· Fachbeitrag · Prozessrecht
Paukenschlag beim (Akten-)Einsichtsrecht oder: Der Rechtsstaat lebt ...
| Große Aufmerksamkeit hat in den letzten Wochen der VerfG Saarland erregt (27.4.18, Lv 1/18, Abruf-Nr. 201394 ). Es handelt sich bei der Entscheidung um die erste verfassungsgerichtliche Entscheidung in dem heftig umstrittenen Bereich des Einsichtsrechts des Betroffenen bzw. seines Verteidigers in Messunterlagen. Da der Beschluss des VerfG Saarland fast 30 Seiten lang ist, kann man ihn hier nicht im Einzelnen darstellen. Darum beschränken wir uns auf einige Eckpunkte/Kernaussagen. |
Die Kernsätze lauten:
- Es verletzt das Gebot eines fairen Verfahrens und das Gebot des rechtlichen Gehörs, wenn eine lesbare Falldatei mit Token-Datei und Passwort sowie Statistikdatei nicht zugänglich gemacht wird.
- Aus dem Gebot eines fairen Verfahrens folgt das Gebot der Waffengleichheit. Danach muss dem Betroffenen auch im Bußgeldverfahren Zugang zu den Informationen gewährt werden, die er benötigt, um sich gegen den Vorwurf zu verteidigen oder durch einen Verteidiger verteidigen zu lassen.
- Kommen die Verwaltungsbehörden den Einsichtsgesuchen des Verfahrensbevollmächtigten sowie den diesbezüglichen Verfügungen des AG ggf. nicht nach, muss das AG das Verfahren bis zur Herausgabe der Messdaten aussetzen. Es muss sicherstellen, dass dem Verfahrensbevollmächtigten eine Herausgabe dieser Daten nicht verwehrt wird. Denn liegen diese Daten im Zeitpunkt der Hauptverhandlung dem Verfahrensbevollmächtigten und ggf. einem Sachverständigen nicht vor, kann keine effektive Verteidigung des Betroffenen mit Vortrag von Messfehlern ‒ wenn diese aufgetreten sein sollten ‒ vorbereitet werden. Damit wird dem Betroffenen das Äußerungsrecht abgeschnitten bzw. dessen Ausübung faktisch unmöglich gemacht. Es liegt ein Verstoß gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs vor.
- Bisher war es vor dem AG oft so, dass ein in der Hauptverhandlung gestellter Beweisantrag, ein technisches Gutachten einzuholen, abgelehnt wurde. Das verletzt das Gebot eines fairen Verfahrens, das Gebot des rechtlichen Gehörs und das Willkürverbot, wenn der Beweisantrag mit der Begründung abgelehnt wird, es liege ein standardisiertes Verfahren vor, und damit ausdrücklich oder stillschweigend dem Betroffenen oder der Verteidigung vorgeworfen wird, es seien keine konkreten Anhaltspunkte für Messfehler dargelegt worden. Eine solche Darlegung ist nämlich erst nach Einsicht in die Messdaten möglich gewesen.
Relevanz für die Praxis
Nach diesem Beschluss wird die Rechtsprechung der OLG zur Einsicht in Messunterlagen neu geschrieben werden müssen. Die Literatur hat bereits seit Jahren so argumentiert wie das VerfG, die OLG haben es zum Teil anders gesehen und bei der Herausgabe der Messunterlagen oder -daten gemauert.
Allerdings ist bei der Hartnäckigkeit, die die OLG in den vergangenen Jahren in dieser Streitfrage an den Tag gelegt haben, das letzte Wort in der Frage noch nicht geschrieben/gesprochen. Die OLG, deren Rechtsprechung explizit als Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens und das Gebot des rechtlichen Gehörs angesprochen worden ist, werden wahrscheinlich versuchen, weiter zu mauern. Man wird neue Wege ersinnen, die möglicherweise dahin gehen, dass es sich ja „nur“ um eine Entscheidung aus dem Saarland handelt, die in Bayern, NRW oder sonst wo nicht interessiert. Und es wird sich sicherlich auch „anbieten“, weiter an den Anforderungen an die Begründung der Verfahrensrüge zu schrauben bzw. dort die Hürden noch höher zu legen, als man sie in der Vergangenheit schon (unsinnigerweise) gezogen hat (vgl. dazu OLG Hamm VA 18, 109). Und da kann man dann nur hoffen, dass hoffentlich bald wieder ein Verfassungsgericht sagt: So nicht.