· Fachbeitrag · Reparaturkosten
Die Tücken des Vorschadens beim ehrlichen Geschädigten
| Aktuell gibt es immer mehr Instanzurteile zur Vorschadenproblematik. Es erweist sich: Nur solide Arbeit im Tatsächlichen hilft. Die Rechtsfragen sind vom BGH weitgehend geklärt: „Wenn der Beklagte den Umfang oder die Höhe eines Schadens mit der Begründung bestreitet, der Gegenstand sei bereits durch ein früheres Ereignis beeinträchtigt worden, verbleibt die Darlegungs- und Beweislast grundsätzlich beim Kläger.“ Und: „Das Risiko der Nichterweislichkeit verbleibt freilich beim Anspruchsteller.“ (BGH 15.10.19, VI ZR 377/18, Rz. 8 und 11, Abruf-Nr. 212477 = VA 20, 5 ). |
Das Urteil des OLG Bremen zur Vortragslast des Geschädigten (30.6.21, 1 U 90/19, Abruf-Nr. 223491 = VA 22, 2) setzt sich offenbar durch. Auf der Grundlage hat der Geschädigte jedenfalls eine Chance, trotz Vorschäden an Schadenersatz zu kommen.
1. Ehrlich währt am längsten. Das hat aber lange gedauert
Auch ohne das HIS kann der redliche Geschädigte in Schwierigkeiten kommen. Das LG Oldenburg hatte folgenden Sachverhalt auf dem Tisch: Die Geschädigte betreibt ein Kurierunternehmen. Eines ihrer Fahrzeuge hat sie zunächst geleast, nach Ablauf der Leasingzeit aber gekauft. Dazwischen lag eine protokollierte Rückgabe des Fahrzeugs an die Leasinggesellschaft. Noch vor dem Leasingende hat sie zwei Kratzer an der Seitenwand durch pure Lackierarbeiten beseitigen lassen, denn eine Rückverformung des Blechs oder ein Spachtelauftrag zur Beseitigung von Unebenheiten war nicht nötig. Eine gesonderte Rechnung darüber hatte sie nicht, weil das im Zuge anderer routinemäßiger Arbeiten an dem Fahrzeug erfolgte.
Das Unheil nimmt seinen Lauf, als sie den Schadengutachter aufgrund dessen Frage nach Vorschäden darüber unterrichtet hat. Die Beseitigung der Kratzer wird im Gutachten notiert und per Lackschichtendickemessgerät überprüft. Im Gutachten war ebenfalls notiert, dass nur eine erhöhte Lackdicke festgestellt wurde. Das vorhergehende Leasingprotokoll hatte den gleichen Inhalt dazu. Der neue Unfallschaden überdeckt diesen Bereich und beläuft sich auf etwa 7.700 EUR zuzüglich einer Wertminderung. Aufgrund des Hinweises auf die Nachlackierung erstattet der Versicherer nicht einen Cent für die Reparaturkosten. Er gehe davon aus, dass im geltend gemachten Schaden auch alte Schadenanteile enthalten seien.
2. Die vom LG Oldenburg angelegte Messlatte
Das LG Oldenburg orientiert sich an der „Segelanweisung“ des OLG Bremen für solche Fälle, die die Darlegungslast des Geschädigten ‒ gemessen an den praktisch unerfüllbaren Anforderungen des KG ‒ sehr deutlich herabsetzt:
„An die Darlegungen des Geschädigten, hier der Klägerin, sind insoweit zunächst keine zu hohen Anforderungen zu stellen, denn es ist ausreichend, wenn eine Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist zunächst nicht erforderlich. Ob diese erfolgen können, ist gegebenenfalls bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Die teilweise von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze, wonach die Beseitigung von Vorschäden allein durch Vorlage von Rechnungen und detaillierter Darstellung sämtlicher Arbeitsschritte schlüssig dargelegt werden kann, erscheinen nicht haltbar (so OLG Bremen 30.6.21, 1 U 90/19 Rn. 25 ff. mit weiteren Nachweisen). Die ältere Rechtsprechung berücksichtigt insbesondere nicht, dass besonders im Bereich von Bagatellschäden als Vorschaden eine umfangreiche Darlegung weder möglich noch erforderlich ist.“
Gemessen daran und an den Anforderungen des § 287 ZPO hat sich das Gericht die Überzeugung gebildet, dass die Angaben der Klägerin in ihrer persönlichen Anhörung, die Stringenz ihrer Angaben von Anfang an, also auch die ehrliche Auskunft an den Gutachter, ohne die ‒ so das Gericht ‒ der Vorschaden aller Wahrscheinlichkeit nach gar nicht eingewendet worden wäre, in Verbindung mit der Feststellung zur Lackdicke im Gutachten die Annahme tragen, dass im neuen Schaden kein alter Schaden mehr steckt (LG Oldenburg 21.2.22, 2 O 3143/20, Abruf-Nr. 228200, eingesandt von RA Uwe Hasselberg, Delmenhorst).
3. Ein Fall mit mehreren Vorschäden
Ein vom LG Bonn (17 O 215/20, Abruf-Nr. 228199) entschiedener Fall hatte beide Aspekte im Sachverhalt: Das Fahrzeug war gebraucht erworben, ein früherer Unfallschaden wurde dabei offenbart. Nach dem Kauf gab es ein weiteres Schadenereignis, und zwar im Frontbereich des Fahrzeugs.
Beim nun streitgegenständlichen Unfall wurde abermals die Front des Fahrzeugs beschädigt. Die Vorschäden fanden im Schadengutachten Erwähnung. Der Versicherer verweigerte jegliche Zahlung mit der Begründung, es sei unklar, inwieweit der frühere Schaden im gleichen Bereich bereits beseitigt war. Auch die Kosten für das Schadengutachten erstatte er nicht. Seine Begründung war, der Geschädigte habe den Gutachter nicht über alle Vorschäden informiert.
Das Gericht orientiert sich bezüglich der Vortragslast ebenfalls am OLG Bremen. Der Vortrag des Klägers zur Reparatur der Frontschäden hat ausgereicht, um per Beweisbeschluss einen Gerichtsgutachter einzusetzen. Der konnte erhebliche Schadenanteile eindeutig dem neuen Ereignis zuordnen, sodass der Kläger einen großen Teil seiner Forderung durchsetzen konnte. Dazu bekam er die vollen Gutachtenkosten, weil die Informationen des Klägers an den Gutachter ausreichend waren.
Weiterführender Hinweis
- Keine Nutzungsausfallentschädigung bei einem Vorschaden? LG Nürnberg-Fürth VA 21, 4