20.11.2018 · IWW-Abrufnummer 205635
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 10.10.2018 – VII ZB 12/15
Der Gerichtsvollzieher ist nicht befugt, bei Eintragung einer Auskunftssperre im Melderegister die Anschrift des Schuldners an den Gläubiger weiterzugeben. Er darf die ihm von der Meldebehörde mitgeteilte Anschrift des Schuldners zur Erledigung der beauftragten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen jedoch solange und soweit verwenden, als dem die Auskunftssperre nicht entgegensteht und er die schutzwürdigen Interessen des Schuldners an der Geheimhaltung seiner Anschrift durch geeignete Maßnahmen wahren kann.
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Oktober 2018 durch die Richter Dr. Kartzke, Halfmeier und Prof. Dr. Jurgeleit, die Richterin Sacher und den Richter Röhl
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde des Gläubigers gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bamberg vom 16. April 2015 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Gegenstandswert: 1.579,22 €
Gründe
I.
1
Der Gläubiger betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts C. über eine Gesamtforderung in Höhe von 1.579,22 €. Er beauftragte am 13. August 2014 den Gerichtsvollzieher mit der Durchführung der Zwangsvollstreckung einschließlich der Ermittlung der gegenwärtigen Anschriften der Schuldnerin durch Nachfrage bei der Meldebehörde gemäß § 755 Abs. 1 ZPO , sofern der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt der Schuldnerin nicht bekannt ist.
2
Die durch den Gerichtsvollzieher eingeholte Auskunft aus dem Melderegister der Stadt B. vom 19. Dezember 2014 enthielt die Bemerkung, dass eine absolute Auskunftssperre aufgrund schutzwürdiger Belange vorliegt und dafür Sorge zu tragen ist, dass die Anschrift weder in die Hände Dritter gelangen kann, noch weitergegeben wird. Der Gerichtsvollzieher leitete die Auskunft am 15. Januar 2015 an den Gläubiger weiter, wobei er die Anschrift der Schuldnerin unkenntlich gemacht hatte.
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Das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - hat die Erinnerung des Gläubigers gegen die Weigerung des Gerichtsvollziehers, die Anschrift der Schuldnerin ihm gegenüber zur Fortsetzung der Zwangsvollstreckung bekannt zu geben, zurückgewiesen und der sofortigen Beschwerde des Gläubigers nicht abgeholfen. Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde des Gläubigers.
II.
4
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
5
1. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung in DGVZ 2017, 18 veröffentlicht ist, hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Weigerung des Gerichtsvollziehers, die ermittelte Anschrift der Schuldnerin dem Gläubiger nicht mitzuteilen, sei nicht zu beanstanden. Zu Recht habe der Gerichtsvollzieher sich aufgrund der seitens des Einwohneramts mitgeteilten absoluten Auskunftssperre hierzu nicht in der Lage gesehen.
6
§ 755 ZPO selbst regele nicht die Frage, wie der Gerichtsvollzieher beim Vorhandensein einer melderechtlichen Auskunftssperre weiter zu verfahren habe. Die Beschwerdekammer schließe sich der Auffassung an, § 755 Abs. 1 ZPO könne nicht zu einem Unterlaufen der Auskunftssperre durch Einschaltung eines Gerichtsvollziehers führen. Schon dem Wortlaut nach sehe § 755 Abs. 1 ZPO (lediglich) die "Erhebung" der gegenwärtigen Anschrift bei der Meldebehörde zur Ermittlung des Aufenthaltsorts vor. Die Übermittlung der so erhobenen Anschrift an den Gläubiger sei nach dem eindeutigen Wortlaut nicht vorgesehen.
7
Weder die Gesetzgebungsgeschichte noch Sinn und Zweck der Vorschrift rechtfertigten es, über den Wortlaut hinaus dem Gläubiger einen Anspruch gegenüber dem Gerichtsvollzieher auf "ungefilterte" Auskunft zuzusprechen. Mit der Einführung des § 755 ZPO habe der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, dem Gläubiger zur Durchsetzung seiner berechtigten Forderungen effektive Erkenntnis- und Vollstreckungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Dieser gesetzgeberischen Zielsetzung werde genügt, wenn es dem Gerichtsvollzieher erlaubt sei, auf Antrag des Gläubigers bei den Meldebehörden den aktuellen Aufenthaltsort abzufragen. Denn der Gerichtsvollzieher könne die übermittelten Daten anschließend zur weiteren Erledigung der beauftragten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen solange und soweit verwenden, als dem die Auskunftssperre nicht entgegenstehe beziehungsweise er diese durch geeignete Maßnahmen wahren könne, namentlich durch Schwärzung. Entsprechend könne er insbesondere eine Pfändung durchführen.
