02.06.2009 · IWW-Abrufnummer 091820
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 07.05.2009 – IX ZB 211/08
Zu den "eigenen Einkünften" des Unterhaltsberechtigten, die dessen Berücksichtigung bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens einschränken oder ausschließen können, gehört auch der von anderen Unterhaltsverpflichteten gezahlte Barunterhalt.
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter,
die Richter Raebel und Prof. Dr. Kayser,
die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Pape
am 7. Mai 2009
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 11. August 2008, berichtigt durch Beschluss vom 28. Oktober 2008, wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 300 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Über das Vermögen der Schuldnerin ist das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet worden. Nach Aufhebung des Verfahrens und Ankündigung der Restschuldbefreiung ist die weitere Beteiligte (fortan: Treuhänderin) zur Treuhänderin bestellt worden. Die Schuldnerin bezieht ein Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit in Höhe von monatlich 2.020 EUR brutto / 1.356,65 EUR netto. Sie gewährt ihrer am 20. Juli 1994 geborenen, in ihrem Haushalt lebenden Tochter J. Naturalunterhalt. Der Kindesvater zahlt an die Tochter monatlichen Unterhalt in Höhe von 276,10 EUR.
Auf Antrag der Treuhänderin hat das Insolvenzgericht - Rechtspflegerin - am 14. November 2007 beschlossen, dass die Tochter bei der Berechnung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens nur teilweise zu berücksichtigen sei. Der nach der Tabelle zu § 850c Abs. 3 ZPO unpfändbare Betrag sei um 29,70 EUR zu erhöhen. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat das Landgericht den Betrag, um den der unpfändbare Teil des Arbeitseinkommens zu erhöhen ist, für einen Zeitraum von 12 Monaten auf 51,30 EUR, für den Folgezeitraum auf 31,38 EUR festgesetzt. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde will die Schuldnerin die vollständige Abweisung des Antrags der Treuhänderin erreichen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist unstatthaft, soweit sie sich gegen den Berichtigungsbeschluss vom 28. Oktober 2008 wendet. Gemäß § 319 Abs. 3 Halbsatz 2 ZPO findet gegen einen Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, die sofortige Beschwerde statt. Die sofortige Beschwerde ist gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Entscheidungen der Amts- und Landgerichte eröffnet (§ 567 Abs. 1 ZPO), nicht jedoch gegen Entscheidungen der Landgerichte als Beschwerdegerichte. Eine Rechtsbeschwerde ist nur dann statthaft, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder das Beschwerdegericht sie zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Beides ist hier nicht der Fall. Der Berichtigungsbeschluss enthält keine diesen Beschluss betreffende Zulassungsentscheidung. Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist damit der Beschluss vom 11. August 2008 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 28. Oktober 2008.
III.
Die gegen den berichtigten Beschluss gerichtete Rechtsbeschwerde der Schuldnerin ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie bleibt jedoch ohne Erfolg.
1.
Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Unterhaltszahlungen stellten eigenes Einkommen der Tochter der Schuldnerin dar. Zwischen ihnen und sonstigen Einkünften bestehe kein wesentlicher Unterschied; entscheidend sei, dass es sich um Geld handele, dass tatsächlich für den Lebensunterhalt der unterhaltsberechtigten Person zur Verfügung stehe. Der Pfändungsfreibetrag könne jedenfalls dann auf der Grundlage der sozialrechtlichen Regelungen zur Existenzsicherung berechnet werden, wenn der Unterhaltsberechtigte im selben Haushalt wie der Schuldner lebe. Weil die Pfändungsfreigrenzen dem Schuldner und dem Unterhaltsberechtigten nicht nur das Existenzminimum sicherten, sondern auch eine Teilhabe am Arbeitseinkommen gewährleisteten, sei der sozialrechtliche Regelsatz um einen Zuschlag von 30 bis 50 %, hier um 40 %, zu erhöhen. Damit sei auch der geltend gemachte Sonderbedarf (Sehhilfe, Kanusportverein) der Tochter gedeckt. Die Kosten der Klassenfahrt seien mit einem weiteren Freibetrag von 19,92 EUR pro Monat - bezogen auf die folgenden 12 Monate - zu berücksichtigen. Die Erhöhung des Regelsatzes für einen Haushaltsangehörigen ab Vollendung des 14. Lebensjahres müsse im Wege eines Abänderungsantrages nach § 850d ZPO geltend gemacht werden, über den zunächst das Amtsgericht zu befinden habe.
2.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung im Wesentlichen stand.
a)
Die Unterhaltszahlungen des Vaters stellen eigene Einkünfte der Tochter der Schuldnerin im Sinne von § 850c Abs. 4 ZPO dar.
aa)
Schon ihrem Wortlaut nach erfasst die Vorschrift des § 850c Abs. 4 ZPO alle Arten von Einkünften. Die Materialien enthalten ebenfalls keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass bestimmte Einkünfte von vornherein außer Betracht gelassen werden sollen. Nach der amtlichen Begründung des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen vom 28. Februar 1978 (BGBl. I 333) will § 850c Abs. 4 ZPO die Berücksichtigung des Unterhaltsberechtigten, der eigene Einkünfte bezieht, flexibel gestalten. Die Vorschrift soll dem Gericht bei seiner Ermessensentscheidung genügend Raum lassen, um den Umständen des Einzelfalles Rechnung zu tragen (BT-Drucks. 8/693, 49). Ob der Unterhaltsberechtigte nicht nur vom Schuldner, sondern auch von einer weiteren Person Unterhalt bezieht, ist ein im Einzelfall zu berücksichtigender (und zu bewertender) Umstand. Das zeigt zugleich, dass auch Sinn und Zweck der Pfändungsschutzvorschriften der grundsätzlichen Einbeziehung von Unterhaltsleistungen Dritter in die Einkommensberechnung nicht entgegenstehen.
