Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

    Diese Besonderheiten müssen Sie bei der Schadensabrechnung auf Neuwagenbasis kennen

    von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen

    | BGH VA 09, 145 = NJW 09, 3022 hat nur in einem Teilbereich dieser besonderen Abrechnungsart („unechter Totalschaden“) für Klärung gesorgt. Das zeigen nicht zuletzt zahlreiche Entscheidungen der Instanzgerichte aus jüngster Zeit. Schon deswegen ist eine Bestandsaufnahme erforderlich. |

     

    Checkliste / Schadensabrechnung auf Neuwagenbasis

    1. Wie lange ist ein Kraftfahrzeug noch „neuwertig“? 

     

    • Die 1.000-km-Grenze: Die 1.000 km-Grenze ist in der Rspr. nach wie vor anerkannt. Sie ist aber nur eine Faustregel (BGH VA 09, 145). Die Höchstgrenze liegt bei 3.000 km (BGH NJW 82, 433). Gegen Anhebung der 3.000-km-Grenze: OLG Celle NZV 13, 85.

     

    • Die Einmonatsgrenze: Entgegen LG Leipzig SVR 05, 384 ist auch sie keine starre Grenze. Indes fehlt ein der 3.000-km-Grenze vergleichbarer Höchstwert. Deshalb: Bei deutlich mehr als einem Monat zwischen Erstzulassung und Unfalltag ist eine NW-Abrechnung auch bei einer Laufleistung unter 1.000 km riskant, ab zwei Monaten nahezu aussichtslos. Andererseits: Der Zeitfaktor ist nur ein Hilfskriterium, vorrangig ist die Fahrleistung. Die Uhr läuft ab dem Tag der Erstzulassung, nicht ab der ersten Fahrt im Straßenverkehr. Urlaubsreisen ohne Auto oder ähnliche Autopausen spielen keine Rolle (LG Schweinfurt NJW-RR 05, 1110). Bei einer Kurzzulassung ohne Nutzung („Tageszulassung“) wird ab dem Tag der Zulassung auf das Autohaus oder den Hersteller gerechnet (so LG Hagen zfs 07, 386; zweifelhaft); zur „Tageszulassung“ auch AG Menden NZV 03, 96. Trotz nur fünftägiger Eigennutzung und nur 730 km hat das OLG München eine NW-Abrechnung bei einem Fahrzeug abgelehnt, das zuvor fünf Wochen (!) auf die Verkaufsfirma zugelassen und bis zur Übernahme durch die Klägerin (bei km-Stand 50) für ca. sechs Monate abgemeldet war (1.12.09, 10 U 4364/09, Abruf-Nr. 133113).

     

    • Kumulation, kein Entweder-Oder und auch keine Kompensation: In beiden Punkten zusammen muss das Fahrzeug die genannten Voraussetzungen erfüllen. Es genügt nicht, wenn es z.B. erst 315 km gelaufen, aber schon vier Monate zugelassen ist. Schädlich ist umgekehrt eine Fahrstrecke von 1.580 km trotz nur sechstägiger Nutzung (OLG Düsseldorf SVR 10, 181) oder 4.200 km in nur einem Monat (OLG Celle NZV 13, 85).

