29.10.2009 · IWW-Abrufnummer 093551
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 19.08.2009 – 6 Sa 459/08
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Im Namen des Volkes
Urteil
Aktenzeichen:
6 Sa 459/08
Verkündet am 19.08.2009
In dem Rechtsstreit
hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 19.08.2009 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht .... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 17.11.2008 - 1 Ca 1003 b/08 - wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung sowie um Weiterbeschäftigung.
Der am ...1950 geborene Kläger trat am 01.03.1986 als Chefarzt der Anästhesie- und Intensivbehandlungsabteilung in die Dienste des Beklagten. Seiner Tätigkeit liegt der Dienstvertrag vom 17.12.1985 (Anlage K 1 = Bl. 6 ff. d. A.) nebst Ergänzung vom 10.10.1989 (Anlage B 1 = Bl. 33 d.A.) zugrunde. Mit dem Ergänzungsvertrag wurde dem Kläger die ärztliche und organisatorische Leitung des Arbeitsbereichs Blutdepot/Blutgruppen- und Transfusionslabor übertragen. Sein Bruttomonatsgehalt betrug unter Berücksichtigung des ihm arbeitsvertraglich zugesicherten chefärztlichen Liquidationsrechts zuletzt durchschnittlich 12.500,00 ¤. In § 5 des Dienstvertrags heißt es:
" (1) Der Krankenhausträger überträgt dem Chefarzt das Recht zur Liquidation für die von dem Chefarzt in seiner Fachabteilung erbrachten Leistungen im stationären Bereich bei denjenigen Patienten, die gem. § 6 Bundespflegesatzverordnung die persönliche ärztliche Behandlung gewählt und dies mit dem Krankenhausträger vereinbart haben....
(2) Aus den Liquidationseinnahmen entrichtet der Chefarzt an den Krankenhausträger eine nach der Höhe der Bruttoeinnahmen gestaffelte Abgabe....
(3) Die Entgelte zieht der Krankenhausträger für den Chefarzt nach dessen Angaben ein. Sie werden nach der jeweils geltenden ärztlichen Gebührenordnung berechnet. Die Einziehungskosten sind mit den Abgaben gem. Abs. 2 abgegolten. Der Chefarzt verpflichtet sich, spätestens bis zum 15. eines jeden Monats die für die Abrechnung notwendigen Unterlagen der Krankenhausverwaltung vorzulegen.
Der nach Abzug der Trägerabgabe und des Betrages für die finanzielle Beteiligung der nachgeordneten Ärzte (§ 6 Abs. 1) verbleibende Restbetrag wird mit einem Zahlungsziel von 6 Wochen an den Chefarzt ausgezahlt. Bezugszeitpunkt für das Zahlungsziel ist jeweils der 15. eines jeden Monats.
Etwaige spätere Ausfälle bei den Liquidationseinnahmen werden anteilig durch den Krankenhausträger berechnet. "
Der Beklagte setzte den Kläger als Leiter der Anästhesie- und Intensivbehandlungsabteilung im Kreiskrankenhaus W. ein. Mit Wirkung vom 01.10.2004 übertrug der Beklagte das Kreiskrankenhaus W..., wie auch die übrigen Kreiskrankenhäuser, auf das neu gegründete Unternehmen "K... d... K... P... gGmbH". Die K... d... K... P... gGmbH firmieren seit 2006 als R... K... gGmbH. Seit dem 01.10.2004 arbeitete der Kläger im Rahmen einer Personalgestellung ausschließlich für die K... d... K... P... gGmbH bzw. R... K... gGmbH, nunmehr R... K... GmbH (R... K...). Seine Vergütung erhielt er auch nach dem 01.10.2004 von dem Beklagten.
Ab März 2004 wurden die Blutdepots und die Labore für das Transfusionswesen der Krankenhäuser W... und P... am Standort P... zusammengelegt. Sie unterstehen seither Herrn Dr. E...-P... H.... Der Kläger führte seit März 2004 keine eigenen Blutuntersuchungen mehr durch, sondern übersandte die Proben nach P....
Im Zusammenhang mit dem Projekt "Zusammenlegung der Labore" regelte der damalige kaufmännische Leiter der Kliniken des Kreises P... durch Schreiben vom 04.02.2004 (Anlage K 5 = Bl. 79 ff d. A.) für die ebenfalls betroffenen Ärzte Professor Dr. N... (P...) und Dr. T... (W...):
"Liquidationsrecht erhalten Herr Professor Dr. N... und Herr Dr. T... für die jeweiligen Standortpatienten."
