01.08.2006 · IWW-Abrufnummer 062258
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 28.06.2006 – VII ZB 142/05
Die gemäß § 836 Abs. 3 ZPO herauszugebenden Urkunden sind auf Antrag des Gläubigers in der Regel bereits in den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufzunehmen.
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VII ZB 142/05
vom
28. Juni 2006
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Juni 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler, die Richter Hausmann, Dr. Kuffer, Bauner und die Richterin Safari Chabestari
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsmittel der Gläubigerin werden die Beschlüsse des Landgerichts Bamberg vom 22. September 2005 und des Amtsgerichts Bamberg - Vollstreckungsgericht - vom 18. August 2005 aufgehoben.
Das Amtsgericht Bamberg - Vollstreckungsgericht - wird angewiesen, den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 22. März 2005 dahin zu ergänzen, dass der Schuldner verpflichtet ist, ab Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses fortlaufend die monatlichen Lohn- oder Gehaltsabrechnungen des Arbeitgebers, vorrangige Lohnpfändungs- und Überweisungsbeschlüsse sowie eventuell bestehende Lohnabtretungsurkunden oder eine Kopie dieser Unterlagen an die Gläubigerin herauszugeben.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt der Schuldner.
Gegenstandswert: 40,10 ¤
Gründe:
I.
Die Gläubigerin erwirkte gegen den Schuldner einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, mit dem u.a. die pfändbaren Ansprüche des Schuldners gegen den Drittschuldner auf gegenwärtiges und zukünftiges Arbeitseinkommen sowie auf künftige Abfindungen gepfändet und ihr zur Einziehung überwiesen wurden.
Den Antrag der Gläubigerin anzuordnen, dass der Schuldner ab Zustellung der Pfändung fortlaufend die monatlichen Lohn- oder Gehaltsabrechnungen des Arbeitgebers, vorrangige Lohnpfändungs- und Überweisungsbeschlüsse sowie eventuell bestehende Lohnabtretungsurkunden oder eine Kopie dieser Unterlagen herauszugeben habe, hat das Amtsgericht abgelehnt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen.
Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Antrag weiter, die Herausgabe der bezeichneten Urkunden gegenüber dem Schuldner anzuordnen.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dass für eine Anordnung im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, Lohn- oder Gehaltsabrechnungen, vorrangige Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse sowie Urkunden über vorgehende Abtretungen der Lohnforderung herauszugeben, derzeit kein Rechtsschutzbedürfnis vorliege. Ein Rechtsschutzbedürfnis des Gläubigers an einer solchen Herausgabeanordnung bestehe nicht bereits bei Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses. Es sei im Hinblick auf die Gesetzessystematik und den im Zwangsvollstreckungsverfahren zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erst anzuerkennen, wenn feststehe, dass der Gläubiger diese Unterlagen zur Durchsetzung der Forderung tatsächlich benötige.
2. Dem hält die Rechtsbeschwerde entgegen, dass sich ein Rechtsschutzinteresse des Gläubigers an einer Herausgabeanordnung aus der Notwendigkeit ergebe, dass zur Vollstreckung der Herausgabepflicht nach § 836 Abs. 3 Satz 3 ZPO die herauszugebenden Urkunden im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss im Einzelnen bezeichnet werden müssten. Einem möglichen Geheimhaltungsinteresse des Schuldners könne durch Schwärzen der persönlichen Daten Rechnung getragen werden.
3. Mit Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die Auffassung des Beschwerdegerichts, der Antrag der Gläubigerin, im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss anzuordnen, dass der Schuldner Lohnabrechnungen sowie Urkunden über vorrangige Pfändungen und Abtretungen der gepfändeten Lohnforderung herauszugeben habe, sei wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unbegründet. Ein Rechtsschutzinteresse des Gläubigers, eine solche Herausgabeanordnung in den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufzunehmen, besteht grundsätzlich bereits bei Erlass dieses Beschlusses.
