01.07.2005 | Unfallschadensregulierung
Die aktuelle Rechtsprechung des BGH zum Ersatz von Mietwagenkosten
Dank hoher Preise sind Unfallersatzwagen für Mietwagenfirmen und Autohäuser ein blendendes Geschäft. „Reine Abzockerei“, so der ständige Vorwurf der KH-Versicherer. Jetzt haben sie in Karlsruhe Gehör gefunden. Mit insgesamt fünf Entscheidungen innerhalb des letzten halben Jahres hat der BGH den Unfallersatztarif auf den Prüfstand gestellt. Zugleich hat er zu weiteren Streitfragen des Mietwagenkostenersatzes Stellung genommen. Welche Konsequenzen all das für die Praxis hat, lesen Sie im Folgenden.Zentrales Thema der fünf Entscheidungen ist die Erstattungsfähigkeit des Unfallersatztarifs (UET).
Die BGH-Fälle im Überblick |
Fall 1:BGH 12.10.04, VI ZR 151/03 (VA 05, 20 = NJW 05, 51 = Abruf-Nr. 042910)
Sachverhalt: Kläger war nicht der Geschädigte, sondern ein Mietwagenunternehmen mit Inkassobüro. An Erfüllungs Statt hatte es sich den Ersatzanspruch eines Taxiunternehmers abtreten lassen. Für die Dauer einer Unfallreparatur im März 99 hatte er je ein Fahrzeug nach dem Unfallersatztarif angemietet. Dafür stellte der Kläger dem beklagten Versicherer 4/5 des Mietentgelts abzüglich 10 % Eigenersparnis in Rechnung. Wegen eines Restbetrages von ca. 1.900 DM kam es zum Streit. Das AG hat der Klage stattgegeben, das LG sie abgewiesen. Der BGH hat die Sache an das LG zurückverwiesen.
Leitsatz: Ein „Unfallersatztarif“ ist nur insoweit ein „erforderlicher“ Aufwand zur Schadensbeseitigung gemäß § 249 S. 2 BGB a.F., als die Besonderheiten dieses Tarifs mit Rücksicht auf die Unfallsituation (etwa die Vorfinanzierung, das Risiko eines Ausfalls mit der Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen durch den Kunden oder den Kfz-Vermieter u.ä.) einen gegenüber deym „Normaltarif“ höheren Preis aus betriebswirtschaftlicher Sicht rechtfertigen, weil sie auf Leistungen des Vermieters beruhen, die durch die besondere Unfallsituation veranlasst und infolgedessen zur Schadensbehebung erforderlich sind (BGH 12.10.04, VI ZR 151/03, VA 05, 20 = NJW 05, 51 = Abruf-Nr. 042910).
Fall 2:BGH 26.10.04, VI ZR 300/03 (VA 05, 21 = NJW 05, 135 = Abruf-Nr. 042911)
Sachverhalt: Gestützt auf eine Sicherungsabtretung eines Kunden machte die Klägerin, eine überregionale Autovermieterin, restliche Mietwagenkosten geltend. Im April 02 hatte der Geschädigte von der Klägerin für die Dauer von 10 Tagen einen MB C 180 zum Unfallersatztarif gemietet. Dieser soll 89 % über dem „Normaltarif“ gelegen haben. Von der Rechnung über 1.894 EUR zahlte die beklagte Versicherung 998 EUR. Gegen die Klage auf Zahlung des Differenzbetrages verteidigte sie sich mit dem Einwand unerlaubter Rechtsberatung/fehlender Aktivlegitimation sowie mit dem Argument der unangemessenen Preisgestaltung. Das AG gab der Klage statt. Die Berufung wurde zurückgewiesen. Die Revision der Beklagten führte zur Zurückverweisung an das LG.
Leitsatz a): Geht es dem Mietwagenunternehmen im wesentlichen darum, die durch die Abtretung eingeräumte Sicherheit zu verwirklichen, so besorgt es keine Rechtsangelegenheit des geschädigten Kunden, sondern eine eigene Angelegenheit. Leitsatz b): wie oben Fall 1 (BGH 26.10.04, VI ZR 300/03, VA 05, 21 = NJW 05, 135 = Abruf-Nr. 042911)
Fall 3:BGH 15.2.05, VI ZR 74/04 (VA 05, 76 = NJW 05, 1041 = Abruf-Nr. 050809)
Sachverhalt: Nach einem Unfall im Dezember 02 mit seinem – nicht vollkaskoversicherten – Pkw mietete der Kläger von seiner Werkstatt ein Ersatzfahrzeug zum Tarif von 165 EUR pro Tag. Darin enthalten war ein Vollkaskozuschlag von 25 EUR. Von der Mietwagenrechnung über 5.550 EUR ersetzte der beklagte Versicherer 1.370 EUR. Das AG erkannte einen Mietpreis von 114.17 EUR an und wies die weitergehende Klage ab. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Der BGH hob das LG-Urteil auf und verwies die Sache zurück.
