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  • · Fachbeitrag · Berufsrecht

    Was steckt hinter den neuen Kooperations-Chancen mit anderen freien Berufen?

    von RAin und FAin Handels- und GesellschaftsR Tina Bieniek, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg

    | Wer bisher seine Rechtsanwalts- oder Steuerberater-Kanzlei in einer gemeinsamen Gesellschaft z. B. mit Architekten und Ingenieuren, einem Sachverständigen oder Ärzten ausüben wollte, lief „gegen die Wand“. Die einschlägigen berufsrechtlichen Vorschriften erlaubten solche Zusammenschlüsse nicht. Das ist seit dem 1.8.22 mit dem Gesetz zur Neuregelung des anwaltlichen Berufsrechts anders ( AK 22, 94 ; AK 22, 99 ). Es hat berufsübergreifenden Kooperationen zwischen den Angehörigen freier Berufe den Weg geebnet. Lesen Sie, was möglich ist (Einzelheiten auch im kostenlosen IWW-Video vom 6.12.22, iww.de/s7394 ). |

    1. Wer profitiert von der Liberalisierung?

    Mit der Liberalisierung des anwaltlichen und steuerberaterlichen Berufsrechts entsteht Potenzial für neue Formen der Zusammenarbeit mit Angehörigen aller freien Berufe. Neue Chancen bieten sich somit für alle Berufe, die sich durch eine „besondere berufliche Qualifikation oder schöpferische Begabung“ und die „persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art“ auszeichnen.

    2. Einschränkungen gelten für den Gesellschafterkreis

    Einige grundlegende „Notbremsen“ hinsichtlich des Gesellschafterkreises (über die Beschränkung auf die Zugehörigkeit zu einem freien Beruf) bleiben auch im neuen Berufsrecht bestehen. Besonders in den folgenden Fällen verbietet das Berufsrecht Anwälten und Steuerberatern den Zusammenschluss:

     

    • Die Tätigkeit des potenziellen Mitgesellschafters ist mit dem Beruf des Rechts- bzw. Patentanwalts oder Steuerberaters, insbesondere seiner beruflichen Unabhängigkeit, nicht vereinbar (z. B. Fälle, in denen der Mitgesellschafter aus dem anderen freien Beruf gegenüber gesellschaftsfremden Dritten weisungsgebunden ist).
    • Dem potenziellen Mitgesellschafter wäre die Zulassung als Anwalt oder Steuerberater in Ausnahmefälle zu versagen (z. B. Entziehung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter infolge einer strafrechtlichen Verurteilung, Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft oder Entfernung aus dem Dienst in der Rechtspflege, Vermögensverfall).

    3. Ist alles rechtlich Mögliche auch sinnvoll?

    Potenzial für eine vertiefte Zusammenarbeit gibt es in praktischer Hinsicht meist, wenn inhaltliche Parallelen oder Spezialisierungen bestehen und die Angehörigen der verschiedenen Berufe ihr jeweiliges Know-how in die Kooperation mitbringen und davon gegenseitig profitieren können. Dabei muss die Zusammenarbeit nicht immer auf Dauer angelegt sein. Eine gemeinsame Gesellschaft kann ‒ bei Wahl der richtigen Rechtsform mit vertretbarem Aufwand ‒ für einen bestimmten Zeitraum errichtet werden und daher besonders für einzelne (Groß-)Projekte eine Erwägung wert sein (sozusagen als „Interprofessionelle Projektgesellschaft“).

     

    • Beispiele für erwägenswerte interprofessionelle Zusammenarbeit
    • Rechtsanwälte für Bau- und Architektenrecht mit Architekten
    • Rechtsanwälte mit Planern bei der umfassenden Begleitung größerer Bau- oder Infrastrukturprojekte oder im Anlagenbau
    • Patentanwälte mit Architekten oder Ingenieuren im IP-Recht bzw. im Bereich des geistigen Eigentums
    • Rechtsanwälte für Medizinrecht mit Ärzten, die gutachterliche Tätigkeiten übernehmen
    • International tätige Anwälte oder Steuerberater mit Dolmetschern
    • Kooperationen zwischen den rechts-, steuer- und wirtschaftsberatenden Berufen mit freiberuflichen Unternehmensberatern
     

    4. Bürogemeinschaft kann alternative Kooperationsform sein

    Als Gestaltungsalternative kommt die Gründung einer Bürogemeinschaft zwischen verschiedenen Berufsgruppen in Betracht. Bürogemeinschaften sind nämlich ‒ jedenfalls aus Sicht des anwaltlichen und steuerberaterlichen Berufsrechts ‒ mit allen Berufsgruppen zulässig. Sie dürfen gemeinsame Büros und IT-Infrastruktur nutzen oder sogar gemeinsames Personal (z. B. im Telefondienst oder am Empfang) einsetzen. Fachliche Parallelen sind nicht erforderlich. Angemessene organisatorische, personelle und technische Maßnahmen müssen allerdings die Einhaltung der jeweiligen Berufspflichten (insbesondere der notwendigen Verschwiegenheit) sicherstellen.

