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  • · Fachbeitrag · Gesundheitspolitik

    „Das Zeitfenster für die Krankenhausreform ist nicht unendlich!“

    | Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach ist davon überzeugt, dass viele Krankenhäuser ohne Reform Insolvenz anmelden müssen (vgl. iww.de/s9994 ). Damit liegt er mit dem Verband leitender Krankenhausärztinnen und -ärzte e. V. (VLK) auf einer Linie. Bei einer Befragung des VLK meinten 84 Prozent der teilnehmenden Ärzte, dass die Patientensicherheit durch den fehlenden Finanzausgleich gefährdet sei. Um das zu verhindern, treibt Lauterbach das „Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsqualität im Krankenhaus und zur Reform der Vergütungsstrukturen“ (KHVVG) voran, auch Krankenhausreform genannt. Dr. Michael A. Weber ist Facharzt für Innere Medizin und Präsident des VLK. Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) fragte ihn nach den Positionen seines Verbandes (Video online unter iww.de/s10004 ). |

     

    Frage: Herr Dr. Weber, die wirtschaftliche Situation vieler Kliniken hat sich durch Inflation, Energiekrise und hohe Tarifabschlüsse deutlich verschlechtert. Kommt die Krankenhausreform noch rechtzeitig?

     

    Antwort: Man muss Reform und Unterfinanzierung voneinander trennen. Alle stimmen dem zu, dass wir eine Krankenhausreform brauchen, um uns effektiver aufzustellen, komplexe Leistungen zu zentralisieren und gleichzeitig eine flächendeckende Versorgung in der Breite sicherzustellen. Diese Reform brauchen wir bald. Denn wenn die Zahl der Insolvenzen weiter steigt, laufen wir Gefahr, dass systemrelevante Einrichtungen vom Netz gehen und nicht mehr von der Reform profitieren. Auf der anderen Seite haben wir das große Problem einer gewaltigen Unterfinanzierung. Ich glaube nicht, dass man beides gemeinsam lösen kann, sondern nur getrennt voneinander.

     

    Frage: Als Soforthilfe gegen die Unterfinanzierung fordern Ihr Verband, weitere Krankenhausverbände sowie die Bundesländer ein Vorschaltgesetz, das finanzielle Engpässe ausgleicht, bis die Krankenhausreform greift. Um welche Summen geht es?

     

    Antwort: Wegen der 60-Milliarden-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts werden die Karten neu gemischt, die Situation ist noch komplexer als vorher. Unsere zusätzlichen Forderungen liegen zwischen fünf bis zehn Milliarden Euro. Wir hoffen nicht, dass zulasten der Kliniken und Krankenhäuser gespart wird. Bei Sparmaßnahmen würden Kliniken und Firmen insolvent gehen, Investitionsprojekte würden gestoppt. Auch wäre keine Krankenhausreform mehr möglich, weil die Reform ohne einen begleitenden Transformationsfonds unvorstellbar ist. Die Wahrheit ist, dass die Krankenhäuser dringend eine Zwischenfinanzierung als sogenanntes Vorschaltgesetz brauchen.

     

    Frage: Die Bundesregierung ist gegen ein Vorschaltgesetz. Begründung: Krankenhäuser, die nach der Reform nicht mehr benötigt würden, sollten jetzt nicht mehr bezuschusst werden. Wie ist Ihre Position zu diesem Argument?

     

    Antwort: Das halte ich für vorgeschoben. Betriebskosten wie Tariflöhne, Energiekosten und Inflation sind dramatisch gestiegen. Die dadurch entstandene finanzielle Schieflage fällt in die Zuständigkeit des Bundes. Doch kommt der Bund den Finanzierungen der Betriebskosten nicht nach. Er muss daher für eine bessere Betriebskostenfinanzierung sorgen. Das geht zum einen über die Kassenseite, indem man den Landesbasisfall anhebt, und zum anderen über zusätzliche Zuschüsse des Bundes. Wir haben bisher 34 Insolvenzen. Ich glaube, dass Krankenhäuser, die noch Geld bekommen und am Ende nicht mehr am Netz sind, bei Weitem in der Minderzahl sind.

     

    Frage: Schauen wir auf die Krankenhausreform. Ab dem Jahr 2025 ist eine Vorhaltefinanzierung von 60 Prozent der Gesamtbetriebskosten vorgesehen, die die Kliniken ohne Berücksichtigung der tatsächlich erbrachten Fälle erhalten. Die diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) verlieren an Gewicht. Ist das der richtige Weg, um die Unterfinanzierung zu stoppen?

     

    Antwort: Die Unterfinanzierung stoppt es nicht, weil wir nicht mehr Geld bekommen, sondern das Geld nur anders verteilt wird. Doch werden weniger Kliniken das Gesamtbudget für die Krankenhäuser nicht drastisch reduzieren. Denn die stationären Fälle werden ja nicht weniger, weil es weniger Krankenhäuser gibt. Die Menschen werden nur an anderer Stelle versorgt. Ich bezweifle, dass das System dann effektiver ist.

     

    Frage: Welche Herausforderungen erwarten Sie noch?