Leitsatz a): im Kern wie oben Fall 1 Leitsatz b): Wird für ein bei einem Verkehrsunfall beschädigtes Kfz ein Ersatzfahrzeug angemietet und dabei Vollkaskoschutz vereinbart, sind die hierfür erforderlichen Mehraufwendungen in der Regel als adäquate Schadensfolge anzusehen. Ob im Einzelfall Abzüge unter dem Gesichtspunkt eines Vorteilsausgleichs in Betracht kommen, unterliegt der tatrichterlichen Beurteilung gem. § 287 ZPO. (BGH 15.2.05, VI ZR 74/04, VA 05, 76 = NJW 05, 1041 = Abruf-Nr. 050809)
Fall 4:BGH 15.2.05, VI ZR 160/04 (VA 05, 77 = NJW 05, 1043 = Abruf-Nr. 050810)
Sachverhalt: Nach einem Unfall im Januar 03 mietete der Kläger bei einem Autovermieter einen Ersatzwagen zu einem Tarif, der nach Ansicht des beklagten Versicherers den „Normaltarif“ um das Doppelte überstieg. Um ihm abgetretene Ansprüche gegen den Vermieter verfolgen zu können, verlangte er vom Kläger die Beantwortung eines Fragenkatalogs und machte insoweit ein Zurückbehaltungsrecht geltend. Das AG hat den Beklagten uneingeschränkt zur Erstattung der Mietkosten verurteilt. Mit seiner Berufung erreichte er nur eine Zug-um-Zug-Verurteilung. Dagegen hat der Kläger Revision eingelegt, der sich der Versicherer angeschlossen hat. Auf beide Rechtsmittel hin hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und auch diese Sache an das LG zurückverwiesen.
Leitsatz a): Im Kern wie oben Fall 1 Leitsatz b): In dem Verhältnis zwischen Geschädigtem und Schädiger kommt es nicht darauf an, ob dem Geschädigten gegenüber dem Vermieter des Ersatzfahrzeugs Ansprüche im Zusammenhang mit der Tarifgestaltung zustehen. (BGH 15.2.05, VI ZR 160/04, VA 05, 77 = NJW 05, 1043 = Abruf-Nr. 050810)
Fall 5:BGH 19.4.05, VI ZR 37/04 (n.v., Abruf-Nr. 051629)
Sachverhalt: Im Revisionsverfahren ging es nur noch um ca. 300 EUR, die die klagende Autovermieterin von dem beklagten Versicherer aus abgetretenem Recht verlangte. Zwei Tage nach dem Unfall vom 27.1.02 hatte der Geschädigte, Inhaber einer Kreditkarte, zum Unfallersatztarif gemietet. Unwiderlegt bot die Klägerin ausschließlich diesen Tarif an. Während das AG den konkreten Mietpreis für erstattungsfähig gehalten hat, hat das LG auf einen von ihm geschätzten Normaltarif abgestellt. Auf die zugelassene Revision der Klägerin hat der BGH das Urteil (SP 04, 414) aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen.
Leitsatz a): im Kern wie Fall 1 Leitsatz b): Einen ungerechtfertigt überhöhten „Unfallersatztarif“ kann der Geschädigte nur ersetzt verlangen, wenn er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie den gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich war. Leitsatz c): Zur Frage, wann der Geschädigte zur Nachfrage nach einem günstigeren Tarif und zum Einsatz seiner Kreditkarte oder zu einer sonstigen Form einer Vorfinanzierung verpflichtet ist. (BGH 19.4.05, VI ZR 37/04, n.v., Abruf-Nr. 051629) |
Welche praktischen Konsequenzen sich daraus im materiellen Recht ergeben und was in der Beratungspraxis und bei der Prozessführung zu beachten ist, lesen Sie in den nachfolgenden beiden Checklisten.Welche praktischen Konsequenzen sich daraus im materiellen Recht ergeben und was in der Beratungspraxis und bei der Prozessführung zu beachten ist, lesen Sie in den nachfolgenden beiden Checklisten.