Der Kläger erstellte am 27.02.2004 ein stichwortartiges Konzept zur Regelung des Transfusionswesens in W... (Anlage K 3 = Bl. 59 ff d. A.). Dieses Konzept richtete sich an den kaufmännischen Leiter. Der vorletzte Absatz lautete wie folgt:
"Das Liquidationsrecht für von W... angeforderten Kreuzproben und Blutgruppenuntersuchungen verbleibt bei mir."
Auch nach der Zusammenlegung der Labore erhielt der Kläger bzw. die dortige Mitarbeiterin Frau G... sogenannte Rückläufer ausgefüllt von dem Blutdepot in P. zum Zwecke der Abrechnung durch den Kläger. Im Ergebnis verblieb es daher dabei, dass der Kläger für die von ihm lediglich veranlassten, nicht selbst durchgeführte Blutuntersuchungen Rechnungen stellen ließ.
Seit Dezember 2007 führt die Firma U... C...-A...-S... GmbH (U...) die Abrechnungen f ür die Chefärzte der R... K... gGmbH durch. Zuvor hatte U... an alle beteiligten Chefärzte Erhebungsbögen versandt, in denen die Chefärzte diejenigen Tätigkeiten anzukreuzen hatten, für die eine Abrechnung durchgeführt werden sollte. Der Kläger gab in dem Erhebungsbogen an, dass er u. a. für die Laborleistungen Blutgruppenbestimmungen und Kreuzproben liquidationsberechtigt sei (vgl. Anlage B 2 = Bl. 34 ff. d. A.). Er gab an, dass ein Abteilungslabor die Werte BGA, Blutbild, Na+, K+, Glukose, Laktat und Bicarbonat ermittelt. Auf dieser Grundlage erstellte U... seither die Patientenabrechnungen. Nachdem sich ein Patient über eine doppelte Abrechnung beschwert hatte, informierte Herr Dr. H... die R... Kliniken mit Schreiben vom 30.04.2008 über diesen Umstand. Daraufhin veranlassten die R... K... eine Überprüfung der für den Kläger und Herrn Dr. H... erstellten Abrechnungen. U... legte das Ergebnis der Überprüfung am 20.05.2008 vor. Es stellte sich heraus, dass in zumindest 11 Fällen seit November 2007 Doppelabrechnungen für Patienten aus W... erfolgt waren. Sowohl Herr Dr. H... als auch der Kläger hatten in diesen Fällen Leistungen des Blutlabors in P.... abrechnen lassen.
Am 26.05.2008 fand ein Gespräch statt, an dem neben dem Kläger der stellvertretende Geschäftsführer der R.... K..., Herrn S..., und die Personalleiterin der R... K..., Frau D..., teilnahmen. In dem Gespräch wurde dem Kläger Abrechnungsbetrug vorgeworfen.
Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Betriebsrat der R... K... zur Kündigung des Klägers angehört worden ist. Den bei der Beklagten bestehenden Personalrat beteiligte der Beklagte nicht.
Mit dem Kläger am 05.06.2008 zugegangenem Schreiben vom 03.06.2009 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund fristlos.
Der Kläger hat gemeint, ein wichtiger Grund für den Ausspruch einer außerordentlich fristlosen Kündigung liege nicht vor. Er, der Kläger, habe nach Zusammenlegung der Blutbanken nur seine bisherige Abrechnungspraxis fortgesetzt. Das habe er dem damaligen kaufmännischen Leiter auch mitgeteilt. Zu Doppelabrechnungen sei es in der Vergangenheit nicht gekommen, weil Herr Dr. H... offenbar zutreffend davon ausgegangen sei, dass der Kläger weiter für die in W... von ihm behandelten Patienten liquidationsberechtigt sei. Dass es erst im Zusammenhang mit der Abrechnung durch U... zu Doppelabrechnungen gekommen sei, könne dem Kläger nicht angelastet werden. Aus seiner Sicht habe sich tatsächlich nichts an seiner Abrechnungsberechtigung geändert. Hinzu komme, dass die Zahlungen auf die privaten Rechnungen beim Beklagten eingegangen seien. Von dort aus seien die entsprechenden Anteile ausgekehrt worden.
Der Kläger hat gerügt, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht gewahrt.