    2. Muss das Fahrzeug privat genutzt sein?

    Zunächst: Es muss nicht unbedingt ein Pkw/Kombi/SUV sein. Auch bei einem Wohnmobil kommt vom Ansatz her eine NW-Abrechnung infrage; ebenso bei einem Motorrad (KG MDR 05, 443; LG Detmold 20.10.10, 12 O 172/09, Abruf-Nr. 103854). Eine gewerbliche Nutzung ist für den BGH kein Ausschlussgrund (VA 09, 145). Allerdings diente das BMW M 6 Coupé als Geschäftsführerfahrzeug zumindest auch Repräsentationszwecken. Daran gemessen ist bei einem Vorführwagen eines Autohauses eine NW-Abrechnung möglich (OLG Hamm NJW-RR 01, 456). Anders ist es bei einem als Werkstattwagen eingesetzten VW T 4 (Transporter/Kastenwagen mit Werkstatteinrichtung), vgl. OLG München SP 05, 195. Bei typischen Nutzfahrzeugen (Lkw, Omnibus) wird zwar der 30-Prozent-Zuschlag 
gewährt, der Bonus einer NW-Abrechnung aber überwiegend abgelehnt (OLG Naumburg OLGR 00, 423). Pkw/Kombis/SUV, die Leasinggesellschaften gehören, sind jedenfalls aus deren eigenem Recht bonuswürdig (OLG Düsseldorf 23.5.05, I-1 U 216/04, Abruf-Nr. 091288 - Klage einer gewerblichen Leasingnehmerin aus abgetretenem Recht; OLG Nürnberg NJW-RR 95, 919; LG Schweinfurt NJW-RR 05, 1110 - jeweils Prozessstandschaft; zweifelnd OLG Celle NZV 13, 85: „geringeres Integritätsinteresse“?). Ob der Leasingnehmer aus eigenem Recht eine Neupreisentschädigung beanspruchen kann, ist höchstrichterlich ungeklärt (für Ersatz der Wiederbeschaffungskosten bei echtem Totalschaden OLG München 26.4.13, 10 U 3879/12, Abruf-Nr. 132627).

    3. Wie intensiv muss der Schaden sein?

    Klar ist: Ohne „erhebliche“ Beschädigung besteht kein Anspruch auf Finanzierung eines Neufahrzeugs.

     

    • a)Worauf kommt es an?
    • Auf eine Gesamtbetrachtung, so BGH VA 09, 145, wobei der Richter einen Ermessensspielraum habe (§ 287 ZPO). Die Erheblichkeit einer Beschädigung beurteilt sich nicht in erster Linie anhand der Schwere des eingetretenen Unfallschadens, sondern anhand des Zustands, in dem sich das Fahrzeug nach einer fachgerechten Reparatur befindet (BGH a.a.O.). Dahinter steht der Gedanke der Zumutbarkeit. Ist es dem Geschädigten zuzumuten, sich auf eine Reparatur einzulassen? Anders gefragt: Hat das Fahrzeug trotz fachgerechter Reparatur seine Neuwertigkeit verloren?

     

    • Keine „erhebliche“ Beschädigung sieht man, wenn nur Fahrzeugteile betroffen sind, die „spurlos“ ausgewechselt werden können, z.B. Anbauteile wie Türen, Scheiben, Stoßstangen (BGH a.a.O.; OLG Düsseldorf VA 09, 57). Andererseits stellt nicht jede Beschädigung von Nicht-Anbauteilen einen „erheblichen“ Schaden dar. Leichte Beulen/Dellen oder bloße Lackkratzer rechtfertigen i.d.R. keine NW-Abrechnung. Anders liegen die Dinge, so der BGH a.a.O., wenn tragende oder (nicht und) sicherheitsrelevante Teile, insbesondere das Chassis, beschädigt wurden, und (nicht oder) die fachgerechte Instandsetzung „nicht völlig unerhebliche Richt- oder Schweißarbeiten“ erfordert.

     

    • Sondergruppe „1.000 bis 3.000 km“: Insoweit hat der BGH einen speziellen Zusatzkriterien-Katalog aufgestellt (NJW 82, 433): Beschädigung sicherheitsrelevanter Teile mit verbleibendem Unsicherheitsfaktor oder Zurückbleiben erheblicher „Schönheitsfehler“ oder Gefährdung von Garantieansprüchen. Für den Grundfall (bis 1.000 km) kommt es auf diese Tatbestände nicht an (BGH VA 09, 145). Legitim ist jedoch ein Erst-recht-Schluss: Ist nur eines der drei BGH-Kriterien erfüllt, ist eine Weiterbenutzung bei einem Fahrzeug mit weniger als 1.000 km erst recht unzumutbar (so LG Mönchengladbach NJW-RR 06, 244). Dazu muss konkret vorgetragen werden (LG Saarbrücken 20.5.11, 13 S 27/11, Abruf-Nr. 112009); zum Gesichtspunkt „Garantiegefährdung“ OLG Düsseldorf VA 09, 57; OLG Nürnberg NZV 08, 559.

