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  • · Fachbeitrag · Dashcam

    Verwertbarkeit einer privaten Dashcam-Aufzeichnung im straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahren

    | Die mit der Verwertung von Dashcam-Aufnahmen in gerichtlichen Verfahren zusammenhängenden Fragen beschäftigen seit einiger Zeit die Rechtsprechung. Die Diskussion wird bislang aber weitgehend für Zivilverfahren geführt. Für Straf- und Bußgeldsachen ist bisher nur die Entscheidung des AG Nienburg bekannt geworden (vgl. VA 15, 107 ). Jetzt liegt mit dem OLG Stuttgart eine obergerichtliche Entscheidung zu den anstehenden Fragen vor. |

     

    Sachverhalt

    Das AG hat den Betroffenen wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes verurteilt. Es hat die Verurteilung u.a. auf eine in der Hauptverhandlung vorgeführte Aufnahme von dem Verkehrsverstoß gestützt, die ein Zeuge mittels einer „Dashcam“ gefertigt hatte. Dabei lief die Kameraaufzeichnung bereits seit Fahrtbeginn des Zeugen und anlasslos über seine gesamte Fahrtstrecke weiter. Diese Videoaufzeichnung wurde von einem Sachverständigen in der Hauptverhandlung vorgespielt und ausgewertet. Die Dauer des Rotlichtverstoßes ergab sich dabei aus der in der Videoaufzeichnung mitlaufenden Uhr, wobei der Sachverständige unter anderem feststellen konnte, dass die Uhrzeit als solche zutreffend im Sekundentakt mitzählt. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte keinen Erfolg.

     

    Selbst wenn eine private Dashcam-Aufzeichnung im Straßenverkehr unter Verstoß gegen § 6b BDSG gefertigt worden ist, führt das im Bußgeldverfahren i.d.R. nicht zu einem Beweisverwertungsverbot (Abruf-Nr. 186216).

     

     

    Entscheidungsgründe

    Ob der Zeuge durch den Betrieb seiner On-Board-Kamera in der von ihm gewählten Betriebsform gegen das datenschutzrechtliche Verbot des § 6b BDSG, nach dem die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) nur unter bestimmten Umständen zulässig ist, verstoßen hat oder ob sich die Zulässigkeit aus § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG ergab, konnte das OLG nicht abschließend beurteilten, da das amtsgerichtliche Urteil hierzu nicht sämtliche prüfungsrelevanten Tatsachen mitgeteilt hat. Gem. § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG ist die Videoüberwachung nur zulässig, soweit sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Da der genaue Zweck der Aufnahme im amtsgerichtlichen Urteil offen bleibt, kann das OLG nicht abschließend entscheiden, ob er als berechtigtes Interesse i. S. v. § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG anzuerkennen wäre.

     

    Gleichwohl hat das OLG das AG-Urteil aber nicht als rechtsfehlerhaft angesehen, weil selbst im Falle eines Verstoßes gegen § 6b BDSG dieser in dem hier vorliegenden Einzelfall kein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen würde. Dazu bezieht sich das OLG auf das BVerfG (20.5.11, 2 BvR 2072/10, VA 11, 36). Nach den dort vom BVerfG dargestellten Grundsätzen ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehindert, eine Videoaufzeichnung, die keine Einblicke in die engere Privatsphäre gewährt, sondern lediglich Verkehrsvorgänge dokumentiert und eine mittelbare Identifizierung des Betroffenen über das Kennzeichen seines Fahrzeugs zulässt, zu verwerten, wenn dies zur Verfolgung einer besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigenden Ordnungswidrigkeit erforderlich ist. Bei der Abwägung ist zunächst zu sehen, dass es hier lediglich um die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit und keiner Straftat geht. Andererseits sind die hohe Bedeutung der Verkehrsüberwachung für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und das Gewicht des Verstoßes im Einzelfall (Rotlichtverstoß sehr deutlich über einer Sekunde) zu berücksichtigen. Die Videoaufzeichnung wurde weder durch den Staat veranlasst, um grundrechtliche Sicherungen planmäßig außer Acht zu lassen, noch wurde ein Privater gezielt mit der Fertigung beauftragt, um Beweise zu erlangen, deren sich der Staat durch die Verkehrsüberwachungsbehörden selbst nicht hätte bedienen dürfen. Die Intensität und Reichweite des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch die Videoaufzeichnung des fließenden Verkehrs ist hier zudem sehr gering.

    Relevanz für die Praxis

    • 1. Es war zu erwarten, dass die Diskussion über die Verwertbarkeit einer Dashcam-Aufzeichnung alsbald auch die OLG erreichen wird. Die ist an der Stelle mit dieser Entscheidung des OLG Stuttgart eröffnet und wird wahrscheinlich erst durch eine (weitere) Entscheidung des BVerfG abgeschlossen werden. Bis dahin muss der Verteidiger die Frage der Zulässigkeit der Verwertung einer solchen Aufzeichnung mit einer Verfahrensrüge, die die Verwertung der Erkenntnisse aus der Videoaufzeichnung der „Dashcam“ zu Lasten des Betroffenen trotz des Bestehens eines Beweisverwertungsverbotes geltend macht, stellen Für die Begründung der Rüge gilt § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Und: Die Rüge muss - so inzidenter auch das OLG Stuttgart - in der Hauptverhandlung vorbereitet werden, indem der Betroffene der Verwertung der Videoaufnahmen in der Hauptverhandlung rechtzeitig widerspricht (BGHST 38, 214; zur Widerspruchslösung Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 8. Aufl., 2016, Rn. 3433).

     

    • 2. Das OLG weist ausdrücklich darauf hin, dass ein Beweisverwertungsverbot ggf. in Betracht kommt, wenn Privatpersonen wiederholt bzw. dauerhaft aus eigener Machtvollkommenheit zielgerichtet mittels „dashcam“-Aufzeichnungen Daten, insbesondere Beweismittel, für staatliche Bußgeldverfahren erheben, sich so zu selbsternannten „Hilfssheriffs“ aufschwingen und die Datenschutz- und Bußgeldbehörden dies dulden bzw. sogar aktiv fördern. Sollten die Bußgeldbehörden bzw. deren Aufsichtsbehörden einen „Orwellschen Überwachungsstaat“ durch Private befürchten (vgl. hierzu bzw. ähnlichen Überlegungen LG Memmingen DA 16, 143; LG Heilbronn NJW-RR 15, 1019 ff.; AG München zfs 14, 692 ff.), stünde es ihnen nach Auffassung des OLG Stuttgart zudem frei, gem. § 47 OWiG ausschließlich auf der Ermittlungstätigkeit von Privaten mittels „dashcam“ beruhende Verfahren nicht weiter zu verfolgen. Die Bußgeldbehörden sollten ihrerseits bereits bei Einleitung von Verfahren die Verwertbarkeit derartiger Aufnahmen zu prüfen und dabei auch die erforderlichen Abwägungen im Hinblick auf Bedeutung und Gewicht der angezeigten Ordnungswidrigkeit vorzunehmen haben. Als Verteidiger muss man insoweit darauf achten, dass bzw. ob, immer wieder derselbe „private Zeuge“ in den Verfahren eine Rolle spielt. Das spricht dann ggf. für einen „selbsternannten Hilfssheriff.
    Quelle: ID 44074450