermieters gerade gerechtfertigt. All dies würde ad absurdum geführt, wenn der Mieter sanktionslos „machen könnte, was immer er wollte“. |
Beachten Sie | Von Bedeutung ist dabei auch: Die fehlende Gestattung der Untervermietung durch den Vermieter steht der Wirksamkeit eines Untermietvertrags nicht entgegen. Der Untermietvertrag kommt wirksam zustande, auch wenn ohne Erlaubnis untervermietet wird (BGH 10.10.07, XII ZR 12/07, NZM 08, 167).
PRAXISTIPP | All dies spricht klar dafür, dem Vermieter zumindest ein verhaltensbedingtes fristgemäßes Kündigungsrecht zuzugestehen. Dies muss zum fristlosen Kündigungsrecht erstarken, wenn in der Person des Aufgenommenen Gründe liegen, die den Vermieter zur Verweigerung der Untervermietungserlaubnis berechtigt hätten (§ 553 Abs. 1 S. 2 BGB), wäre er nur gefragt worden. |
5. Problem: (Nahezu) vollständige Wohnungsüberlassung
Zu untersuchen bleiben die mietrechtlichen Folgen, wenn der Pflegekraft die Wohnung während eines Krankenhausaufenthalts oder aufgrund eines dauerhaften Umzugs ins Pflegeheim zeitweise oder dauerhaft überlassen wird.
a) Nur teilweise Überlassung
Als Vorfilter ist bei der Betrachtung dieser Fallkonstellation zunächst auf ein Urteil des BGH (11.6.14, VIII ZR 349/13, DWW 14, 333 = NZM 14, 631) abzustellen. Der BGH nimmt nur eine teilweise Überlassung von Wohnraum an, auch wenn der Mieter für mehrere Jahre berufsbedingt ins Ausland geht, den vollen Gewahrsam an der Wohnung aber nicht völlig aufgeben will und zum Beispiel in einem Zimmer der Wohnung zurückgelassene Einrichtungsgegenstände lagert oder dieses Zimmer gelegentlich zu Übernachtungszwecken nutzt. Damit scheiden bereits die hier aufgerufenen „Krankenhausfälle“ so lange aus der Betrachtung vollständig überlassenen Wohnraums aus, wie objektiv noch die Möglichkeit einer Rückkehr des pflegebedürftig gewordenen Mieters besteht.
b) Untervermietung
Ebenfalls ohne Bedeutung bleibt es, wenn der Mieter in seiner Wohnung nicht mehr seinen alleinigen Lebensmittelpunkt hat, so etwa dann, wenn er innerhalb der Woche überwiegend seine Zeit in einer Senioreneinrichtung verbringt und nur am Wochenende seine ursprüngliche Wohnung wieder bewohnt. Auch dann handelt es sich bei der Einquartierung einer Pflegeperson in der Woche nicht um eine dauerhafte komplette Überlassung der Wohnräume an einen Dritten, sondern um eine Untervermietung (dazu: BGH 23.11.05, VIII ZR 4/05, NZM 06, 220), bei der sich aus seiner Pflegebedürftigkeit ein entsprechendes berechtigtes Interesse des Mieters ergibt.
c) Umzug ins Pflegeheim
Die hier zu stellende Frage spitzt sich damit auf die Bewertung der Lebensentscheidung einer dauerhaften Wohnungsaufgabe zum Beispiel durch einen Umzug ins Pflegeheim zu. Auch hier könnte der Mieter einwenden, der Umzug erfolge nur „probeweise“. Der Vermieter müsste dann im Rahmen seines Informationsanspruchs Näheres zu einer Gesundheitsprognose des Mieters in Erfahrung bringen, um aus objektiver Sicht zu klären, ob bzw. wie wahrscheinlich der Rückzug des Seniors in die Wohnung ist.
d) Kündigungsrecht wegen vollständiger Überlassung?
Bislang höchstrichterlich ungeklärt ist, ob die zeitweilige oder die dauerhafte vollständige Überlassung der gemieteten Wohnung an die Pflegeperson ohne vorherige Information und ohne vorherige Zustimmung des Vermieters ein (fristloses) Kündigungsrecht gemäß § 543 Abs. 1, § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2, § 553 Abs. 1 BGB auslöst.