Zu Unrecht sei der bei der Beklagten bestehende Personalrat vor Ausspruch der Kündigung nicht angehört worden. Auch aus diesem Grund sei die Kündigung unwirksam.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 03.06.2008, zugegangen am 05.06.2008, nicht aufgelöst worden ist,
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag zu Ziffer 1 zu den im Arbeitsvertrag vom 17.12.1985 geregelten Arbeitsbedingungen als "Chefarzt der Anästhesie- und Intensivbehandlungsabteilung" bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe Abrechnungsbetrug begangen, indem er Leistungen abgerechnet habe, die er tatsächlich nicht selber erbracht habe. Er habe gegenüber U... zu Unrecht angegeben, abrechnungsbefugt zu sein, obwohl er dies nach der Zusammenlegung der Labore nicht mehr gewesen sei. Das vom Kläger gefertigte Konzept sei irrelevant und zu keinem Zeitpunkt bekannt gemacht worden. Tatsächlich seien die Transfusionsabläufe für das Klinikum W... durch den transfusionsverantwortlichen Arzt Herrn Dr. E...-P... H... auf der Sitzung der Transfusionskommission am 02.03.2004 geregelt worden. Der Kläger sei weder durch die Geschäftsführung der R... K... gGmbH autorisiert worden, Aufsicht im Labor in P... zu führen oder fachliche Weisungen zu erteilen, noch habe es eine persönliche Aufsicht über die Leistungserbringung und Weisung durch ihn im Labor P... gegeben, so dass er nach der GOÄ auch nicht abrechnungsbefugt gewesen sei. Immunhämatologische Leistungen in der vorliegenden Form seien nach Weisung der Bundesärztekammer nicht delegierbar und nur durch den mit der Durchführung der Laboruntersuchung beauftragten Arzt persönlich liquidierbar.
Der Beklagte hat behauptet, am 27.05.2008 habe der Geschäftsführer der R... K... gGmbH, Herr A... S..., die Betriebsratsvorsitzende der R... K... gGmbH, Frau M... S..., über die beabsichtigte außerordentliche Kündigung des Klägers informiert. Er habe ihr mitgeteilt, dass zwischen November 2007 und Januar 2008 in 11 belegbaren Fällen doppelte Abrechnungen von Blutuntersuchungen erfolgt seien und dass zur Abrechnung dieser Leistungen lediglich Herr Dr. H... und nicht der Kläger berechtigt gewesen sei. Am 28.05.2008 habe Frau S... Herrn S... mitgeteilt, dass der Betriebsrat die beabsichtigte Kündigung zur Kenntnis nehme.
Der Beklagte hat gemeint, der Personalrat habe nicht beteiligt werden müssen. Der Kläger sei nicht Beschäftigter des Beklagten. Jedenfalls sei der Personalrat nicht zuständig, weil der Kläger ein im Sinne von § 51 Abs. 6 Mitbestimmungsgesetz Schleswig-Holstein (MBH S-H) mit Beamtinnen und Beamten der Besoldungsgruppe B vergleichbarer Arbeitnehmer sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Dem Beklagten sei es nicht gelungen, einen vorsätzlichen Abrechnungsbetrug des Klägers darzulegen. Der Beklagte habe den Kläger nicht ausdrücklich angewiesen, sein Abrechnungsverhalten zu ändern. Der Beklagte und die R... K... gGmbH hätten sich von der Richtigkeit der Abrechnungen des Klägers überzeugen können und müssen.
Gegen das ihm am 24.11.2008 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 22.12.2008 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 20.02.2009 am 20.02.2009 begründet.
Der Beklagte ist der Ansicht, ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB liege in der jahrelangen Abrechnung von Leistungen für die der Kläger nicht abrechnungsberechtigt gewesen sei. Wegen der Verlagerung des Labors von W... nach P... hätten in W... keine Blutuntersuchungen mehr durchgeführt werden können. Dennoch habe der Kläger die Abrechnungen solcher Leistungen durch U... veranlasst. Damit habe er gegen die GOÄ verstoßen. Das vom Kläger erstellte und vorgelegte Konzept könne den Abrechnungsbetrug nicht rechtfertigen. Die Transfusionsabläufe für das Klinikum W... seien auf der Sitzung der Transfusionskommission am 02.03.2004 durch Dr. H... geregelt worden. Eine Tätigkeit des Klägers im immunhämatologischen Labor in P... sei für den Kläger nicht vorgesehen gewesen.