8
2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
9
Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass die Weigerung des Gerichtsvollziehers, dem Gläubiger die Anschrift der Schuldnerin mitzuteilen, rechtmäßig war.
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Der Gerichtsvollzieher ist nicht befugt, bei Eintragung einer Auskunftssperre im Melderegister die Anschrift des Schuldners an den Gläubiger weiterzugeben. Er darf die ihm von der Meldebehörde mitgeteilte Anschrift des Schuldners zur Erledigung der beauftragten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nur solange und soweit verwenden, als dem die Auskunftssperre nicht entgegensteht und er die schutzwürdigen Interessen des Schuldners an der Geheimhaltung seiner Anschrift durch geeignete Maßnahmen wahren kann.
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a) Gemäß § 51 Abs. 1 des zum 1. November 2015 in Kraft getretenen Bundesmeldegesetzes (BMG) hat die Meldebehörde auf Antrag oder von Amts wegen eine Auskunftssperre im Melderegister einzutragen, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der betroffenen oder einer anderen Person durch eine Melderegisterauskunft eine Gefahr für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Interessen erwachsen kann. Eine Melderegisterauskunft ist in diesen Fällen unzulässig, es sei denn nach Anhörung der betroffenen Person kann eine entsprechende Gefahr ausgeschlossen werden, § 51 Abs. 2 Satz 1 BMG . Werden Daten an den Gerichtsvollzieher als eine sonstige öffentliche Stelle nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BMG i.V.m. § 2 Abs. 2 BDSG (vgl. Büttner, DGVZ 2017, 221, 224 f.; BT-Drucks. 16/13432, S. 41, 43 zu § 18 Abs. 1 Satz 1 MRRG) übermittelt, ist eine Verarbeitung oder Nutzung der übermittelten Daten und Hinweise durch den Gerichtsvollzieher nach § 41 Satz 2 BMG bei Eintragung einer Auskunftssperre im Melderegister nur zulässig, wenn die Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person ausgeschlossen ist.
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Das zum Zeitpunkt der Erteilung des Zwangsvollstreckungsauftrags durch den Gläubiger geltende Gesetz über das Meldewesen Bayern (Meldegesetz - MeldeG, aufgehoben durch das Bayerische Gesetz zur Ausführung des Bundesmeldegesetzes vom 23. Juni 2015 mit Wirkung zum 31. Oktober 2015, GVBl Bayern 2015 S. 178) enthielt insoweit in § 28 Abs. 1 Satz 1, Abs. 6, § 31 Abs. 7 identische Regelungen.
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b) Nach Maßgabe dieser Regelungen ist der Gerichtsvollzieher nicht befugt, die ihm von der Meldebehörde mitgeteilte Anschrift des Schuldners an den Gläubiger weiterzugeben, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Weitergabe die schutzwürdigen Interessen des Schuldners beeinträchtigt (vgl. Breckwoldt/Breckwoldt, Melderechts-Kommentar, 2. Aufl., § 41 BMG Rn. 8, § 51 BMG Rn. 34). Es ist nicht Aufgabe des Gerichtsvollziehers, nach Anhörung des Schuldners eine Einzelfallbeurteilung vorzunehmen und selbst zu entscheiden, ob im konkreten Fall ausgeschlossen werden kann, dass das aufgrund der Auskunftssperre grundsätzlich anzunehmende schutzwürdige Interesse des Schuldners an der Geheimhaltung seiner Anschrift ausnahmsweise im Verhältnis zum Gläubiger nicht beeinträchtigt ist. Es obliegt vielmehr dem Gläubiger, im Bedarfsfall eine Melderegisterauskunft bei der insoweit sachnäheren Meldebehörde zu beantragen (vgl. AG Marbach, DGVZ 2014, 70, juris Rn. 9), die dann den Schuldner anzuhören hat, um gemäß § 51 Abs. 1 , Abs. 2 BMG zu entscheiden, ob eine Gefahr für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Interessen ausgeschlossen und eine Melderegisterauskunft ausnahmsweise erteilt werden kann.