     

    • b)Worauf kommt es nicht an?
    • Demgegenüber kommt es nicht auf folgende Punkte an:

     

      • die Relation zwischen Reparaturkosten und Kaufpreis (OLG Celle NJW-RR 03, 1381; OLG Düsseldorf SP 04, 158),
      • ob der Sachverständige eine merkantile Wertminderung ermittelt hat oder nicht (hat aber indizielle Bedeutung, zumal wenn sie hoch ist, vgl. BGH VA 09, 145; OLG Hamm 13.7.11, I-13 U 33/11, Abruf-Nr. 120772),
      • ob der Geschädigte im Falle einer fachgerechten Reparatur bei einem Weiterverkauf offenbarungspflichtig ist oder nicht (BGH VA 09, 145; OLG Düsseldorf SP 04,158; OLG Celle NJW-RR 03, 1381).
    • c)aktuelle Rechtsprechung
    • Die aktuelle Rechtsprechung bietet viel Anschauungsmaterial:
    •  
      • Erheblichkeit bejaht: BGH VA 09, 145 (BMW M 6 Coupé, Beschädigung der gesamten linken Seite, Richtarbeiten an A-Säule; Vorinstanz OLG Hamburg VA 08, 166); OLG Nürnberg NZV 08, 559 (Mittelklasse-Pkw, Schaden hi. re.); LG Nürnberg-Fürth 8.12.10, 8 O 4576/10, Abruf-Nr. 133114 (Pkw mit Beschädigung u.a. des Längsträgers); LG Detmold 20.10.10, 12 O 172/09, Abruf-Nr. 103854 (Motorrad).

     

      • Erheblichkeit verneint: OLG Hamm 13.7.11, 13 U 33/11, Abruf-Nr. 120772 (Beschädigung von Austauschteilen im Heckbereich); KG 2.8.10, 12 U 49/10, Abruf-Nr. 102570 (Seitenschaden hi. li.); OLG Düsseldorf SVR 10, 181 (Heckschaden); OLG Düsseldorf VA 09, 57 (Kotflügel hi. li., Radhaus, Lackierung); OLG Schleswig NZV 09, 298 (re. vo. Seitenteil, Vorderrad); OLG Celle NJW-RR 03, 1381 (Heckklappe, Stoßfänger und Bodenblech hi.; keine Richtarbeiten); LG Bochum 3.12.12, 8 O 344/12, Abruf-Nr. 132193 (Heckschaden); LG Chemnitz 8.4.11, 1 O 2232/09, Abruf-Nr. 120252 (Schaden an der li. Seitenwand); LG Wuppertal 22.3.10, 17 O 241/09, Abruf-Nr. 133115 (Schaden li. Seite, keine Richtarbeiten); LG Zwickau SP 10, 16 (beide Türen li. und hi. li. Seitenwand eingedrückt).
    • d)Faustregeln
      • Schadensumfang: Heckbeschädigungen eher nein, Frontschäden mit Vorderachs- und/oder Lenkungsbeteiligung eher ja, Seitenwandschaden eher ja bei Verformung der A- oder B-Säule oder des Schwellers, eher nein bei reinem Tür- oder Kotflügelschaden.
      • Reparaturweg: Richten oder schweißen von tragenden oder sicherheitsrelevanten Teilen eher ja; tauschen eher nein.
      • Kostenrelation: Bei Reparaturkosten unter 10 Prozent des Neupreises eher nein, bei 10 bis 30 Prozent „jein“, bei mehr als 30 Prozent eher ja.

     

    4. Kann fiktiv auf Neuwagenbasis abgerechnet werden?

    Nach BGH VA 09, 145 kann der Geschädigte nur dann auf NW-Basis abrechnen, wenn er ein fabrikneues Ersatzfahrzeug gekauft hat. Die Anschaffung eines Gebrauchtwagens genügt also nicht (OLG Düsseldorf DAR 10, 704); auch nicht der Erwerb eines nur 2.300 km gelaufenen Vorführwagens (AG Herne-Wanne 11.3.11, 13 C 513/10, Abruf-Nr. 133116). Eine Tageszulassung i.e. Sinne schadet nicht (gilt unter bestimmten Umständen als „fabrikneu“). Leasen statt kaufen ist trotz OLG Celle VA 12, 22 nicht ratsam, denn der BGH spricht ausdrücklich von „kaufen“ und scheint zum Nachweis des besonderen Integritätsinteresses einen Eigentumserwerb vorauszusetzen (VA 09, 145).

