25.05.2010 | Unfallschadensregulierung
Dauerbrenner HWS-Verletzung
1. Wer sich nach einem Verkehrsunfall in ärztliche Behandlung begibt, kann für die Folgen einer Falschbehandlung keinen Ersatz verlangen, wenn ihm der Nachweis einer unfallbedingten Verletzung misslingt. |
2. Eine Haftung für Unfallfolgen, die sich ohne organische Primärverletzung allein aufgrund des Unfallerlebnisses entwickeln, setzt ein Unfallereignis von hinreichender Schwere und Intensität voraus. |
3. Zur Begründung eines Haushaltsführungsschadens genügt es nicht, wenn pauschal auf einen „Durchschnittstabellenwert“ verwiesen und die sich danach ergebende Stundenzahl nachträglich mit einzelnen Tätigkeiten ausgefüllt wird. |
(OLG Celle 20.1.10, 14 U 126/09, Abruf-Nr. 101512). |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Die Kl., zur Unfallzeit Rechtsreferendarin, verbrachte nach einem Auffahrunfall zwei Tage in einem Krankenhaus. Bescheinigt wurde ein HWS-Distorsionstrauma. In der Folgezeit suchte sie etliche Ärzte auf. Deren Diagnosen lauteten gleichfalls „HWS-Distorsion“, verbunden mit posttraumatischen Beschwerden (Kopfschmerzen, Schwindel u.a.). Nach einem fachchirurgischen Gutachten der Medizinischen Hochschule Hannover hat sie durch den Unfall ein „klassisches“ Schleudertrauma erlitten. Darauf und auf zahlreiche weitere ärztliche Bescheinigungen gestützt macht die Kl., inzwischen als Anwältin zugelassen, Ersatz ihres materiellen Schadens geltend (Verdienstausfall wegen verzögerter Aufnahme der Anwaltstätigkeit, Haushaltsführungsschaden u.a.). Zudem verlangt sie ein Schmerzensgeld.
Das LG hat die Klage nach umfangreicher Beweisaufnahme vollständig abgewiesen. Dabei hat es sich im Wesentlichen auf ein interdisziplinäres Gutachten gestützt, dessen medizinischer Teil von einem Arzt des Orthopädischen Forschungsinstituts (OFI) stammt. Er war von der Ärztekammer als geeigneter Sachverständiger benannt worden. Sein Ergebnis lautete: mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine unfallbedingte HWS-Verletzung. Der technische Sachverständige hat eine kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung (Delta-v) zwischen 5 und 9 km/h ermittelt. Das OLG Celle hat die Berufung der Kl. zurückgewiesen. Der Nachweis einer unfallursächlichen HWS-Verletzung sei nicht geführt (§ 286 ZPO). Der Unfallschock der Kl. sei haftungsrechtlich irrelevant, weil es sich bei dem Unfall um ein Bagatellereignis handele. Gesundheitsschäden, die ggf. erst durch die ärztliche Behandlung ausgelöst worden seien, könnten dem Schädiger gleichfalls nicht zugerechnet werden. Im juristischen Sinn sei die Kl. ohne nachgewiesene Unfallverletzung eine „Nichtbetroffene“. Wer sich in dieser Eigenschaft in ärztliche Behandlung begebe, könne von der Gegenseite keinen Ersatz für Arztfehler verlangen (kein Zurechungszusammenhang). In seiner Hilfsbegründung geht das OLG auf die einzelnen Schadenspositionen ein, insbesondere auf den Haushaltsführungsschaden.
Praxishinweis
Das Verfahren offenbart einmal mehr das Dilemma in HWS-Sachen mit Spätfolgen. Erneut wird deutlich, wie wichtig die Auswahl des gerichtlichen Sachverständigen ist. Einen OFI-Arzt zu bestellen, war, vorsichtig gesagt, keine glückliche Entscheidung. Zu den vielfältigen Nachweisproblemen in HWS-Fällen siehe Ernst, VA 08, 186, und Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 5. Aufl., Rn. 654 ff. Was die Haftung für therapiebedingte (Nach-)Schäden angeht, kann das Urteil nicht überzeugen. Bei dem bestehenden Verletzungsverdacht, erhärtet durch übereinstimmende Diagnosen von Krankenhaus, weiterbehandelnden Ärzten incl. Med. Hochschule, die Kl. mit dem Risiko zu belasten, eine unfallbedingte (organische) Primärverletzung auch vor Gericht beweisen zu können, ist mehr als fragwürdig (s.a. BGH NJW 03, 1116 a.E.). Wer einen Haushaltsführungsschaden einklagen möchte, findet eine Darlegungs- und Argumentationshilfe in den Ausführungen des OLG unter Tz. 75/76. Ergänzend dazu Ernst, VA 08, 42, ferner Heß/Burmann, NZV 10, 8; Pardey, DAR 10, 14, jeweils mit Hinweisen auf die Neubearbeitung des einschlägigen Tabellenwerks Schulz-Borck/Pardey (7. Aufl. 2009).
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