Er, der Beklagte habe weder die Abrechnungen des Klägers überprüfen, noch den Kläger abmahnen müssen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 17.11.2008 - Aktenzeichen: 1 Ca 1003 b/08 - wird abgeändert und die Klage abgewiesen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er sei arbeitsvertraglich nach wie vor berechtigt, von ihm veranlasste Laborleistungen abzurechnen. Der Beklagte habe ihm bislang weder den durch Ergänzungsvertrag vom 10.10.1989 erweiterten Aufgabenbereich noch das darauf bezogene Liquidationsrecht entzogen. Zwar habe er, der Kläger in dem Erfassungsbogen von U... angekreuzt, für die Blutgruppenbestimmung usw. liquidationsberechtigt zu sein. Davon sei er, ebenso wie offenbar U..., ausgegangen. Auch sei er sich keines Verstoßes gegen die GOÄ bewusst gewesen. Der Beklagte habe nicht plausibel erklärt, warum Dr. H... entgegen der bisherigen Übung zuletzt für Patienten des Klägers erbrachte Leistungen für sich abgerechnet habe.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 03.06.2006 nicht beendet worden ist.
1. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB liegen nicht vor.
a) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (BAG 07.07.2005 - 2 AZR 581/04 - NZA 2006, 98 m. w. N.).
b) In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die außerordentliche Kündigung vom 03.06.2008 als unwirksam. Der Beklagte kann die außerordentliche Kündigung nicht darauf stützen, dass der Kläger Behandlungen hat abrechnen lassen, zu deren Abrechnung er nach der GOÄ nicht berechtigt war. Es fehlt an einer vergeblichen Abmahnung. Zudem überwiegt das Bestandsinteresse des Klägers, so dass die Interessenabwägung zu seinen Gunsten ausgeht.
aa) Der von dem Beklagten vorgetragene Sachverhalt zur Abrechnung von Laborleistungen für Blutgruppenbestimmungen und Kreuzproben zugunsten des Klägers ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund abzugeben.
(1) Ein wichtiger Grund kann nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten, insbesondere eine Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflichten im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB, die dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks dienen, kann ein wichtiger Grund an sich zur außerordentlichen Kündigung sein (BAG 02.03.2006 - 2 AZR 53/05 - AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14). Dies gilt umso mehr, wenn berechtigte Belange des Arbeitgebers erheblich gestört werden, weil das Verhalten des Arbeitnehmers geeignet ist, den Ruf des Arbeitgebers im Geschäftsverkehr zu gefährden (BAG 02.03.2006 - 2 AZR 53/05 - a. a. O. m. w. N.). Die vertragliche Rücksichtnahmepflicht verlangt von den Parteien eines Arbeitsverhältnisses gegenseitig auf die Rechtsgüter und die Interessen der jeweils anderen Partei Rücksicht zu nehmen. Der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebes nach Treu und Glauben billigerweise erwartet werden kann. Der konkrete Inhalt der Rücksichtnahmepflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis. Insbesondere bei Arbeitnehmern in leitender Position hat deren Stellung unmittelbaren Einfluss auf die vertragliche Pflichtenstruktur (BAG 07.09.1995 - 8 AZR 828/93 - BAGE 81, 15; 11.03.1999 - 2 AZR 507/98 - AP BGB § 626 Nr. 149; 02.03.2006 - 2 AZR 53/05 - a. a. O.). Gerade diese Mitarbeiter sind verpflichtet, zur Förderung des Vertragszwecks ihr Verhalten in der Weise einzurichten, dass es das Ansehen des Arbeitgebers nicht beschädigt.
