· Fachbeitrag · Bewertung
Übertragung eines Rentenversicherungsvertrags als Schenkungsteuersparmodell
von Prof. Dr. Gerd Brüggemann, Münster
| Die Übertragung von Rentenversicherungsverträgen ist ein von der Versicherungswirtschaft gern angebotenes Modell zur steueroptimierten Vermögensnachfolge. Dabei soll die Steuerersparnis durch eine niedrige Bewertung des übertragenen Versicherungsvertrags erreicht werden. Ein rechtskräftiges Urteil des FG Münster (13.9.18, 3 K 2766/16 Erb, Abruf-Nr. 206751 ) zeigt, dass solche Versicherungsverträge einer kritischen Prüfung unterworfen werden sollten. Das FG Münster hat zwar die Revision gegen sein Urteil zugelassen, diese ist jedoch nicht eingelegt worden. Es bleibt daher offen, ob der BFH der Auffassung des FG gefolgt wäre. |
1. Musterfall
In dem vom FG Münster entschiedenen Fall übertrug der Erblasser E im Jahr 01 seiner Lebensgefährtin L einen Rentenversicherungsvertrag und verstarb im Jahr 02.
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Der Entscheidung des FG Münster lag ein Vertragsmodell zugrunde, das wie folgt beschrieben werden kann:
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Im Urteil des FG Münster wurden keine genauen Angaben zum Alter des Erblassers bzw. zu den vereinbarten Geldbeträgen gemacht. Die Modellrechnung zur Steuerersparnis könnte entsprechend einem prospektierten Angebot der Versicherungswirtschaft für dieses Produkt aber wie folgt aussehen:
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1. | Alter des Schenkers/Erblassers im Jahr 01 | 79 Jahre |
2. | Übertragung erfolgt auf | Lebensgefährtin |
3. | eingezahlter Einmalbeitrag = Übertragungswert | 1.000.000 EUR |
4. | Versicherungsnehmer und versicherte Person | Schenker/Erblasser |
5. | Versicherte monatliche Rente (laut Versorgungsvorschlag) |
3.436,11 EUR |
6. | Gesamtjahresrente | 41.233,32 EUR |
Beim Tod des Schenkers/Erblassers E in 02 erhält die Lebensgefährtin L gemäß den für den Versicherungsvertrag geltenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen einen Betrag von 900.000 EUR ausbezahlt.
2. Rechtliche Einordnung des Übertragungsvertrags
Der Musterfall wirft zum einen die Frage auf, welchen Erwerbstatbestand des ErbStG die Lebensgefährtin verwirklicht und zu welchem Zeitpunkt die ErbSt/SchenkSt entsteht bzw. was Gegenstand des Erwerbs ist.
2.1 Schenkung auf den Todesfall
Der Erwerb der Todesfallleistung von 900.000 EUR ist nach Ansicht des FG Münster nicht als Erwerb i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG einzuordnen. Der ErbSt unterliegt nach dieser Vorschrift der Erwerb durch Schenkung auf den Todesfall (§ 2301 BGB). Eine solche liegt vor, wenn das Schenkungsversprechen unter der Bedingung erteilt wird, dass der Beschenkte den Schenker überlebt. Der Versprechensempfänger soll zu Lebzeiten des Schenkers noch keine gesicherte Rechtsposition, insbesondere keinen Anspruch gegen den Schenker und kein Anwartschaftsrecht erwerben (MÜ-KO/Musielak, § 2301 Rn. 14).
Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, da die Übertragung auf L am 1.7.11 unbedingt erfolgte und L die Versicherungsnehmerstellung sofort erlangte. Der BFH geht zwar davon aus, dass mit der Übertragung des Bezugsrechts an einer Lebensversicherung eine Schenkung noch nicht ausgeführt ist (BFH 30.6.99, II R 70/97, BStBl II 99, 742); hier ist jedoch nicht das Bezugsrecht an einer Lebensversicherung übertragen worden, sondern die Versicherungsnehmer-Stellung selbst.
2.2 Schenkung unter Lebenden im Zeitpunkt der Übertragung
Die Übertragung erfolgt somit durch Schenkung unter Lebenden gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Andere Erwerbstatbestände des § 7 ErbStG kommen nicht in Betracht.
3. Gegenstand der Schenkung
Somit stellt sich im Hinblick auf die Übertragung des Versicherungsvertrags die Frage, was Gegenstand der Schenkung ist und zu welchem Zeitpunkt die Besteuerung erfolgen muss.
3.1 Schenkung unter Lebenden im Zeitpunkt der Übertragung
Der SchenkSt unterliegt gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert ist. Die Steuer entsteht in diesen Fällen gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG mit Ausführung der Zuwendung. Bei der Übertragung einer Versicherungsnehmerstellung ist das grundsätzlich der Zeitpunkt, zu dem der Zuwendungsempfänger in die Versicherungsnehmerstellung einrückt.