a) Der Schuldner ist aufgrund der Pfändung und Überweisung einer Forderung gemäß § 836 Abs. 3 Satz 1 ZPO verpflichtet, dem Gläubiger die zur Einziehung der Forderung nötige Auskunft zu erteilen und ihm die über die Forderung vorhandenen Urkunden herauszugeben. Diese Herausgabepflicht betrifft Urkunden, die den Gläubiger als zur Empfangnahme der Leistung berechtigt legitimieren, sowie solche, die den Bestand der Forderung beweisen oder sonst der Ermittlung oder dem Nachweis ihrer Höhe, Fälligkeit oder Einredefreiheit dienen (BGH, Beschluss vom 14. Februar 2003 - IXa ZB 53/03, NJW 2003, 1256 m. Nachw. = Rpfleger 2003, 308 = JurBüro 2003, 440). Bei der Pfändung von Arbeitseinkommen des Schuldners gehören hierzu sowohl Lohn- oder Gehaltsabrechnungen als auch vorrangige Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse sowie Urkunden über der Pfändung vorgehende Abtretungen dieser Ansprüche (vgl. LG Mühlhausen, JurBüro 2004, 449; LG Verden, JurBüro 2004, 499; LG Kassel, JurBüro 1997, 216; LG Karlsruhe, JurBüro 1995, 382; LG Heidelberg, JurBüro 1995, 383; LG Bielefeld, JurBüro 1995, 384; LG Paderborn, JurBüro 1995, 382; LG Berlin, Rpfleger 1993, 294; MünchKommZPO/Smid, 2. Aufl., § 836 Rdn. 13; Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 836 Rdn. 19; Stein/ Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 836 Rdn. 14 m.w.Nachw.; einschränkend für qualifizierte Lohnabrechnungen: Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 3. Aufl., § 836 Rdn. 7; a.A. LG Hildesheim, DGVZ 1994, 156; Stöber, Forderungspfändung, 14. Aufl., § 836 Rdn. 623 a für vorrangige Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse sowie Lohnabtretungsurkunden).
Die vom Schuldner herauszugebenden Urkunden sind im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss im Einzelnen zu bezeichnen. Eine besondere Herausgabeanordnung ist dagegen grundsätzlich nicht erforderlich (vgl. MünchKommZPO/Smid, aaO, § 836 Rdn. 14; Musielak/Becker, ZPO, 4. Aufl., § 836 Rdn. 8; Stein/Jonas/Brehm, aaO, § 836 Rdn. 15 m. Nachw.; Stöber, aaO, Rdn. 625; LG Berlin, Rpfleger 1993, 294; LG Hannover, Rpfleger 1994, 221; LG Darmstadt, DGVZ 1991, 9). Der Gläubiger kann eine solche Anordnung jedoch verlangen, wenn hierdurch die vom Schuldner herauszugebenden Urkunden näher bezeichnet werden sollen (vgl. OLG Zweibrücken, JurBüro 1995, 660, 661; LG Heidelberg, JurBüro 1995, 383).
b) Die Aufnahme einer Herausgabeanordnung im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ist nicht davon abhängig, dass der Gläubiger darlegt, dass er an der Herausgabe der über die Forderung vorhandenen Urkunden im Einzelfall ein besonderes Rechtsschutzinteresse hat (vgl. LG Augsburg, JurBüro 1996, 386; LG Berlin, Rpfleger 1993, 294; LG Paderborn, JurBüro 1995, 382; Behr, JurBüro 1994, 327, 328; a. A. LG Mainz, Rpfleger 1994, 309).
aa) Ein Interesse des Gläubigers, die zur Durchsetzung der Forderung notwendigen Informationen zu erhalten, besteht regelmäßig bereits in dem Zeitpunkt, in dem er den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses beantragt. Der Gläubiger kann die Vollstreckung des Herausgabeanspruchs unmittelbar auf der Grundlage des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gegen den Schuldner betreiben (§ 836 Abs. 3 Satz 3 ZPO). Die Verpflichtung des Schuldners, die über die gepfändete Forderung vorhandenen Urkunden an den Gläubiger herauszugeben, die bei einer Pfändung von Arbeitseinkommen wiederkehrend zu erfüllen ist, dient dazu, dem Gläubiger die Nachprüfung zu ermöglichen, welche Ansprüche ihm aus der Pfändung erwachsen sind und ob der Drittschuldner die gepfändete und zur Einziehung überwiesene Forderung vollständig erfüllt (vgl. LG Paderborn, JurBüro 1995, 382 f.; LG Bielefeld, JurBüro 1995, 384). Dem Gläubiger ist daher zu gestatten, die hierfür erforderlichen Voraussetzungen zugleich mit dem Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zu schaffen.