(2) Der Kläger hat seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht verletzt, indem er dazu beigetragen und es im Weiteren hingenommen hat, dass U... zu seinen Gunsten Leistungen abgerechnet hat, die nach der GOÄ für ihn nicht abgerechnet werden durften. Immunhämatologische Leistungen der Ziffern 3630 bis 4787 GOÄ dürfen nicht delegiert werden und können nur durch den mit der Durchführung der Laboruntersuchung beauftragten Arzt persönlich liquidiert werden. Mit anderen Worten: Die Leistungen dürfen nur von dem Arzt abgerechnet werden, der sie auch selbst erbracht hat. Durch Neufassung des Kapitels M im Zuge der GOÄ-Novelle 1996 wurden u. a. Untersuchungen von körpereigenen oder körperfremden Substanzen und körpereigenen Zellen, Ziffern 3630.H bis 4469 des Abschnitts M III und die Untersuchungen zum Nachweis und zur Charakterisierung von Krankheitserregern, Ziffern 4500 bis 4789 des Abschnitts M IV der GOÄ geändert. § 4 Abs. 2 GOÄ schreibt die persönliche Anwesenheitspflicht neben dem Fachkundenachweis vor. Mindestvoraussetzung ist die persönliche Anwesenheit bei Ausdruck des Analyseergebnisses. Fehlt es daran, darf eine Abrechnung nach der GOÄ durch den nichtanwesenden Arzt nicht erfolgen. Dass die Abrechnung der streitgegenständlichen Laborleistungen gegen die GOÄ verstieß, räumt der Kläger im Berufungsrechtszug selbst ein, nachdem er es zuvor in Abrede gestellt hatte.
Indem der Kläger in dem Erhebungsbogen von U... auf Seite 7 bestimmte Blutgruppenbestimmungen und Kreuzproben als abrechenbare Leistungen angegeben hat, hat er die Grundlage dafür geschaffen, dass U... Patienten diese Leistungen in Rechnung gestellt hat. Im Weiteren hat es der Kläger geschehen lassen, dass U... entsprechend abgerechnet hat. Mit dem Verhalten hat er erheblich gegen die vertragliche Rücksichtnahmepflicht verstoßen, denn er hat alles zu unterlassen, was das Ansehen und den Ruf des Beklagten schädigen kann. Die gegen die GOÄ verstoßende Abrechnung, erst Recht eine solche, die die Gefahr der Doppelabrechnung birgt, fällt negativ auf den Krankenhausträger und damit den Arbeitgeber zurück. Dieser setzt sich dem Verdacht aus, aus seiner Sphäre heraus, durch seine Mitarbeiter, würden Patienten betrogen. Aufgrund seiner langjährigen Berufserfahrung und seiner herausgehobenen Position als Chefarzt musste der Kläger in besonderem Maße um eine korrekte Liquidation bemüht sein. Er war gehalten, das Vertrauen Außenstehender - hier der Patienten - in die korrekte Abrechnung der medizinischen Leistungen nicht zu erschüttern und auf diese Weise den Ruf des Beklagten zu belasten. Durch sein Verhalten hat der Kläger die Interessen und das Ansehen des Beklagten wesentlich beeinträchtigt.
Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, der Beklagte habe ihm die Liquidationsbefugnis im Dienstvertrag eingeräumt und ihm bis heute nicht die durch den Zusatzvertrag aus dem Jahre 1989 übertragene ärztliche und organisatorische Leitung des Arbeitsbereichs Blutdepot/Blutgruppen- und Transfusionslabor entzogen. Es versteht sich von selbst, dass die zugestandene Privatliquidation nur im Rahmen des geltenden Rechts, hier in den Grenzen der GOÄ, erfolgen durfte und darf. Durch arbeitsvertragliche Vereinbarung können keine unzulässigen Abrechnungen zugestanden werden.
bb) Dennoch berechtigt das Fehlverhalten des Klägers nicht zur außerordentlichen Kündigung. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hätte eine vergebliche Abmahnung erfordert. Dem Beklagten war die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar. Im Ergebnis überwiegt das Bestandsinteresse des Klägers das Beendigungsinteresse des Beklagten.
(1) Pflichtwidrigkeiten im Leistungs- oder Verhaltensbereich muss grundsätzlich eine Abmahnung vorausgehen, ehe sie zum Anlass einer fristlosen Kündigung genommen werden können. Das Abmahnungserfordernis folgt für das Arbeitsverhältnis aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (siehe auch § 314 Abs. 2 BGB). Eine Abmahnung ist erforderlich, wenn es sich um ein steuerbares Verhalten handelt, das bisherige vertragswidrige Fehlverhalten noch keine klare Negativprognose zulässt und deswegen von der Möglichkeit zukünftigem vertragsgerechten Verhaltens ausgegangen werden kann (BAG 27.04.2006 - 2 AZR 415/05 - NZA 2006,1033). Regelmäßig wird nämlich erst nach einer Abmahnung die erforderliche Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass sich der Arbeitnehmer auch in Zukunft nicht vertragstreu verhalten wird. Ein Arbeitnehmer, dem wegen eines nicht vertragsgerechten Verhaltens gekündigt werden soll, ist grundsätzlich zunächst abzumahnen, und zwar auch, wenn sich das Fehlverhalten vornehmlich im Vertrauensbereich auswirkt, soweit es um ein steuerbares Verhalten geht. Mit dem Erfordernis einer abschlägigen Abmahnung vor Kündigungsausspruch soll vor allem dem Einwand des Arbeitnehmers begegnet werden, er habe die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens nicht erkennen bzw. nicht damit rechnen können, der Arbeitgeber werde sein vertragswidriges Verhalten als kündigungsbegründend ansehen. Dementsprechend bedarf es einer Abmahnung, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen (BAG 07.07.2005 - 2 AZR 581/04 - NZA 2006,98).