    5. Kooperation bleibt ein Kann-Konstrukt

    Nur weil man aus Sicht des (patent-)anwaltlichen und steuerrechtlichen Berufsrechts in Zukunft Gesellschaften zwischen den Angehörigen aller freien Berufe errichten kann, muss man das nicht aus Prinzip tun. Es handelt sich nur um eine bedenkenswerte Option. D. h.: Der Kooperationswunsch muss nicht immer mit der Gründung einer gemeinsamen Gesellschaft einhergehen. Ein „klassisches“ (Unter-)Auftragsverhältnis (z. B. für die Erstellung von Gutachten) oder vergleichbare Gestaltungen sind nach wie vor möglich und oft sinnvoll. Und wenn sich Angehörige freier Berufe zu anderen Zwecken als zur gemeinsamen Berufsausübung zusammenschließen (z. B. zum gemeinsamen Erwerb einer Immobilie), greifen die berufsrechtlichen Vorschriften von vornherein nicht ein ‒ das war und ist nach altem und neuem Recht zulässig.

    6. Freiheit besteht bei der Rechtsformwahl

    Im neuen Berufsrecht ist bekanntermaßen die Beschränkung auf bestimmte Rechtsformen weggefallen. Rechtsanwälte, Patentanwälte und Steuerberater haben für ihre Kooperation nun freie Rechtsformwahl. Sie können sich damit in allen möglichen (inländischen und europäischen) Rechtsformen ‒ unter bestimmten Voraussetzungen auch in doppel- oder mehrstöckigen Berufsausübungsgesellschaften ‒ zusammenschließen. Welche Rechtsform im Einzelfall passt, hängt weniger von den beteiligten Berufsgruppen als von sonstigen Kriterien ab. Das kann die Frage nach dem einmaligen und dauerhaften Gestaltungs- und Verwaltungsaufwand sein (bei Personengesellschaften gerade mit Blick auf das zum 1.1.24 neu in Kraft tretende Personengesellschaftsrecht), die Frage nach der Publizität und Transparenz im Rechtsverkehr oder steuerliche Erwägungen.

    7. Achtung: Eigenes und anwaltliches Berufsrecht beachten!

    Wer als Angehöriger eines freien Berufs den Zusammenschluss mit Rechts- oder Patentanwälten bzw. Steuerberatern anstrebt, muss ggf. Beschränkungen aus seinem eigenen Berufsrecht berücksichtigen. Dies kann ‒ insbesondere, wenn die Gesellschaft eine eigene Registrierung bei der zuständigen Kammer anstrebt, ‒ den Unternehmensgegenstand, Mehrheitserfordernisse (z. B. hinsichtlich des Gesellschafter- und Geschäftsführerkreises) oder Verfügungsbeschränkungen hinsichtlich der Gesellschaftsanteile betreffen.

     

    Meistens finden sich zudem Konkretisierungen zur Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Berufe. Dieses Berufsrecht kann (noch) strenger sein als das inzwischen wesentlich liberalere Berufsrecht der Rechtsanwälte, Patentanwälte und Steuerberater. Vor der Gründung einer interprofessionellen Gesellschaft sollte deshalb unbedingt überprüft werden, ob (wirksame) Beschränkungen aus anderen berufsrechtlichen Regelungen bestehen. Wenn das der Fall ist, sollte die Gestaltung darauf eingestellt werden. Zudem gelten für jeden Mitgesellschafter nicht nur seine eigenen berufsrechtlichen Pflichten, sondern ‒ jedenfalls mittelbar ‒ auch die Berufspflichten der Rechtsanwälte und Steuerberater (z. B. Unabhängigkeit, Verschwiegenheit, Sachlichkeit). Die Mitgesellschafter sollten unabhängig von ihrem eigenen Beruf ein Interesse an der Einhaltung und der Vermeidung von Sanktionen zulasten „ihrer“ Berufsausübungsgesellschaft haben.

    8. Die interprofessionelle Gesellschaft gestalten

    Bei der konkreten Gestaltung der Kooperation müssen weiterhin einige berufs- und gesellschaftsrechtliche Besonderheiten berücksichtigt werden. Prüfungs- und Regelungsbedarf besteht u. a. bei den folgenden Punkten:

     

    • Besetzung der Geschäftsführungs- und Vertretungsorgane (in der Regel müssen die Angehörigen der jeweiligen Berufe mindestens in vertretungsberechtigter Anzahl, teils auch mehrheitlich vorhanden sein)
    • Verfügungs- und Übertragungsbeschränkungen (den Anteilsübertragungen unter Lebenden muss die Gesellschafterversammlung zustimmen)
    • Regelungen zur Weisungsfreiheit gegenüber Berufsfremden
    • Prüfung von Versicherungspflichten für die Berufsgruppen/Versicherung von Haftpflichtrisiken
    • Wahl des Gesellschaftsnamens
    • Erforderlichkeit der Zulassung oder Anzeige bei den zuständigen Kammern
    Quelle: Ausgabe 01 / 2023 | Seite 8 | ID 48754657