· Fachbeitrag · Editorial AK 3/2024
„Bei fairen Deals müssen Gerichte, StA und Verteidiger die Verfahrensvorschriften einhalten!“
| Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Absprachen („Deals“) sind in Strafverfahren heutzutage üblich, ob man diese nun mag oder nicht. Bevor es hierfür im Jahr 2009 einschlägige Vorschriften in der StPO gab, waren dem Wildwuchs Tür und Tor geöffnet. Politisch wurde in den 1980erJahren heftig über die Frage diskutiert, ob der Rechtsstaat überhaupt Absprachen dulden kann. Letztlich hat das praktische Bedürfnis gesiegt, eine solche Möglichkeit zu schaffen. Doch jetzt hat das BVerfG mit zwei Beschlüssen den Gerichten und Strafverteidigern deutlich gezeigt, was geht und was nicht (8.11.23, 2 BvR 294/22; 20.12.23, 2 BvR 2103/20). |
Die obersten Richter haben auf zwei Verfassungsbeschwerden von Betroffenen hin Verurteilungen nach einer Absprache aufgehoben und die Verfahren an die Instanzgerichte zurückverwiesen. Die Verfassungsrichter rügten in beiden Verfahren, dass alle Beteiligten das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1, Art. 20 GG) verletzt hätten. Es müssten eindeutig die strengen gesetzlichen Anforderungen an eine Absprache eingehalten werden. Das gesetzgeberische Konzept habe seinen Schwerpunkt in der Transparenz, der Öffentlichkeit und einer vollständigen Dokumentation, damit eine Rechtsmittelkontrolle möglich bleibe. Dies werde ausgehöhlt, wenn man es sich mit der Absprache und dem Geständnis zu leicht mache.
So könnte allein ein allgemeines Geständnis bei einem komplexen Verfahren und das Geständnis des Angeklagten, der die Absprache nicht genau kennt, bei Weitem nicht ausreichen. Das Recht auf ein faires Verfahren verlange vielmehr, dass der Angeklagte den wesentlichen Inhalt des Verständigungsgesprächs vollständig erfährt. Der Richter müsse zudem darüber informieren, wer die Frage einer Verständigung aufgeworfen hat und welche Standpunkte die einzelnen Gesprächsteilnehmer vertreten.
In dem einen Verfahren sei der Tatvorwurf wegen 26 Taten gemäß § 266a StGB (Vorenthalten von Arbeitsentgelt) und einem Schaden von rund einer halben Million Euro nicht „einfach“ gewesen. Hier hätte das Gericht vernünftigerweise selbst überprüfen müssen, ob das Geständnis aussagekräftig genug war. Insofern wäre eine Beweiserhebung erforderlich gewesen. Denn die gerichtliche Aufklärungspflicht ist nicht disponibel. Genauso bedenklich sind in dem anderen Verfahren fehlende Informationen des Angeklagten gewesen. Dies kann keine Verständigung tragen.
Das sind klare Worte der Verfassungsrichter. Sie mahnen völlig zu Recht an: Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verteidiger müssen die Verfahrensvorschriften einhalten.
Mit besten kollegialen Grüßen
Ihr Martin W. Huff