Nach diesem Grundsatz war unter den gegebenen Umständen eine Abmahnung des Klägers zu vertragsgerechetem Verhalten nicht entbehrlich. Bei den Angaben im Erfassungsbogen und der Hinnahme der Abrechnung von Laborleistungen durch U... zu seinen Gunsten handelte es sich um ein steuerbares Verhalten des Klägers. Die Berufungskammer ist der Überzeugung, dass eine einschlägige Abmahnung bei dem Kläger den gewünschten Erfolg haben würde. Sie wäre das geeignete Mittel, sowohl eine Änderung seines Verhaltens als auch eine Wiederherstellung der erforderlichen Eignung und Zuverlässigkeit für die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung herbeizuführen. Der Kläger hat in der Vergangenheit seine Tätigkeiten beanstandungsfrei durchgeführt. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass es im Laufe des Arbeitsverhältnisses zu Ungereimtheiten bei der Privatliquidation durch den Kläger gekommen ist. Vielmehr verhält es sich so, dass der Kläger nach der Zusammenlegung der Blutdepots und Labore für das Transfusionswesen der Krankenhäuser W... und P... am Standort P... seine - bis dahin korrekte - Abrechnungspraxis beibehalten hat. Er ging, wie sein im Zuge der Zusammenlegung erstelltes Konzept zeigt, davon aus, weiterhin zur Abrechnung der streitgegenständlichen Leistungen befugt zu sein. Es kann also keine Rede davon sein, dass der Kläger sich des Unrechts seines Verhaltens bewusst war. Unter diesen Umständen konnte der Beklagte nicht davon ausgehen, dass der Ausspruch einer Abmahnung erfolglos sein würde. Mit weiteren erheblichen Pflichtverletzungen seitens des Klägers musste er nicht rechnen.
(2) Nach allseitiger Abwägung der beiderseitigen Interessen berechtigt das Fehlverhalten des Klägers nicht zur außerordentlichen Kündigung. Dem Beklagten war die Weiterbeschäftigung des Klägers zumutbar.
Zugunsten des Beklagten war zu berücksichtigen, dass es sich objektiv um eine schwere Pflichtverletzung handelt, die erhebliche negative Auswirkungen haben kann. Dabei geht die Berufungskammer davon aus, dass die doppelte Abrechnung von Laborleistungen zu Lasten einer größeren Anzahl von Patienten geeignet ist, das Ansehen des Beklagten zu schädigen. Beim Außenstehenden entsteht der Verdacht des Abrechnungsbetrugs. Dieser wiederum wird der Einrichtung, für die der abrechnende Arzt tätig ist, zugerechnet.