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c) Ein Anspruch des Gläubigers auf Mitteilung der Anschrift des Schuldners bei bestehender Auskunftssperre lässt sich entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde auch nicht aus § 755 ZPO herleiten.
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aa) Nach § 755 Abs. 1 ZPO darf der Gerichtsvollzieher zur Ermittlung des Aufenthaltsorts des Schuldners bei der Meldebehörde die gegenwärtigen Anschriften sowie Angaben zur Haupt- und Nebenwohnung des Schuldners erheben, wenn der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthaltsort des Schuldners nicht bekannt ist. Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich dagegen nicht, dass der Gerichtsvollzieher ungeachtet einer bestehenden Auskunftssperre zur Übermittlung der erhobenen Anschrift des Schuldners an den Gläubiger ermächtigt ist.
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bb) Eine solche Befugnis ergibt sich, wie das Beschwerdegericht zu Recht ausgeführt hat, auch weder aus der Gesetzgebungsgeschichte noch aus dem Sinn und Zweck des § 755 Abs. 1 ZPO .
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Mit der Einführung dieser Vorschrift verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, dem Gläubiger zur Durchsetzung seiner berechtigten Forderungen effektive Erkenntnis- und Vollstreckungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Zu diesem Zweck erachtete er die in § 755 Abs. 1 ZPO vorgesehene Befugnis des Gerichtsvollziehers zur Datenerhebung für erforderlich (vgl. BT-Drucks. 16/13432, S. 40 f., 43). Die Übertragung dieser Aufgabe sollte der Zeitersparnis dienen (BT-Drucks. 16/10069, S. 23). Den Gesetzesmaterialien lässt sich dagegen nicht entnehmen, dass der Gerichtsvollzieher damit auch zur unbeschränkten Übermittlung der Ergebnisse der Aufenthaltsermittlung an den Gläubiger ermächtigt sein sollte.
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Sinn und Zweck der Vorschriften erfordern dies ebenfalls nicht. Durch die in § 755 Abs. 1 ZPO geregelte Befugnis des Gerichtsvollziehers zur Datenerhebung und dessen weiter hieraus abgeleitete Befugnis, die gewonnenen Erkenntnisse aus der Datenerhebung zur Durchführung der Zwangsvollstreckung, etwa zur Durchführung einer Pfändung, zu nutzen, wird dem gesetzgeberischen Ziel hinreichend Rechnung getragen. Der Gläubiger verfügt damit im Vergleich zu der vor dem 1. Januar 2013 geltenden Rechtslage - auch bei einer bestehenden Auskunftssperre - über die beabsichtigten zeitsparenden und effektiveren Erkenntnis- und Vollstreckungsmöglichkeiten (vgl. Büttner, DGVZ 2017, 221, 233 f.).
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cc) Die Systematik des § 755 ZPO spricht ebenfalls nicht gegen dieses Verständnis.
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Insbesondere lässt sich entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde aus § 755 Abs. 2 ZPO keine Verpflichtung des Gerichtsvollziehers zur unbeschränkten Übermittlung der erhobenen Anschrift des Schuldners an den Gläubiger ableiten. Die Vorschrift regelt nur weitere - nachrangige - Auskunftsmöglichkeiten für den Gerichtsvollzieher, wenn der Aufenthaltsort des Schuldners nach § 755 Abs. 1 ZPO nicht zu ermitteln ist. Sie ist dagegen schon nicht anwendbar, wenn der Aufenthaltsort nach § 755 Abs. 1 ZPO ermittelt werden kann, jedoch eine Auskunftssperre im Melderegister eingetragen ist.