bb)
Für ihre gegenteilige Ansicht beruft sich die Rechtsbeschwerde insbesondere auf einen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 21. Dezember 2004 (IXa ZB 142/04, ZVI 2005, 194, 196), in dem es heißt, es sei fraglich, aber nicht entscheidungserheblich, ob ein Unterhaltsanspruch als Einkommen im Sinne von § 850c Abs. 4 ZPO abzusehen sei. Auf welchen Überlegungen diese Zweifel beruhten, ergibt sich aus der zitierten Entscheidung nicht. Sie befasst sich wesentlich mit der (schließlich verneinten) Frage, ob die eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten eine bestimmte Höhe erreichen müssen, bevor sie bei der Bestimmung berücksichtigt werden können. In einer späteren Entscheidung hat der Bundesgerichtshof an der grundsätzlichen Ablehnung fester Berechnungsgrößen festgehalten, jedoch Leitlinien für verschiedene Fallgestaltungen aufgestellt und die Voraussetzungen für eine Anrechnung der eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten präzisiert (Beschl. v. 5. April 2005 - VII ZB 28/05, ZVI 2005, 254, 255 f). Eine Unterscheidung nach Einkommensarten ist hier nicht vorgesehen. Es kommt vielmehr auf die wirtschaftliche Lage der Beteiligten (Gläubiger, Schuldner, Unterhaltsberechtigter) an.
cc)
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde (ähnlich LG Bayreuth MDR 1994, 621) führt die Berücksichtigung der Unterhaltszahlungen nicht dazu, dass diese mittelbar der Tilgung der Verbindlichkeiten des Schuldners dienen und so ihren eigentlichen Zweck - den Unterhalt des Berechtigten - verfehlen. Zu prüfen ist vielmehr, ob die eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten dazu führen, dass dem Schuldner insoweit kein eigenes Einkommen verbleiben muss, weil der Bedarf des Unterhaltsberechtigten anderweitig gedeckt ist (BGH, Beschl. v. 5. April 2005, aaO). Unterhaltszahlungen des anderen Elternteils unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht von sonstigen Einkünften der unterhaltsberechtigten Person, etwa einer Ausbildungsvergütung oder Arbeitslohn aus einer geringfügigen Beschäftigung. Die von der Rechtsbeschwerde hervorgehobene Besserstellung von Kindern aus intakten Familien, deren Eltern gegebenenfalls den vollen Freibetrag in Anspruch nehmen könnten, weil der vom anderen Elternteil gewährte Naturalunterhalt kein anzurechnendes Einkommen im Sinne von § 850c Abs. 4 ZPO sei, verlangt keine andere Sicht der Dinge. Geld, welches der Unterhaltsberechtigte von dritter Seite bezieht, verringert seinen Bedarf und entlastet so den Schuldner. Dass auch Unterhaltszahlungen des anderen Elternteils oder sonstiger Dritter Einkünfte der dem Schuldner gegenüber unterhaltsberechtigten Person darstellen können, entspricht folgerichtig der nahezu einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Literatur (LG Detmold Rpfleger 2001,142 f; LG Ellwangen Rpfleger 2006, 88; LG Kassel JurBüro 2007, 664, 665; LG Tübingen Rpfleger 2008, 514; Schuschke/Walker/Kessal-Wulf, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz 4. Aufl. § 850c Rn. 11; Stein/Jonas/Brehm, ZPO 22. Aufl. § 850c Rn. 28; Wieczorek/Schütze/Lüke, ZPO 3. Aufl. § 850c Rn. 30; Baumbach/Lauterbach/ Hartmann, ZPO 67. Aufl. § 850c Rn. 10; MünchKomm-ZPO/Smid, ZPO 3. Aufl. § 850c Rn. 20; Musielak/Becker, ZPO 6. Aufl. § 850c Rn. 11; Zöller/Stöber, ZPO 27. Aufl. § 850c Rn. 12; Hk-ZPO/Kemper, 2. Aufl. § 850c Rn. 14; Thomas/ Putzo/Hüßtege, ZPO 29. Aufl. § 850c Rn. 8a).
b)
Ob und in welchem Umfang das eigene Einkommen des Unterhaltsberechtigten bei der Bestimmung des unpfändbaren Betrages unberücksichtigt bleibt, hat der Tatrichter nach billigem Ermessen zu bestimmen (§ 850c Abs. 4 ZPO). Das Beschwerdegericht ist von den Grundsätzen der bereits zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 5. April 2005 ausgegangen (VII ZB 28/05, aaO). Danach kommt eine Orientierung an den sozialrechtlichen Mindestsätzen zur Existenzsicherung insbesondere dann in Betracht, wenn der Unterhaltsberechtigte - wie hier - im Haushalt des Schuldners lebt. Der zugebilligte Zuschlag von 40 % gewährleistet die Teilhabe am Arbeitseinkommen der Schuldnerin und bewegt sich auch der Höhe nach innerhalb des vom Bundesgerichtshof für angemessen gehaltenen Rahmens. Den geltend gemachten "Sonderbedarf" der unterhaltsberechtigten Tochter der Schuldnerin hat das Beschwerdegericht teilweise berücksichtigt (Schulausflug); im Übrigen hat es begründet, warum eine weitere Erhöhung des pfändungsfreien Betrages des Arbeitseinkommens nicht in Betracht kommt (Sehhilfe, Kanuclub). Eine Auseinandersetzung mit der wirtschaftlichen Lage der Gläubiger, welche die Rechtsbeschwerde vermisst, kommt im hier gegebenen Fall eines Gesamtvollstreckungsverfahrens nicht in Betracht.