Auf der anderen Seite sind die Dauer der beanstandungsfreien Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter des Klägers zu berücksichtigen. Die Betriebszugehörigkeit ist selbst dann in die Interessenabwägung einzubeziehen, wenn die Kündigung auf ein deliktisches Verhalten zu Lasten des Arbeitgebers gestützt wird (BAG 13.12.1984 - 2 AZR 454/83 - APBGB § 26 Nr. 81). Der Kläger war bei Zugang der streitgegenständlichen Kündigung bereits mehr als zwanzig Jahren bei dem Beklagten beschäftigt. Abmahnungen hat er während dieser Zeit nicht erhalten. Auch sonst ist zu Fehlleistungen seinerseits nichts vorgetragen und ersichtlich. Entlastend ist auch zu berücksichtigen, dass den Ärzten Dr. T... und Professor Dr. N... die bei dem Kläger bemängelte Berechtigung zur Liquidation eingeräumt worden ist. Hinzu kommt, dass der Beklagte Doppelabrechnungen erst für die Zeit ab November 2007 vorgetragen hat. Zu diesem Zeitpunkt hat die Firma U... die Abrechnung übernommen. Zu dem Zeitraum zwischen der Zusammenlegung der Blutdepots und der Labore für das Transfusionswesen der Krankenhäuser W... und P... am Standort P... im März 2004 und der Abrechnungsübernahme durch U... im November 2007 hat der Beklagte auch in der Berufungsverhandlung zu Doppelabrechnungen nicht konkret vortragen können. Das rechtfertigt zwar die GOÄ-widrige Abrechnungspraxis nicht. Jedoch spricht dies, wie das Arbeitsgericht zu Recht betont, dafür, dass bis dahin offenbar auch Dr. H... davon ausging, der Kläger sei weiterhin liquidationsrechtlich für von ihm in W... behandelte Patienten zuständig. Schließlich hat der Beklagte aufgrund der Abführungspflicht des Klägers gem. § 5 Abs. 2 des Arbeitsvertrags an dessen Liquidationserlösen teilgehabt. Eine Überprüfung der Richtigkeit der Abrechnung hätte daher nahegelegen, zumal die Einziehung der Entgelte vertragsgemäß durch den Krankenhausträger zu erfolgen hatte.
2. Die Kündigung ist auch deshalb unwirksam, weil der Beklagte sie ohne Zustimmung des bei ihm gewählten Personalrats ausgesprochen hat. Eine der Mitbestimmung des Personalrats unterliegende Maßnahme kann nur mit seiner Zustimmung getroffen werden, § 52 Abs. 1 MBG-SH. Eine unter Missachtung des Mitbestimmungsrechts des Personalrats vollzogene Maßnahme ist grundsätzlich unwirksam. Gemäß § 51 Abs. 1 MBG-SH bestimmt der Personalrat bei allen personellen, sozialen, organisatorischen und sonstigen innerdienstlichen Maßnahmen mit, die die Beschäftigten der Dienststelle insgesamt, Gruppen von ihnen oder einzelne Beschäftigte betreffen oder sich auf sie auswirken. Der Kläger ist Beschäftigter des beklagten Kreises. Daran ändert der Umstand nichts, dass er im Rahmen einer Personalgestellung bei dem R... K... eingesetzt worden ist. Zu den in der Dienststelle Beschäftigten zählen alle Personen, die der Dienststelle kraft eines Beamten/Angestelltenverhältnisses angehören. Es ist bereits fraglich, ob es sich bei dem Krankenhaus W... um eine Dienststelle handelt. Jedenfalls gehört der Kläger ihr nicht kraft eines Beamten-/Angestelltenverhältnisses an. Vertragsarbeitgeber ist nach wie vor der Beklagte. Er ist daher der personalverwaltenden Dienststelle des beklagten Kreises zuzuordnen. Bei dem Krankenhaus W... existiert im Übrigen auch kein Personalrat für die dort im Wege der Personalgestellung tätigen Mitarbeiter.
Die Mitbestimmung des Personalrats entfällt auch nicht gemäß § 51 Abs. 6 MBG-SH. Nach dieser Vorschrift entfällt die Mitbestimmung bei personellen Maßnahmen für Beamtinnen und Beamte der Besoldungsgruppe B und vergleichbare Angestellte. Der Kläger ist weder Beamter noch ein mit einem Beamten vergleichbarer Angestellter der Besoldungsgruppe B. Diese Regelung hat ihren Grund darin, dass die Mehrzahl der Betroffenen Ämter oder Funktionen innehaben, die sie zu weitreichenden politischen oder wirtschaftlichen Entscheidungen befugen. Gemäß seines Arbeitsvertrags erhielt der Kläger Vergütung nach der Vergütungsgruppe I BAT. Zuletzt richtete sie sich nach der Vergütungsgruppe EG 15 Ü TVöD. Damit steht der Kläger noch außerhalb des Systems der B-Besoldung.
Unstreitig ist der bei dem Beklagten gewählte Personalrat nicht beteiligt worden, so dass die Kündigung unwirksam ist. Daran ändert nichts, dass der Beklagte den Betriebsrat der R... K... beteiligt hat.
3. Gegen die Verurteilung zur Weiterbeschäftigung des Klägers bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag hat sich der Beklagte nicht gesondert gewendet.
4. Die Kostenentscheidung ist gemäß § 97 ZPO begründet. Der Beklagte hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich. Die Rechtssache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung, sondern ist einzelfallbezogen.