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Etwas anderes folgt auch nicht aus dem zum 26. November 2016 neu eingefügten § 755 Abs. 3 ZPO . Diese Vorschrift räumt dem Gerichtsvollzieher (nur) die Befugnis ein, die nach § 755 Abs. 1 oder Abs. 2 ZPO erhobenen Daten auch in Zwangsvollstreckungsverfahren weiterer Gläubiger gegen denselben Schuldner zu "nutzen". Eine darüber hinausgehende Ermächtigung des Gerichtsvollziehers, die erhobenen Daten ungeachtet einer bestehenden Auskunftssperre an die (weiteren) Gläubiger weiterzugeben, ergibt sich hieraus nicht (vgl. BeckOK ZPO/Ulrici, Stand: 1. Juli 2018, § 755 Rn. 19; Büttner, DGVZ 2017, 221, 232 f.).
22
dd) Das Auslegungsergebnis wird ferner durch die zum 1. November 2017 neu eingefügten Regelungen in § 882c Abs. 3 Satz 3 , § 882f Abs. 2 und § 882g Abs. 1 Satz 3 ZPO zum Umgang mit einer Auskunftssperre nach § 51 BMG bei Eintragung des Schuldners in das Schuldnerverzeichnis gestützt. Danach steht eine Auskunftssperre nach § 51 BMG der Eintragung des Schuldners im Schuldnerverzeichnis nicht entgegen, um der Warn- und Informationsfunktion des Schuldnerverzeichnisses gerecht zu werden. Das Recht der Einsichtnahme und zur Erteilung von Abdrucken zum laufenden Bezug durch Dritte erstreckt sich in diesem Fall gemäß § 882f Abs. 2, § 882g Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 882b Abs. 2 Nr. 3 ZPO jedoch nicht auf die Wohnsitze des Schuldners (vgl. Büttner, DGVZ 2017, 221, 232). Damit verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, eine sowohl für den Schuldner als auch für Dritte ausgewogene Lösung zu entwickeln. Der sich hieraus ergebenden Systematik - Zulässigkeit der Eintragung, aber kein Anspruch auf Mitteilung der Anschrift - entspricht es, dass der Gerichtsvollzieher gemäß § 755 Abs. 1 ZPO zur Erhebung und Nutzung der Daten befugt ist, bei bestehender Auskunftssperre jedoch keine Ermächtigung zur Übermittlung der Anschrift des Schuldners an den Gläubiger besteht.
23
ee) Die gegenüber dem Grundrecht des Schuldners auf informationelle Selbstbestimmung zu berücksichtigenden Grundrechte des Gläubigers auf Schutz des Eigentums ( Art. 14 GG ) und effektiven Rechtsschutz ( Art. 19 Abs. 4 GG ), die den Staat verpflichten, effektive Mittel zur Durchsetzung titulierter Forderungen bereitzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juni 2017 - VII ZB 5/14 Rn. 9, NJW-RR 2017, 960), werden hinreichend gewahrt.
24
Durch die Befugnis des Gerichtsvollziehers, die erhobenen Daten auch bei bestehender Auskunftssperre für Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu nutzen, verfügt der Gläubiger mit der Neufassung des § 755 ZPO - wie ausgeführt - über deutlich effektivere Erkenntnis- und Vollstreckungsmöglichkeiten im Vergleich zur vor dem 1. Januar 2013 geltenden Rechtslage. Darüber hinaus bleibt dem Gläubiger die Möglichkeit, eine Melderegisterauskunft bei der insoweit sachnäheren Meldebehörde zu beantragen, die dann den Schuldner anzuhören hat, um gemäß § 51 Abs. 1 , Abs. 2 BMG zu entscheiden, ob eine Melderegisterauskunft ausnahmsweise erteilt werden kann.
25
d) Der Gläubiger hat schließlich im Rahmen des Akteneinsichtsrechts nach § 760 ZPO ebenfalls keinen Anspruch auf Mitteilung der Anschrift des Schuldners bei bestehender Auskunftssperre, da der Gerichtsvollzieher auch bei der Gewährung von Akteneinsicht sicherzustellen hat, dass die ihm unter Hinweis auf eine Auskunftssperre übermittelten Anschriften nicht dem Gläubiger zur Kenntnis gelangen (BeckOK ZPO/Ulrici, Stand: 1. Juli 2018, § 760 Rn. 1.2).
III.
26
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO .
Kartzke
Halfmeier
Jurgeleit
Sacher
Röhl