01.11.2007 | Unfallschadensregulierung
2/3-Mithaftung bei Fahren auf Radweg in falscher Richtung
Ein Radfahrer, der einen Radweg in falscher Richtung befährt und mit einem an sich wartepflichtigen Pkw-Fahrer zusammenstößt, kann trotz bestehenden Vorfahrtrechts zu zwei Drittel haften, wenn der Pkw vor der Kollision hinreichend lange (hier: mind. 3 Sekunden) gestanden hat (LG Berlin 22.8.07, 58 S 79/07, Abruf-Nr. 073129). |
Sachverhalt
Der Kläger kam mit dem Pkw aus einer Nebenstraße. Gegenüber Radfahrern auf dem Radweg an der Hauptstraße war er wartepflichtig. Für ihn von rechts näherte sich der Beklagte per Fahrrad. Er befuhr den Radweg in falscher Richtung, nach eigener Angabe nicht schneller als 20 km/h. Es kam zur Kollision, obgleich der Kläger zuvor unstreitig 2 bis 3 Sekunden, nach den Feststellungen des Gerichts noch etwas länger, mit seiner Motorhaube bis zur Mitte des Radweges gestanden hatte. Das AG hat die Haftung im Verhältnis 1/3 : 2/3 zu Lasten des Beklagten verteilt. Dessen Berufung hat das LG zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Der Kläger sei zwar wartepflichtig gewesen. Der gegen ihn sprechende Anscheinsbeweis einer Vorfahrtverletzung sei aber entkräftet. In der umstrittenen Frage, ob die Benutzung eines Radwegs in falscher Richtung mit einem Verlust des Vorfahrtrechts verbunden ist, folgt die Kammer der überwiegend vertretenen Ansicht, wonach das Vorfahrtrecht bestehen bleibt. Im übrigen komme es darauf nicht entscheidend an. Maßgebend sei vielmehr, ob der wartepflichtige Kraftfahrer den rechts von ihm gelegenen Radweg mit hinreichender Aufmerksamkeit beobachtet und auf den verbotswidrig herannahenden Radfahrer geachtet habe. Das sei hier der Fall, so dass aufgrund der Umstände der Mithaftungsanteil des Klägers nur 1/3 betrage. 2/3 müsse der Beklagte tragen, weil er gegen § 2 Abs. 4 StVO verstoßen habe. Er hätte die Kollision bei sorgfältiger Fahrweise (angepasste Geschwindigkeit/Bremsbereitschaft) auch verhindern können, weil der Pkw ausreichend lange erkennbar gestanden habe.
Praxishinweis
Das Fahren auf dem Radweg entgegen der vorgeschriebenen Richtung ist eine Hauptursache für Unfälle. Dem Vernehmen nach war es in Berlin bisher einhellige Rechtsprechung, dass der (vorfahrtberechtigte) Radfahrer bei einer Kollision mit einem Pkw nur zu 1/3 haftet. Aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles wird diese Quote nunmehr umgedreht. Mitbestimmend dafür war die Länge der Standdauer von mind. 3 Sekunden, wodurch der Kläger entlastet, der Beklagte dagegen belastet wurde. Auf das Sachverständigengutachten konnte sich das LG in diesem Punkt nicht stützen. Wie lange ein Fahrzeug gestanden habe, könne ein Sachverständiger „niemals feststellen“, meint das LG (Spezialkammer). Aufschluss lieferte die Anhörung der Parteien, ggf. auch eine Zeugenbefragung.
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