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  • · Fachbeitrag · Editorial AK 11/2023

    „Es ist ein Verfahrensfehler, wenn das Gericht den Sachvortrag einer Partei nicht zur Kenntnis nimmt.“

    | Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wie sorgfältig arbeiten eigentlich Berufungsgerichte und beachten sie insbesondere das Gebot des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG? Mitnichten! Es fällt auf, dass der BGH in den vergangenen Monaten gleich mehrfach Instanzgerichte dafür gerüffelt hat, diesen Grundsatz nicht eingehalten zu haben. Und gleich drei aktuellen Nichtzulassungsbeschwerden hat der BGH besondere Aufmerksamkeit geschenkt und die Entscheidungen mit entsprechenden Leitsätzen versehen (1.8.23, VI ZR 191/22; 8.8.23, VIII ZR 20/23; 21.9.23, VI ZR 256/22). |

     

    So ging es beispielsweise in dem Verfahren VI ZR 191/22 um Verdienstausfall aus einem Verkehrsunfall und die Haftungsquote. Nachdem die Beklagten die Höhe des Verdienstausfalls selbst in der ersten Instanz nicht bestritten hatten, „holten“ sie dies in der zweiten Instanz beim OLG nach. Erstaunlicherweise sah das OLG diesen Vortrag nicht als präkludiert an und ließ ihn zu. Allerdings schlossen die Richter die Erwiderung des Klägers zu diesem Beklagten-Vortrag als präkludiert gemäß §§ 525, 296 Abs. 2 ZPO aus.

     

    Doch der BGH machte insofern deutlich: „In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass Art. 103 Abs. 1 GG dann verletzt ist, wenn der Tatrichter Angriffs- oder Verteidigungsmittel einer Partei in offenkundiger fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift zu Unrecht als ausgeschlossen erachtet“. Man darf sich wundern, warum ein OLG-Senat einen solchen einfachen Verfahrensgrundsatz missachtet und dann noch nicht einmal die Revision zulässt.

     

    Klar waren auch die beiden anderen Fälle. In dem einen Verfahren wurde der Maßstab der Überprüfung durch das Berufungsgericht verkannt und eine notwendige erneute Beweiswürdigung und eventuell neue Beweisaufnahme verweigert (VIII ZR 20/23). Im Verfahren VI ZR 256/22 erkannten die Richter nicht, dass der Beklagte, dem die Verursachung eines Arbeitsunfalls vorgeworfen wurde, im Unfallzeitpunkt gar nicht am Unfallort gewesen ist und dies auch so vorgetragen hatte.

     

    Der BGH versteht also zu Recht keinen Spaß, wenn das Gebot des rechtlichen Gehörs verletzt wird. Er stärkt damit die Rechte der Parteien, deren (rechtzeitiger) Sachvortrag vom Gericht zur Kenntnis genommen und berücksichtigt werden muss. Und es ist den Kollegen in den drei genannten Verfahren zu danken, dass sie wegen der Verfahrensfehler den steinigen Weg über die Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH gegangen sind.

     

    Mit besten kollegialen Grüßen

     

    Ihr Martin W. Huff

    Quelle: Ausgabe 11 / 2023 | Seite 2 | ID 49745870