· Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung
Auslandsunfall: Aussetzung des Verfahrens nach der EuGVVO
(BGH 19.2.13, VI ZR 45/12, Abruf-Nr. 131207) |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Nach einem Verkehrsunfall am 4.7.08 in Belgien klagt der in Deutschland wohnhafte Kl. vor dem LG Konstanz gegen die Bekl. zu 1) (= belgischer Haftpflicht-VR) und den Bekl. zu 2) (= belgischer Unfallgegner) auf Ersatz seines Unfallschadens. Hinsichtlich des Bekl. zu 2) ist die Klage durch Prozessurteil rechtskräftig abgewiesen worden. In dem Verfahren gegen den belgischen VR streiten die Parteien in erster Linie darüber, ob das Verfahren in Deutschland im Hinblick auf ein Verfahren vor den belgischen Gerichten ausgesetzt werden muss. Im Wege des Adhäsionsverfahrens verlangt der belgische Unfallgegner Ersatz seines Schadens. Der BGH unterstellt, dass die belgischen Gerichte früher angerufen wurden als die deutschen. Das LG Konstanz hat den belgischen VR zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt. Das OLG Karlsruhe hat die Berufung zurückgewiesen. Eine Aussetzung des Verfahrens hat es abgelehnt, und zwar sowohl nach Art. 27 Abs. 1 als auch nach Art. 28 Abs. 1 EuGVVO. Die zugelassene Revision des belgischen VR führte zur Urteilsaufhebung und zur Zurückverweisung an das OLG.
Die Entscheidung des OLG, das Verfahren nicht nach Art. 27 EuGVVO auszusetzen, wird vom BGH gebilligt. Als fehlerhaft beanstandet er dagegen die Ablehnung einer Aussetzung nach Art. 28 Abs. 1 EuGVVO.
- Im Rahmen der Prüfung nach Art. 27 EuGVVO kommt es u.a. darauf an, ob die Parteien in beiden Verfahren identisch sind. Parteiidentität heißt nicht zwingend Personenidentität. So könnten VR und VN unter bestimmten Voraussetzungen als ein und dieselbe Partei anzusehen sein. Im Streitfall, so der BGH, lägen diese Voraussetzungen nicht vor, Parteiidentität sei also zu verneinen. Mit den in Belgien anhängigen Ansprüchen habe der belgische VR nichts zu tun.
- Den Rechtsstreit nicht nach Art. 28 Abs. 1 EuGVVO auszusetzen, hält der BGH deshalb für fehlerhaft, weil das OLG sein Ermessen nicht richtig ausgeübt habe. Es habe einseitig auf die Interessen des (deutschen) Klägers abgestellt und maßgebliche Abwägungskriterien unberücksichtigt gelassen.
Praxishinweis
Wenn das in Belgien anhängige Verfahren - wichtig: auch ein Adhäsionsverfahren gilt als Zivilsache - inzwischen rechtskräftig abgeschlossen ist, kommt eine Aussetzung des deutschen Prozesses naturgemäß nicht mehr in Betracht. Wenn nicht, muss das OLG seine Ermessensentscheidung nach Maßgabe der BGH-Vorgaben erneut treffen. Eine Aussetzung nach Art. 28 Abs. 1 EuGVVO erscheint nicht ausgeschlossen, immer unterstellt, dass die belgischen Gerichte früher als die deutschen angerufen wurden.
Für den Anwalt eines deutschen Mandanten, der im EU-Ausland einen Verkehrsunfall erlitten hat, bleibt festzuhalten: Art. 11 Abs. 2, Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO eröffnet die Möglichkeit, einen Prozess gegen den EU-ausländischen VR an seinem Wohnsitz vor dem international und örtlich zuständigen Gericht anzustrengen (EuGH VersR 08, 111 - Odenbreit). Den ausländischen Unfallbeteiligten dort mitzuverklagen, führt zur Klageabweisung durch Prozessurteil; auch wenn es im Ausland, wie in Italien, nur die Paketlösung gibt (OLG Nürnberg, Abruf-Nr. 123746). Sofern der ausländische Unfallgegner in seinem Land den deutschen Mandanten klageweise in Anspruch nimmt, steht das später angerufene Gericht vor der Frage: aussetzen oder durchentscheiden? Wer zuerst klagt, ist im Vorteil. Wer als Zweiter ins Rennen geht, muss mit einer Aussetzung rechnen. Unter welchen Voraussetzungen sie in Frage kommt, ist durch den BGH nunmehr geklärt. Ob endgültig, hängt auch vom Ausgang des Verfahrens C - 438/12 vor dem EuGH ab (Anrufung durch OLG München 16.2.12, 21 W 1098/11, keine Unfallsache).