Die Versicherungswirtschaft geht daher davon aus, dass Gegenstand der Schenkung nicht die erst mit dem Tod der versicherten Person ausgezahlte Versicherungssumme ist, sondern der nach § 12 BewG errechnete Barwert der Rente.
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Gesamtjahresrente | 41.233,32 EUR |
Vervielfältiger 2018 für Alter 80 Jahre = | 6,348 |
Wert der Schenkung in vollen EUR (41.233,32 EUR x 6,348 =) | 263.234 EUR |
Freibetrag | - 20.000 EUR |
steuerpflichtiger Erwerb | 243.234 EUR |
steuerpflichtiger Erwerb gerundet | 243.200 EUR |
Höhe der SchenkSt (Steuerklasse III, 30 %) | 72.960 EUR |
Wäre der Betrag von 1.000.000 EUR auf die Lebensgefährtin L übertragen worden, hätte sich die SchenkSt wie folgt ermittelt:
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Wert der Schenkung | 1.000.000 EUR |
Freibetrag | - 20.000 EUR |
steuerpflichtiger Erwerb | 980.000 EUR |
Höhe der SchenkSt (Steuerklasse III, 30 %) | 294.000 EUR |
Die Versicherungswirtschaft würde in ihrer Modellrechnung somit von einer „Steueroptimierung“ in Höhe der Differenz von 221.040 EUR ausgehen.
3.2 Annahme einer betagten Schenkung
Das FG Münster geht entgegen dieser Berechnung davon aus, dass Gegenstand des Erwerbs durch Schenkung unter Lebenden gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG neben den laufenden Rentenzahlungen die Todesfallleistung ist und die SchenkSt gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1a ErbStG dafür erst mit dem Tod des Erblassers entsteht, weil der Zeitpunkt der Steuerentstehung nach dieser Vorschrift hinausgeschoben wird.
Es verweist zur Begründung zunächst auf die Rechtsprechung des BFH (21.4.09, II R 57/07, BStBl II 09, 606), wonach die Regelung nicht auf Fälle des Erwerbs von Todes wegen beschränkt ist. Der BFH hat hierzu ausgeführt, dass § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG als eigenständige Regelung der Steuerentstehung bei Schenkungen unter Lebenden allein deshalb erforderlich gewesen ist, weil die Steuerentstehung anders als beim Erwerb von Todes wegen nicht an den Tod des bisherigen Vermögensinhabers anknüpfen kann. Daraus folgt für den BFH aber nicht, dass § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG die Bedeutung einer lex specialis gegenüber § 9 Abs. 1 Nr. 1a ErbStG zukommt. Auch bei Schenkungen unter Lebenden können sich nach seiner Auffassung dieselben Problemlagen ergeben, die in § 9 Abs. 1 Nr. 1a ErbStG angesprochen sind. Insoweit ist § 9 Abs. 1 Nr. 1a ErbStG als lex specialis gegenüber § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG anzusehen. Zudem bestimmt § 1 Abs. 2 ErbStG, dass die Vorschriften über Erwerbe von Todes wegen auch auf Schenkungen unter Lebenden anzuwenden seien, soweit nichts anderes bestimmt sei.
Bei Anwendung dieser Rechtsprechungsgrundsätze ergibt sich für das FG Münster, dass L mit der Einräumung der Versicherungsnehmerstellung im Jahr 01 eine unentgeltliche Zuwendung erhalten hat, für die bezüglich der Todesfallleistung von 900.000 EUR die SchenkSt gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1a ErbStG mit dem Tod des Erblassers entstanden ist.
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Wert der Schenkung | 900.000 EUR |
Freibetrag | - 20.000 EUR |
steuerpflichtiger Erwerb | 880.000 EUR |
Höhe der Schenkungsteuer (Steuerklasse III, 30 %) | 264.000 EUR |
Das FG Münster teilte damit nicht die Auffassung des Klägers, dass bei einer derartigen Sichtweise die Regelung in § 12 Abs. 4 BewG, wonach Ansprüche aus Lebens-, Kapital- oder Rentenversicherungen mit dem Rückkaufswert zu bewerten sind, entgegen der Intention des Gesetzgebers leerläuft (BFH 7.10.09, II R 27/07, BFH/NV 10, 891). Denn bei dem hier streitbefangenen Versicherungsprodukt entfalle nach § 7 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und der Auskunft der Versicherung die Erstattung eines Rückkaufswerts. Gleichwohl handele es sich nicht um eine außer Ansatz bleibende Risikoversicherung.
Zudem war die Versicherung nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen beim Tod der versicherten Person, nämlich beim Tod des Erblassers, zur Auszahlung an den Versicherungsnehmer, hier die Lebensgefährtin des Erblassers, oder an dessen Erben verpflichtet.