     

    Antwort: Der Personalmangel ist ein großes Problem. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass wir vor allem in der Pflege mehr Personal zur Verfügung haben, wenn wir eine ganze Menge Häuser schließen. Denn wir befürchten, dass das Personal sich nicht aus den Regionen zu den Schwerpunktkliniken in die Ballungszentren versetzen lässt. Heute betreffen die Insolvenzen vor allem die kirchlichen und gemeinnützigen Häuser, die keinen Sponsor wie eine Kommune oder ein Land im Rücken haben. Das sind aber an sich die Häuser, die eher gut mit Pflegepersonal ausgestattet sind, weil sie darauf großen Wert legen. Es könnte sein, dass wir plötzlich Häuser verlieren, die noch Pflegepersonal und Betten offen haben. Und auf der anderen Stelle halten wir Häuser am Netz, die unter riesigem Personalmangel leiden und 30  bis 50 Prozent ihrer Betten überhaupt nicht offen haben. Um das zu verhindern und gut zu planen, brauchen wir eine Bedarfsanalyse.

     

    Frage: Was bedeutet diese Gemengelage für die Investitionsbereitschaft und strategische Entscheidungen in den Häusern?

     

    Antwort: Im Moment passiert gar nichts, was ganz schlecht ist. Niemand möchte Investitionsentscheidungen treffen. Ausgenommen vielleicht die Kliniken, denen bereits Fördermittel zugesagt wurden. Es geschieht eher das Gegenteil: Personal, das dringend gebraucht wird, wird abgebaut. Auch die Kommunen können nicht endlos refinanzieren. Sobald ein Zwangshaushalt kommt, ist Schluss. Es könnte zu einer neuen Privatisierungswelle kommen.

     

    FRAGE: Das Transparenzgesetz ist ein Baustein der Klinikreform. Der Deutsche Bundestag hat es verabschiedet, die Länder haben es im Bundesrat gestoppt (vgl. Beitrag unter Abruf-Nr. 49813536). Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

     

    Antwort: Wir haben die Position der Länder und die Zuweisung zum Vermittlungsausschuss im Vorfeld sehr unterstützt. Nicht, weil wir etwas gegen Transparenz und Qualität haben, im Gegenteil. Aber was weder von Herrn Lauterbach noch von den Bundestagsabgeordneten deutlich gesagt wurde, ist, dass es im Transparenzgesetz im Wesentlichen um einen neuen Grouper beim Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK GmbH) geht, der Leistungen der Krankenhäuser bestimmten Leistungsgruppen zuweist. Diese Leistungsgruppen sollen von den Ländern verteilt werden. Und das ist erst Ende 2024 oder Anfang 2025 möglich, sodass wir jetzt dagegen sind, dass das InEK in Eigenregie solche Leistungsgruppen zuteilt.

     

    Frage: Aber wie soll es jetzt weitergehen mit der Krankenhausstrukturreform? Was schlagen die Länder vor?

     

    Antwort: Wir müssen sehen, was im Vermittlungsausschuss passiert. Die Themen Transparenz und Qualität im Transparenzgesetz machen zwar mehr Bürokratie, können aber problemlos kommen. Das klärt die Bevölkerung über das, was im Krankenhaus passiert, auf. Wichtig ist, dass der Grouper jetzt nicht eingerichtet wird, damit wir keine Vorwegnahme von Leistungsgruppenzuteilungen durch das InEK haben. Darauf müssen wir wirklich achten. Zur Krankenhausstrukturreform selbst hat man sich nicht einigen können. Der wesentliche Knackpunkt ist, dass Herr Lauterbach immer wieder versucht, Planungshoheit nach Berlin zu ziehen. Das haben die Länder gemerkt. Deswegen pochen sie auf Ausnahmegenehmigungen. In dem Maße, wie sie Ausnahmen wollen, ist Herr Lauterbach bisher nicht bereit, diese bereitzustellen.

     

    Frage: Wie optimistisch gehen Sie in das Jahr 2024?

     

    Antwort: Ich habe große Sorgen. Es kann sein, dass die Nöte der Krankenhäuser und der Druck inzwischen so eklatant sind, dass die Situation zum Handeln zwingt. Es gibt inzwischen ein paar Meilensteine. Und wir müssen sehen, dass wir überhaupt noch eine Krankenhausreform durchbringen. Das Zeitfenster ist nicht mehr unendlich. Sonst wird das in dieser Legislaturperiode nicht mehr klappen. Und wenn es nicht klappt, dann bekommen wir keine Reform, wie sie jetzt geplant ist. Die Länder und der Bund müssen sich aufeinander zubewegen und von ihren Maximalforderungen Abstand nehmen. Wir brauchen die Einigung zu einer vernünftigen Reform und keinen Wettbewerb darüber, wer die meisten Kliniken schließt.

     

    Herr Dr. Weber, vielen Dank für das Gepräch!

     

    Weiterführender Hinweis

    • Krankenhaustransparenzgesetz: Das sind die wesentlichen Inhalte (Abruf-Nr. 49813536)
    Quelle: Ausgabe 01 / 2024 | Seite 3 | ID 49792534