- Der BGH kommt nur im Falle eines überlassenen Wohnungsteils zu einem rechtskonformen Vorgehen (BGH 11.6.14, VIII ZR 349/13), hat aber eine Bewertung für einen komplett überlassenen Wohnraum im Zusammenhang mit eingetretener Pflegebedürftigkeit bislang nicht vorgenommen (vgl. aber für die Landpacht: BGH 23.11.07, RwZR4/07, ZMR 08, 359; offengelassen von LG Berlin 28.7.20, 67 S 299/19, juris).
- Das LG Berlin (Beschluss 28.7.20, a. a. O.) hat diese Frage jüngst in einem Fall offengelassen, in dem der Vermieter außerordentlich fristlos gekündigt hatte, nachdem der Mieter die Mieträume insgesamt seinem Bruder unbefugt überlassen hatte. Zuvor war dieser mit Kenntnis des Vermieters in die Wohnung aufgenommen worden. Aufgrund seiner engen verwandtschaftlichen Beziehung zum Mieter sei der Bruder bereits kein d„Dritter“, an den die Wohnung weitergegeben worden sei.
- Dagegen sieht es das LG Frankfurt a. M. als vertragswidrig an, wenn der bisherige Mieter, der in ein Altenheim umzieht, die Mietwohnung der Enkelin und ihrem Lebensgefährten überlässt (9.10.92, 2/17 S 370/91, NJW-RR 93, 143).
- Ebenso sieht das LG Berlin (18.4.18, 65 S 16/18, ZMR 2018, 668) in der Weitergabe der Mietwohnung an die Kinder ohne Erlaubnis des Vermieters nach dem dauerhaften Auszug des Mieters mit Wohnsitzbegründung im Ausland eine vertragliche Pflichtverletzung, die zur ordentlichen Kündigung berechtigt (vgl. auch: AG München 27.5.20, 473 C 20883/19, ZMR 20, 847 zur bejahten fristlosen Kündigung gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Alt. 2, § 553 Abs. 1 S. 1 BGB bei mehrfacher kurzfristiger unerlaubter Überlassung des Mietgebrauchs an Dritte ‒ airbnb).
PRAXISTIPP | Auch hier stellt die Gegenansicht auf den begleitenden Erlaubnisanspruch ab: Obgleich grundsätzlich die Erlaubnis des Vermieters zur Untervermietung eingeholt werden müsse, bestehe bei Wohnraumvermietungen ein dahingehender Anspruch des Mieters. Die Erlaubnis sei damit reine Formsache. Beachte der Mieter dies nicht, so stelle sein Verhalten keinesfalls eine erhebliche Rechtsbeeinträchtigung i. S. v. § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB dar. Streitig ist, ob in diesem Fall eine fristgerechte ordentliche Kündigung möglich bleibt (so: OLG Hamm 11.4.97, 30 REMiet 1/97, WuM 97, 364 = NJW-RR 97, 1370; a. A. Kandelhard in: Herrlein/Kandelhard, § 543 BGB Rn. 44). |
Beachten Sie | Diese Auffassung übersieht, dass es hier eben nicht um eine Untervermietung im Sinne eines überlassenen Wohnungsteils geht, auf die ein Erlaubnisanspruch bestehen könnte, sondern um eine vollständige Wohnungsüberlassung, bei der es keinen Erlaubnisanspruch gibt. Denn dieser in § 553 Abs. 1 S. 1 BGB geregelte Erlaubnisanspruch stellt ausdrücklich auf die teilweise Überlassung von Wohnraum ab, nicht auf die komplette Überlassung (dazu auch: Meyer-Abich, Dritte in der Mietwohnung: Besucher, Aufnahme von Angehörigen/Nähepersonen, Untermieter, NZM 20, 19 ff.).