Das FG Münster sieht in dem Versicherungsprodukt eine Kapitalforderung, die durch die Rentenzahlungen verzinst wird und die durch die Übertragung der Versicherungsnehmerstellung auf L im Wege der Schenkung übergegangen ist. Es versteht die Rechtsprechung des BFH (21.4.09, II R 57/07, ErbBstg 09, 147) dahingehend, dass gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG i.V. mit § 12 Abs. 3 BewG noch nicht fällige Forderungen nur dann sofort mit ihrem abgezinsten Wert anzusetzen sind, wenn die Fälligkeit zu einem bestimmten (feststehenden) Zeitpunkt eintritt. Anders seien diejenigen Forderungen zu behandeln, bei denen der Zeitpunkt des Eintritts des zur Fälligkeit führenden Ereignisses unbestimmt ist. Hier versage § 12 Abs. 3 BewG, weil es an einem bestimmten Zeitpunkt für den Eintritt der Fälligkeit fehle und damit die Berechnungs- oder Schätzungsgrundlagen für eine Abzinsung oder den Ansatz eines niedrigeren Werts nicht vorhanden seien.
4. Rechtslage bleibt zweifelhaft
Das FG hat die Revision zugelassen, nicht zuletzt wohl deswegen, weil die Auslegung der Rechtsprechung des BFH durch das FG Münster nicht zwingend erscheint.
Der BFH geht in der vom FG Münster zitierten Entscheidung (BFH 7.10.09, II R 27/07, BFH/NV 10, 891) davon aus, dass bei einer vermächtnisweisen Einräumung eines Versicherungsanspruchs aus einer kapitalbildenden Lebensversicherung das Forderungsrecht im Todeszeitpunkt übergeht, weil der Erwerber zu diesem Zeitpunkt in die Rechtsstellung des Versicherungsnehmers einrückt. Damit ging im entschiedenen Fall der Rückkaufswert auf den Erwerber über, nicht hingegen erst später die Ablaufleistung der Lebensversicherung. Hervorzuheben ist, dass der BFH eine Betrachtung nach dem wirtschaftlichen Ergebnis sogar ausdrücklich ablehnt und in diesem Zusammenhang betont, dass im Fall der Annahme eines betagten Anspruchs i.S. von § 9 Abs. 1 Nr. 1a ErbStG die Regelung des § 12 Abs. 4 BewG leerliefe und dies ersichtlich nicht den Intentionen des Gesetzgebers entspricht.
Der BFH (27.8.03, II R 58/01, BStBl II 03, 921) hat einen betagten Anspruch in einem Fall angenommen, der mit dem Musterfall nicht vergleichbar ist. Dort ging es um die Frage, ob ein Anspruch aus einer Kapitallebensversicherung bereits mit dem Tod des Erblassers rechtlich entstanden war oder erst nach Abschluss staatsanwaltlicher und versicherungsrechtlicher Ermittlungen. Hier musste geklärt werden, ob der Erblasser Selbstmord begangen hatte, denn bei Selbstmord hätte die Versicherung nicht zahlen müssen. Für diese besondere Konstellation hat der BFH entschieden, dass die ErbSt für die gezahlten Versicherungsleistungen gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1a ErbStG erst im Zeitpunkt des Abschlusses der Ermittlungen zu besteuern sei, da die Fälligkeit der Versicherungsleistungen gemäß § 11 Abs. 1 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (VVG) erst nach dem Abschluss der zur Feststellung der Leistungspflicht erforderlichen Erhebungen der Versicherungsgesellschaft entstanden sei. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Anspruch auf die Versicherungssumme gemäß § 11 Abs. 1 VVG betagt und der Eintritt des zur Fälligkeit führenden Ereignisses ungewiss.
Dieser Fall dürfte aber nicht mit der schenkweisen Übertragung der Versicherungsnehmerstellung eines Lebensversicherungsvertrags vergleichbar sein, mit dem alle Rechte aus der Lebensversicherung übergehen sollen. Dieser Fall des Übergangs der Versicherungsnehmerstellung soll gerade im Zeitpunkt der Übertragung erfasst werden, sodass die Annahme eines betagten Anspruchs zumindest zweifelhaft erscheint (siehe hierzu auch Mutschler/Thiex, ZEV 14, 351). Offen bliebe dann nur noch die Frage, ob der Ansatz der Schenkung mit dem Rentenbarwert nach § 12 Abs. 1 und 3 BewG oder mit dem Rückkaufswert nach § 12 Abs. 4 BewG zu erfolgen hat.
Bedauerlich ist, dass der BFH keine Gelegenheit bekommen hat, die Entscheidung des FG Münster zu überprüfen. Es dürfte aber aufgrund der Angebote der Versicherungswirtschaft davon auszugehen sein, dass weitere Fälle zu dieser Thematik zwischen Finanzverwaltung und Versicherungsnehmern strittig verhandelt und Gegenstand weiterer Gerichtsverfahren werden.