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  • · Fachbeitrag · Editorial AK 08/2023

    „Alle am Gesetzungsverfahren Beteiligten müssen Zeit für Beratungen und Stellungnahmen haben!“

    | Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war ein Paukenschlag, mit dem das BVerfG am Abend des 5.7.23 mit einer mehrseitigen Presseerklärung verkündet hat (2 BvE 4/23): Dem Deutschen Bundestag wird per einstweiliger Anordnung untersagt, die Änderungen des Gebäudeenergiegesetzes in der 2. und 3. Lesung am Freitag, den 7.7.23, und damit vor der parlamentarischen Sommerpause zu verabschieden. Die Richter sahen die Gefahr, dass die Abgeordnetenrechte nach Art. 38 GG beeinträchtigt sein könnten, weil umfangreiche Änderungen den Abgeordneten erst wenige Tage vor der Verabschiedung zur Verfügung gestellt wurden. Diese Beeinträchtigung der Abgeordnetenrechte sei höher zu bewerten als die Verschiebung der Beratungen. |

     

    Die Entscheidung der Karlsruher Richter ist von der Öffentlichkeit und Verfassungsrechtlern ganz unterschiedlich aufgenommen worden. Auf der einen Seite wurde die Entscheidung ausdrücklich begrüßt, weil die Abgeordneten Zeit haben müssten, sich mit einem Gesetz zu befassen. Auf der anderen Seite wurde geäußert, dass das Verfassungsorgan „BVerfG“ unzulässigerweise in die Abläufe des anderen Verfassungsorgans „Bundestag“ eingegriffen habe, obwohl sich der Bundestag (gerade) noch an seine Geschäftsordnung gehalten hat.

     

    Dies kann hier dahingestellt bleiben. Entscheidend ist an dem Beschluss der Verfassungsrichter ein ganz anderer Punkt: Die Verfassungsrichter machen deutlich, dass es zum Recht des einzelnen Abgeordneten gehören kann, ausreichend Zeit für die Auseinandersetzung mit Gesetzgebungsverfahren zu haben. Nur wenige Tage Zeit zu haben, um ‒ wie hier ‒ eine Synopse von 94 Seiten und eine 14-seitige Begründung zu lesen, ist unzumutbar.

     

    Diese Zumutung betrifft übrigens nicht nur die Abgeordneten, sondern auch alle anderen am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten, z. B. die Organisationen der Anwaltschaft, wie die BRAK und den Deutschen Anwaltverein. Diese kritisieren seit Langem, dass sie kaum Zeit hätten, Gesetzentwürfe in Ruhe zu beraten und ihre Stellungnahme dazu abzugeben. Oft setzt ihnen der Gesetzgeber Fristen von nur wenigen Tagen oder Wochen, um sich mit zum Teil komplizierten Neuregelungen zu befassen. Ein Zeitdruck des Gesetzgebers ist dabei häufig nicht zu erkennen. Dieser wäre gut beraten, hier außerhalb wirklicher Notlagen mehr Ruhe einkehren zu lassen, damit von vornherein gute Gesetze verabschiedet werden können. Zurzeit ist es fast die Regel, dass (schnelle) Gesetze später repariert werden müssen.

     

    Das Gleiche gilt für das Inkrafttreten neuer Gesetze. Gab es früher Übergangsfristen von mehreren Monaten oder Jahren, treten heute viele Gesetze schon am Tag nach ihrer Verkündung in Kraft. Zusammen mit der hektischen Verabschiedung kann sich kaum jemand auf die neuen Gesetze und ihre Umsetzung in der Praxis vorbereiten. Dies betrifft auch die Anwälte, die Gesetzesänderungen als erste für ihre Mandanten umsetzen müssen.

     

    Mit besten kollegialen Grüßen

    Ihr Martin W. Huff

    Quelle: Ausgabe 08 / 2023 | Seite 2 | ID 49602397