Die praktischen Konsequenzen |
I. Konsequenzen im materiellen Recht
1. Ausgangslage: Maßgebend war bisher das Grundsatzurteil des BGH vom 7.5.96 (NJW 96, 1958). Danach verstößt ein Geschädigter im Regelfall nicht gegen seine Pflicht zur Geringhaltung des Schadens, wenn er ein Ersatzfahrzeug „zu einem im Rahmen der Unfallersatztarife günstigen Tarif“ anmietet. Die Anmietung zum Unfallersatztarif sei für sich allein noch kein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot. Die Instanzgerichte haben diese Aussagen (zum Teil bestätigt durch BGH NJW 99, 279) überwiegend als grundsätzliche Billigung des Unfallersatztarifs verstanden. Er allein – ohne Einschluss der Normaltarife – galt als üblich und für den Geschädigten passend. Erst wenn der Vertragspreis, für den Geschädigten erkennbar, außerhalb des bei vergleichbaren Anbietern Üblichen lag, wurde die Erstattungsfähigkeit verneint (OLG Düsseldorf NZV 00, 366; OLG Hamm r+s 98, 106; LG Aachen DAR 04, 655).
2. Nunmehr gilt: Ausgangspunkt ist nach wie vor § 249 BGB, jetzt Abs. 2 S. 1. Nur die objektiv „erforderlichen“ Kosten sind erstattungsfähig. Was das mit Blick auf den Unfallersatztarif heute bedeutet, ergibt sich aus dem Leitsatz im Fall 1 und aus dem Leitsatz b) im Fall 5. Mit diesen Aussagen, den wichtigsten aller fünf Entscheidungen, hat der BGH die Anforderungen an die „Erforderlichkeit“, nicht etwa an die Schadenminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB, erheblich verschärft; freilich ohne den Unfallersatztarif generell zu missbilligen. M.a.W.: Ein Unfallersatztarif kann, muss aber nicht erstattungsfähig sein.
II. Konsequenzen für die außergerichtliche Beratung Dem sichersten Weg verpflichtet, sollte der Anwalt des Geschädigten, der eine Fahrzeugmiete erst beabsichtigt, auf die Risiken einer Anmietung zum Unfallersatztarif nachdrücklich hinweisen und im Zweifel davon abraten. Eine Rechtspflicht zur vorherigen Information des Versicherers besteht zwar nicht, eine Kontaktaufnahme ist aber mehr denn je zweckmäßig.
III. Konsequenzen für die Prozessführung
1. Wer gegen wen? In den meisten Fällen steht der Anwalt vor vollendeten Tatsachen: Der Mietvertrag ist nicht nur abgeschlossen, sondern auch schon abgelaufen. Typischerweise reguliert der Versicherer unter Hinweis auf einen günstigeren Normaltarif nur teilweise. Wer den offenen Restbetrag gerichtlich geltend macht, ist nicht nur eine Frage der Aktivlegitimation (Stichwort Abtretung), sondern auch von taktischen Überlegungen abhängig. Als Vertreter des Geschädigten muss der Anwalt auch die mietvertragsrechtliche Seite in den Blick nehmen (Stichwort Aufklärungspflichtverletzung). Mit einer Freistellungserklärung des Versicherers kann dem Mandanten geholfen sein. Klagt der Geschädigte selbst, ist eine Streitverkündung an den Vermieter in Betracht zu ziehen.
2. Darlegungs- und Beweislast: Den strittigen Restbetrag namens des Geschädigten einzuklagen, ist infolge der neuesten BGH-Rspr. nicht nur arbeitsaufwändiger, sondern auch risikoreicher als in der Vergangenheit. Keineswegs nur der Vermieter als Rechtsnachfolger des Geschädigten, auch dieser persönlich trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Berechtigung der Erhöhung des vereinbarten Unfallersatztarifs gegenüber dem Normaltarif. Ob die Rechnung weiterhin Indizwirkung für die Erforderlichkeit der Aufwendungen hat, sagt der BGH nicht. In der Logik seiner neuen Linie läge es, Rechnungen mit Unfallersatztarifen die indizielle Bedeutung abzusprechen. Das hätte Auswirkungen auf die Schlüssigkeitsprüfung. Vorsorglich sollte der Anwalt des Geschädigten und erst recht derjenige des Autovermieters schon in der Klageschrift Ausführungen zur sachlichen (betriebswirtschaftlichen) Berechtigung des konkreten Unfallersatztarifs machen (hilfreich Neidhardt/Kremer, NZV 05, 171 mit Hinweis auf ein eigenes, von mehreren Gerichten anerkanntes Gutachten). Die Ortsüblichkeit unter Beweis zu stellen, reicht nicht aus.
