01.09.2007 | Absehen vom Fahrverbot
Geschwindigkeitsüberschreitung Augenblicksversagen in einer Tempo-30-Zone
Macht der Betroffene geltend, er habe ein geschwindigkeitsbeschränkendes Schild übersehen, muss der Tatrichter prüfen, ob dem Betroffenen diese Einlassung zu widerlegen ist (OLG Hamm 19.4.07, 1 Ss OWi 8/07 Abruf-Nr. 072595). |
Entscheidungsgründe
Subjektiv nicht vorwerfbar kann ein Verkehrsverstoß u.a. sein, wenn er auf einem „Augenblicksversagen“ beruht. Das kann vorliegend nicht ausreichend sicher beurteilt werden. Der Betroffene hat nicht in Abrede gestellt, erheblich schneller als 30 km/h gefahren zu sein. Er will aber nicht bemerkt haben, dass es sich um einen geschwindigkeitsbeschränkten Bereich gehandelt habe. Er habe das „Tempo-30-Schild“ übersehen, weil er in Gedanken an den bevorstehenden Geschäftstermin gewesen sei. Das AG hätte daher prüfen müssen, ob dem Betroffenen diese Einlassung zu widerlegen ist. Das AG führt dazu jedoch lediglich aus, dass die Höchstgeschwindigkeit durch das Zeichen 274 auf 30 km/h begrenzt gewesen sei und die Geschwindigkeit des Betroffenen mindestens 62 km/h betragen habe. Weitere Feststellungen zur Einrichtung der Tempo-30-Zone enthält das angefochtene Urteil nicht. Es fehlen Feststellungen dazu, ob und ggf. aus welchen weiteren konkreten Hinweisen der Betroffene entnehmen konnte, dass er sich in einer verkehrsberuhigten Zone befand, ob etwa eine beidseitige, mehrfache Beschilderung vorhanden war und ob und ggf. welche baulichen Maßnahmen auf die Beschränkung zusätzlich hinwiesen. Auch ist es nicht ausgeschlossen, dass durch ein auf die Straßenoberfläche aufgemaltes Zeichen 274 auf die Geschwindigkeitsbegrenzung hingewiesen worden ist. Zudem kann auch die Art der Bebauung für den Betroffenen den Schluss nahegelegt haben, sich innerorts in einer Tempo 30 Zone zu befinden bzw. in diese hineingefahren zu sein. Das AG wird zudem Feststellungen dazu treffen müssen, ob dem Betroffenen die Fahrstrecke bekannt war oder ob er diese ggf. zum ersten Mal befahren hat.
Praxishinweis
Gerade bei Geschwindigkeitsüberschreitungen in innerstädtischen Tempo-30-Zonen hat die BGH-Rspr. zum Augenblicksversagen erhebliche praktische Bedeutung (NJW 97, 3252; s. auch Zusammenstellung der neuesten OLG-Rspr. in VA 07, 150). Es reicht eben nicht, nur die Geschwindigkeitsbegrenzung und die gemessene Geschwindigkeit festzustellen. Vielmehr müssen im Hinblick auf die vielfältigen Möglichkeiten der Einrichtung einer Tempo-30-Zone dazu Feststellungen getroffen werden. Ob das geschehen ist, muss der Verteidiger sorgfältig prüfen. Denn wird das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben, bringt das auf jeden Fall Zeitgewinn, der im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit eines zu verhängenden Fahrverbotes von Bedeutung sein kann (dazu VA 00, 77). Alles hängt aber davon ab, dass der Betroffene – so die BGH-Rspr. – sich spätestens beim AG auf ein „Augenblicksversagen“ berufen hat (BGH, a.a.O.). Das darf auf keinen Fall vergessen werden.