PRAXISTIPP | Die Kündigung wird regelmäßig durch eine Abmahnung vorzubereiten sein (so: Kraemer/von der Osten in: Bub/Treier, 4. Aufl. 2014, Teil III. Rn. 2538, S. 1009). |
Mit diesem Betrachtungsansatz ist der Mieter ebenso ausreichend geschützt. Denn auch wenn eine Nachmieterklausel vertraglich nicht vereinbart ist, kann er im Falle einer gesundheitsbedingt notwendigen dauerhaften Wohnungsaufgabe mit Umzug ins Pflegeheim etc. einen Anspruch auf vorzeitige Entlassung aus dem Mietverhältnis geltend machen (so noch ausdrücklich: BGH 7.10.15, VIII ZR 247/14, NJW 15, 3780).
PRAXISTIPP | Streitig ist auch, ob eine außerordentliche Kündigung bei vertragswidriger Nutzung der Mietsache auch eine konkrete Beeinträchtigung der Rechte des Vermieters erfordert (dazu Erman/Jendrek, BGB, 12. Aufl. 2008, § 543 BGB Rn. 17; Blank in: Schmidt-Futterer, 9. Aufl. 2007, § 543 BGB, Rn. 68, 70; Palandt/Weidenkaff, BGB, 66. Aufl. 2007, § 543, Rn. 80; Kraemer, DWW 01, 110 (118)). Der BGH (23.11.07, LwZR 4/07, ZMR 08, 359) hat die Frage offengelassen. In dem entschiedenen Fall einer unrechtmäßigen Gebrauchsüberlassung an Dritte betont er als Kündigungsgrund aber auch, dass bislang die unrechtmäßige Gebrauchsüberlassung bereits für sich allein den wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung ausfülle. Dem ist nichts hinzuzufügen. |
Neben oder anstelle der Kündigung steht dem Vermieter die Unterlassungsklage gemäß § 541 BGB nach Abmahnung des Mieters zur Verfügung (so: Kraemer/von der Osten in: Bub/Treier, 4. Aufl. 2014, Teil III. Rn. 2538, S. 1009).
6. Tod des pflegebedürftigen Mieters
Eindeutig ist die Frage zu beantworten, ob der Vermieter das Mietverhältnis kündigen oder dem Eintritt einer Pflegeperson in das Mietverhältnis mit Erfolg widersprechen kann, wenn der Mieter stirbt und die Pflegeperson in der Wohnung wohnen bleiben möchte. Ansatzpunkt hierfür ist z. B. für pflegende Kinder des verstorbenen Mieters § 563 Abs. 2 S. 1 BGB. Die Vorschrift knüpft an einem gemeinsam geführten Haushalt an, nicht an eine auch zeitlich und umfänglich intensiv betriebene Pflegeleistung. Kurz gesagt: Auch dann, wenn das Kind entsprechend intensive Pflegeleistungen erbracht hat, gleichwohl aber in einer eigenen Wohnung einen eigenen Hausstand beibehalten hat, hat es entgegen der Vorgabe der zitierten Vorschrift nicht mit in dem Haushalt des verstorbenen Mieters gewohnt. Es tritt deswegen auch nicht in das Mietverhältnis ein (AG München 27.6.18, 452 C 17000/17, Abruf-Nr. 212153).
7. Lösung des Ausgangsfalls
Die Kinder der Oma O, wohnhaft in der Parterrewohnung, dürfen ihre Mutter aus Pflegegründen in ihre Wohnung aufnehmen, ohne die Erlaubnis des Vermieters einzuholen. Denn es handelt sich um die Aufnahme naher Angehöriger in aufsteigender Linie. Allerdings müssen sie den Vermieter informieren.
Der Mietvertrag für die 1. Etage müsste umgestellt werden von der O auf deren Enkel, die junge Familie. Denn die vollständige Wohnungsüberlassung an einen Dritten ist nicht berechtigt, sondern unbefugt und gibt dem Vermieter ein fristloses Kündigungsrecht (§ 543 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB) oder zumindest ein fristgemäßes Kündigungsrecht gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
PRAXISTIPP | Für den Vermieter: Solange die Miete für die Wohnung der O im 1. Obergeschoss gezahlt wird und die Enkelkinder nicht einziehen wollen, muss nichts veranlasst werden. Ansonsten könnte O oder wegen ihrer Demenz deren Kinder das Mietverhältnis der Wohnung im 1. Obergeschoss kündigen. Im Falle einer unberechtigten Übernahme durch die Enkelkinder kann dies auch durch den Vermieter geschehen. |