Ob die schlichte Behauptung der betriebswirtschaftlichen Berechtigung des Unfallersatztarifs ausreichend ist, mag zweifelhaft sein. Spätestens nach einem substanziierten Bestreiten des Versicherers, wozu dieser allemal in der Lage ist, wird der Kläger nachlegen müssen. Da der Geschädigte in der Regel keinen Einblick in die betriebswirtschaftlichen Verhältnisse des Autovermieters hat, können und dürfen an seine Substanziierungspflicht keine hohen Anforderungen gestellt werden. Manche Richter sehen Geschädigte hier völlig überfordert und stellen sie von jeglichen Darlegungen frei (z.B. AG Nürnberg VA 05, 61, Abruf-Nr. 050709; AG Chemnitz VA 05, 113, Abruf-Nr. 051627). Sicherheitshalber sollte das Gericht ausdrücklich um einen Hinweis gebeten werden, ob (weiterer) Sachvortrag, ggf. auch zu den Normaltarifen, erforderlich ist.
3. Tarifkontrolle: Der BGH geht davon aus, dass der Tatrichter bei entsprechendem Parteivortrag die für den Unfallersatztarif maßgeblichen Faktoren mithilfe eines Sachverständigen klären und geldmäßig bewerten kann. Noch sind Gutachten gerichtlich bestellter Sachverständiger nicht bekannt geworden. Im Umlauf sind das Gutachten Kremer (pro Geschädigte/Vermieter) und das Gutachten Albrecht (pro Versicherer; s. auch Griebenow, NZV 05, 113). Die Gerichte, soweit sie dem BGH folgen, haben zum Teil Hinweisbeschlüsse erlassen (z.B. im Fall 2), vermutlich auch schon den einen oder anderen Beweisbeschluss. Andere haben Klagen ohne jegliche Beweisaufnahme kurzerhand mit der Begründung abgewiesen, die betriebswirtschaftliche Rechtfertigung des höheren Unfallersatztarifs sei nicht dargetan (AG Köln VA 05, 95, Abruf-Nr. 051353).
4. Zugang zu einem günstigeren Normaltarif: Entgegen verbreiteter Meinung ist die Klage noch nicht abweisungsreif, wenn sich herausstellt, dass der vereinbarte Unfallersatztarif betriebswirtschaftlich nicht gerechtfertigt ist. In einem weiteren Schritt ist zu klären, ob der Geschädigte in seiner konkreten Situation an Stelle des ungerechtfertigt überhöhten Unfallersatztarifs einen anderen Mietpreis, etwa zum Normaltarif, hätte vereinbaren können. Die Alternative muss a) wesentlich günstiger und b) auf dem zeitlich und örtlich relevanten Markt ohne weiteres zugänglich gewesen sein (BGH Fall 5).
5. Darlegungs- und Beweislast in der „Zugangsfrage“: Da es dem BGH auch in diesem Punkt um die Erforderlichkeit der Aufwendungen geht, und zwar um das Kriterium der Subjektbezogenheit, legt er die Darlegungs- und Beweislast dem Geschädigten bzw. seinem Rechtsnachfolger auf. Wer sie als Klägeranwalt vertritt, muss – anders als bisher – konkrete Angaben zur Anmietsituation und den Begleitumständen vortragen und unter Beweis stellen, zweckmäßigerweise schon in der Klageschrift. Die einfache Behauptung, ein wesentlich günstigerer Alternativtarif sei nicht zugänglich gewesen, dürfte heute nicht mehr genügen. Vortrag, der diese Behauptung substanziiert, ist u.a.:
6. Kenntnisstand des Geschädigten, Erkundigungs- und Preisvergleichspflicht: In diesen Punkten herrscht weiterhin enorme Unsicherheit; terminologisch, faktisch und rechtlich. Was ein Geschädigter in seiner konkreten Situation zu tun hat und was er lassen darf, war für die meisten Gerichte eine Frage des § 254 Abs. 2 BGB. Das war für Geschädigte tendenziell von Vorteil, weil der Schädiger diejenigen Tatsachen beweisen muss, die ein Mitverschulden begründen. Infolge des BGH-Urteils vom 19.4.05 (Fall 5) kommt es noch stärker als bisher zu Überschneidungen mit der „Erforderlichkeitsprüfung“ (§ 249 Abs. 2 S. 1 BGB), was wegen der nachteiligen Beweislastverteilung die Position der Geschädigten zusätzlich schwächt.
Folgende Einzelpunkte sind von besonderem Interesse:
IV. Weitere Brennpunkte
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