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Voraussetzungen einer Herausgabeanordnung bei der Pfändung und Überweisung des Anspruchs des Schuldners auf Erstattung von Einkommensteuer steht dem nicht entgegen (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2003 - IXa ZB 115/03, BGHZ 157, 195). Danach kann der Gläubiger die Herausgabe der Lohnsteuerkarte und anderer steuerlicher Unterlagen des Schuldners gemäß § 836 Abs. 3 Satz 1 ZPO erst verlangen, wenn feststeht, dass er im Wege der Ersatzvornahme die Einkommensteuererklärung für den Schuldner abgeben kann oder er die Urkunden aufgrund einer Beteiligung am Verfahren zur Festsetzung der Einkommensteuer des Schuldners, eines eigenen Einspruchs oder einer Klage gegen den Drittschuldner benötigt. Der Gläubiger ist in diesem Fall allein im Hinblick auf steuerrechtliche Vorschriften verpflichtet, zunächst den auf Abgabe der Einkommensteuererklärung gerichteten Hilfsanspruch gemäß § 888 ZPO durch Haftantrag zu vollstrecken. Für die Herausgabe der zur Abgabe der Einkommensteuererklärung erforderlichen Urkunden besteht zu diesem Zeitpunkt noch kein Rechtsschutzinteresse. Der Entscheidung lässt sich dagegen nicht entnehmen, dass eine Herausgabeanordnung nach § 836 Abs. 3 ZPO stets erst dann zulässig ist, wenn feststeht, dass der Gläubiger die herauszugebenden Unterlagen im konkreten Fall tatsächlich zur Durchsetzung der Forderung gegen den Drittschuldner benötigt.
bb) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts kann der Gläubiger nicht auf die Möglichkeit verwiesen werden, erst nachträglich eine Ergänzung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses herbeizuführen. Ein solches zweistufiges Vorgehen ist weder nach dem Wortlaut noch nach der Systematik der gesetzlichen Regelung geboten. Die Vollstreckung des Herausgabeanspruchs nach § 836 Abs. 3 Satz 3 ZPO ist ihrem Wortlaut nach nicht vom Vorliegen weiterer Voraussetzungen abhängig. Anders als § 836 Abs. 3 Satz 2 ZPO, wonach der Gläubiger die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung des Schuldners zur Durchsetzung des Auskunftsanspruchs (§ 836 Abs. 3 Satz 1 ZPO) verlangen kann, wenn der Schuldner die erforderliche Auskunft nicht erteilt, enthält § 836 Abs. 3 Satz 3 ZPO für die Vollstreckung des Anspruchs auf Herausgabe der über die Forderung vorhandenen Urkunden keine vergleichbare Regelung.
cc) Diese Verfahrensweise führt nicht dazu, dass der im Zwangsvollstreckungsverfahren zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das nach Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Recht auf "informationelle Selbstbestimmung" verletzt werden (vgl. OLG Braunschweig, Rpfleger 2005, 150; LG Kassel, JurBüro 1997, 216; zum Steuergeheimnis: BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2003 - IXa ZB 115/03, BGHZ 157, 195, 202). Das Interesse des Schuldners, die sein Arbeitsverhältnis betreffenden persönlichen Daten gegenüber Dritten nicht zu offenbaren, überwiegt nicht das Interesse des Gläubigers, sich wegen eines rechtskr äftig festgestellten Anspruchs in angemessener Zeit aus einer dem Schuldner zustehenden Forderung zu befriedigen. Durch die Aufnahme der Urkunden bereits in den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wird dem Schuldner, dem in der Regel der Inhalt der gesetzlichen Regelung nicht bekannt ist, die Pflicht zur Herausgabe der Urkunden deutlich gemacht. Kommt er dieser Verpflichtung nach, hat der Gläubiger keine Veranlassung, die Herausgabevollstreckung zu betreiben. Diese Vorgehensweise ist für den Schuldner weniger belastend.
Hiergegen kann nicht eingewandt werden, der Gläubiger könne in der Regel auf einfacherem Weg die zur Ermittlung der Höhe der gepfändeten Forderung erforderlichen Informationen erlangen. Die Verpflichtung des Drittschuldners nach § 840 Abs. 1 ZPO, dem Gläubiger eine Erklärung über die Forderung, bestehende Ansprüche Dritter sowie vorrangige Pfändungen anderer Gläubiger abzugeben, ist nicht einklagbar (vgl. BGH, Urteil vom 17. April 1984 - IX ZR 153/83, BGHZ 91, 126, 128 ff.). Eine Auskunft oder Zahlungszusage des Drittschuldners ist zudem nicht in gleicher Weise geeignet, dem Gläubiger hinreichende Gewissheit über den Umfang der gepfändeten Forderung zu verschaffen (vgl. Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorl äufiger Rechtsschutz, 3. Aufl., § 836 Rdn. 8).
4. Nach diesen Grundsätzen ist auf den Antrag der Gläubigerin im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss anzuordnen, dass der Schuldner Lohnabrechnungen sowie Urkunden über vorrangige Pfändungen und Abtretungen der gepfändeten Ansprüche oder eine Kopie dieser Unterlagen herauszugeben hat. Das Beschwerdegericht hat keine Tatsachen festgestellt, die das Rechtsschutzbedürfnis der Gläubigerin für eine Herausgabeanordnung nach § 836 Abs. 3 ZPO ausnahmsweise entfallen lassen. Da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, hat der Senat gemäß § 577 Abs. 5 ZPO in der Sache abschließend zu entscheiden.