     

    Achtung | Das Ersatzfahrzeug muss „gleichwertig“ sein, also kein Krad für einen Pkw oder umgekehrt, kein Fiat Punto für Mercedes S-Klasse. Selbst ein Polo für einen Golf gilt als problematisch (OLG München 1.12.09, 10 U 4364/09, Abruf-Nr. 133113); Gleichwertigkeit verneint bei Ford Fiesta 3-türig für Toyota Yaris 5-türig von KG 2.8.10, 12 U 49/10, Abruf-Nr. 102570. Gleichwertig heißt nicht gleicher Preis. Der Kauf eines billigeren, aber typgleichen Neuwagens kann genügen (z.B. Re-Import oder Neufahrzeug über ein Internetportal). Ein handelsüblicher Rabatt kommt dem Schädiger zugute, eine zwischenzeitliche Preissteigerung geht zu seinen Lasten.

     

    Die bloße Kaufabsicht reicht nicht aus; auch nicht bei einem Geschädigten, der die Neuanschaffung finanziell nicht stemmen kann. Einen Vorschussanspruch haben die Gerichte bislang nicht bewilligt. Ob zum Abschluss eines Kaufvertrags (einseitiges Angebot ist zu wenig) die Übergabe des Fahrzeugs hinzukommen muss, womöglich noch eine Haltefrist (Nutzung) von sechs Monaten, geht aus BGH VA 09, 145 nicht klar hervor. Ohne nachgewiesene Nutzung habe der Geschädigte allenfalls die Möglichkeit, einen Feststellungsantrag zu stellen (so OLG Celle NZV 13, 85). Das OLG München verlangt neben dem Kaufvertrag die Übernahme des Neufahrzeugs (1.12.09, 10 U 4364/09, Abruf-Nr. 133113).

    5. Was ist mit dem beschädigten Fahrzeug?

    Der Geschädigte kann das Unfallfahrzeug selbst verwerten, er kann es aber auch dem Schädiger/VR Zug um Zug gegen die Neupreisentschädigung zur Verwertung anbieten (BGH NJW 83, 2694; indirekt bestätigt durch BGH VA 09, 145). Letzterenfalls empfiehlt sich ein Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs, sofern eine Übernahme abgelehnt wurde.

    6. Prozessuale Fragen

    • Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen einer NW-Abrechnung trägt der Geschädigte (st. Rspr., z.B. KG 2.8.10, 12 U 49/10, Abruf-Nr. 102570).
    • Die Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs ist eine Anspruchsvoraussetzung (BGH VA 09, 145 Tz. 27). Fehlt nur sie oder ist sie nicht nachgewiesen, ist die im Übrigen gerechtfertigte Zahlungsklage als „derzeit unbegründet“ abzuweisen (BGH a.a.O.).
    • Zum Feststellungsinteresse beim Feststellungsantrag OLG Celle NZV 13, 85; Begründetheitsbedenken bei längerem Warten mit Ersatzkauf OLG München 8.10.09, 10 U 4364/09, Abruf-Nr. 133113; dto. OLG Celle NZV 13, 85.
    • Hilfsweise Reparaturkostenabrechnung. Wenn die NW-Abrechnung auch aus Sicht des Kl.-Anwalts wackelt, gleichwohl darauf geklagt wird, sollte hilfsweise ein Zahlungsantrag mit Abrechnung auf Reparaturkostenbasis gestellt werden. Wenn das unterblieben ist, kann das Gericht dennoch einen noch offenen Reparaturkostenbetrag - ggf. zuzüglich merkantilem Minderwert - als Minus zusprechen (KG 2.8.10, 12 U 49/10, Abruf-Nr. 102570). Der Übergang von der einen zur anderen Abrechnungsvariante ist keine Klageänderung (OLG München 17.10.08, 10 U 3432/08, Abruf-Nr. 090567). Ein Feststellungsantrag blockiert den Zuspruch von Reparaturkostenersatz (OLG Celle NZV 13, 85).
     
    Quelle: Ausgabe 11 / 2013 | Seite 187 | ID 42336257