25.08.2008 | Haftpflichtprozess
Keine Harmlosigkeitsgrenze bei Frontalkollision
1. Bei der Prüfung, ob ein Unfall eine HWS-Verletzung verursacht hat, sind stets die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. |
2. Eine Harmlosigkeitsgrenze in Form einer geringen kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung ist auch bei einer Frontalkollision nicht geeignet, Verletzungen generell auszuschließen. |
3. Das Ergebnis einer ärztlichen Erstuntersuchung, z.B. durch den Hausarzt, kann im Regelfall nur als eines unter mehreren Indizien für den Zustand des Anspruchstellers nach dem Unfall berücksichtigt werden. |
4. Neben dem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Auftreten der Beschwerden hat die Tatsache besonderes Gewicht, dass der Anspruchsteller bis zum Unfall beschwerdefrei war. |
(BGH 8.7.08, VI ZR 274/07, Leitsätze der Redaktion, Abruf-Nr. 082430) |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Die Beklagte wollte mit ihrem Pkw von einem Parkplatz auf die Straße einbiegen. Dabei achtete sie nicht auf den von links kommenden Pkw mit der Polizeibeamtin L. am Steuer. Trotz einer Vollbremsung stieß L. mit der Frontseite ihres Fahrzeugs gegen die linke Seite des Beklagten-Pkw. Die L., die vor dem Unfall beschwerdefrei war, suchte am übernächsten Tag wegen Nacken- und Kopfschmerzen ihren Hausarzt auf. Er veranlasste eine radiologische Untersuchung (befundlos) und verordnete Tabletten. Wegen fortdauernder Kopfschmerzen, Bewegungseinschränkungen und einem andauernden Unwohlgefühl suchte L. 14 Tage nach dem Unfall erneut ihren Hausarzt auf. Dieser schrieb sie arbeitsunfähig und verordnete physiotherapeutische Behandlungen.
Die Schadenersatzklage des Dienstherrn der L. aus übergegangenem Recht war in den Vorinstanzen erfolgreich. Der BGH hat die Revision zurückgewiesen. Die von der Revision unter Hinweis auf die Geringfügigkeit der kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung (Harmlosigkeitsgrenze) beanstandete Feststellung des Berufungsgerichts, L. habe unfallbedingt eine HWS-Distorsion erlitten, hat der BGH gebilligt. Gestützt war sie u.a. auf die Zeugenaussagen der L. und des Hausarztes. Ein unfallanalytisches oder biomechanisches Gutachten war nicht eingeholt worden. Das sei nicht nötig gewesen, so der BGH. Im Verzicht auf ein medizinisches Gutachten hat er schon mangels Revisionsrüge keinen Fehler gesehen.
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