· Fachbeitrag · Mandatsverhältnis
So vermeiden Sie Interessenkollisionen
von RA Dr. Achim Zimmermann, Hannover
| Zu den Grundpflichten eines Rechtsanwalts gehört es, keine widerstreitenden Interessen zu vertreten. Damit soll der Berufsträger seine Unabhängigkeit bewahren und die Geradlinigkeit seiner Berufsausübung im Blick behalten. Der folgende Beitrag erläutert, wann dies nicht mehr gewährleistet ist, weil eine Interessenkollision nach § 43a Abs. 4 BRAO vorliegt. Dies ist der Fall, wenn die Voraussetzungen der Sachverhaltsidentität, ein Interessengegensatz und die Vertretung bzw. Beratung beider Parteien durch denselben Rechtsanwalt vorliegen. |
1. Sachverhaltsidentität
Ein Sachverhalt ist identisch, wenn der Anwalt in „derselben Rechtssache“ (§ 3 BORA) tätig wird. Was sich hinter diesem sehr allgemeinen Begriff verbirgt, bleibt oft im Unklaren. Neu: Der Begriff „derselben Rechtssache“ wird aber im Rahmen der im August 2022 in Kraft tretenden BRAO-Reform ausdrücklich in § 43a Abs. 4 BRAO n. F. aufgenommen (BGBl. I 2021, 2363, 2366).
Eines steht dabei fest: Der bloße Umstand, dass der Rechtsanwalt in verschiedenen Sachen einmal den Kläger (z. B. den gekündigten Arbeitnehmer A gegen den Arbeitgeber K, um eine betriebsbedingte Kündigung abzuwehren) und einmal den Beklagten (z. B. den Arbeitgeber K gegen Arbeitnehmer B, um diesem verhaltensbedingt zu kündigen) vertritt, wird zwar in der Öffentlichkeit als Kollision aufgefasst. Im Berufsrecht ist darin allerdings kein Verstoß zu erkennen.
Deshalb kann unter derselben Rechtssache lediglich die Identität der Tatsachen und der Interessengesamtheit verstanden werden. Will der Anwalt also beurteilen, ob er sich in die Gefahr einer Interessenkollision begibt, muss er den Sachverhalt in seiner Gesamtheit betrachten. Er muss sich die Frage stellen, ob das materielle Rechtsverhältnis, zu dem er beraten und vertreten soll, ein einheitliches Lebensverhältnis bildet.
In der Praxis bedeutet das Dreierlei: Entscheidend ist nicht,
- um welchen Anspruch es sich handelt. Ein Anwalt im Verkehrsrecht kann deshalb nicht im ersten Prozess den Anspruch auf Schadenersatz wegen des beschädigten Pkw des Opfers gegen den Schädiger geltend machen und im zweiten Prozess den Schädiger gegen das Opfer vertreten, in dem es um Schmerzensgeld geht. Denn beide Ansprüche basieren auf demselben Ereignis, dem Unfall.
- in welchem Stadium sich die Auseinandersetzung befindet. Es gilt z. B.: Der Anwalt, der ursprünglich außergerichtlich A gegen B vertreten, aber nicht den Prozess in der ersten Instanz geführt hat, darf nicht in der Berufungsinstanz den B gegen A vertreten.
- aus welchem Rechtsgebiet die zu beurteilenden Fragen kommen, ob neue Tatsachen hinzugekommen sind oder ob sich die Beteiligten geändert haben. So kann der zunächst außergerichtlich tätige Anwalt für A im späteren Prozess nicht den Nebenintervenienten N vertreten, der auf der Seite der anderen Partei beigetreten ist.
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In der Literatur wird als Paradebeispiel für die Vertretung widerstreitender Interessen der Anwalt herangezogen, der bei einer Ehescheidung beide Ehegatten vertritt. Hierbei ist die Ehe das relevante Lebensverhältnis, das für die Frage der Interessenkollision zu beurteilen ist. Ähnliche Probleme entstehen z. B. im Mietrecht bei demselben Mietverhältnis oder im Gesellschaftsrecht, in dem der Anwalt des ausscheidenden Gesellschafters bereits die Gesellschaft an sich vertritt. |
2. Interessengegensatz
Über dieselbe Rechtssache hinaus muss ein Interessengegensatz vorliegen. Gemeint ist damit, dass der Rechtsanwalt für zumindest zwei Parteien mit gegenläufigen (konträren) Interessen tätig war oder ist. Als Faustregel für den Rechtsanwalt gilt die Frage, ob die eine Partei durch seine Beratung der anderen Partei etwas „wegnimmt“. In diesem Fall wäre durch seine Tätigkeit nicht sichergestellt, dass die von ihm vertretenen Parteien insgesamt den Anspruch voll durchsetzen können.
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Wenn der Rechtsanwalt bei der Vertretung von Gesamtschuldnern zu ihren Gunsten einen Anspruch abwehrt, liegt keine Interessenkollision vor. Denn es geht darum, alle Gesamtschuldner gleichmäßig von der Inanspruchnahme zu verschonen.
Anders sieht es aus, wenn innerhalb der Gesamtschuldnerschaft der Ausgleich ansteht: Jeder möchte so wenig wie möglich zahlen. Der Anwalt müsste sich ‒ bewusst oder unbewusst ‒ entscheiden, bei welchem Gesamtschuldner er sich engagiert und bei wem er die Sache „gemächlicher“ angeht. Denn seine Aufgabe als Anwalt ist es nicht, dafür zu sorgen, dass alle Gesamtschuldner denselben Betrag zahlen und zufrieden sind. Sondern er muss für seinen Mandanten alles versuchen. Deshalb müsste er beim Gesamtschuldnerausgleich sein Mandat insgesamt beenden. Er dürfte auch nicht nur einen der Gesamtschuldner vertreten, wenn er bereits im Abwehrprozess alle vertreten hat. Der zugrunde liegende Sachverhalt ‒ hier also die Gesamtschuld ‒ ist dabei derselbe geblieben, nur der Blickwinkel der rechtlichen Beurteilung hat sich geändert. |
Beachten Sie | Ob der Rechtsanwalt bei seiner Tätigkeit aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll handelt, spielt keine Rolle. Maßgeblich ist allein die rechtliche Betrachtung. So verstößt er auch gegen § 43a Abs. 4 BRAO, wenn er z. B. zugunsten des Insolvenzverwalters und des Insolvenzgläubigers handelt.
3. Vertretung bzw. Beratung beider Parteien
Liegt in derselben Rechtssache ein Interessengegensatz vor, darf der Rechtsanwalt die Mandanten weder beraten noch vertreten. Ob das gleichzeitig oder sukzessive der Fall ist, ist unerheblich. Entscheidend ist dagegen, ob die anwaltliche Tätigkeit das Interesse zumindest einer Partei fördert.
Die Parteien haben keine Möglichkeit, trotz der Interessenkollision eine Beratung oder Vertretung zu bekommen. Sie können also auch nicht einvernehmlich auf das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen verzichten. Das gilt auch für den Fall, dass in einer Sozietät verschiedene Anwälte die Gegner in derselben Sache vertreten (§ 3 Abs. 2 BORA). Dabei kommt es nicht auf die Form der Sozietät an. Selbst bei einer Bürogemeinschaft wird grundsätzlich von der Wirkung des Verbots ausgegangen. Denn auch dort ist nicht auszuschließen, dass ihre Mitglieder von den Vorgängen bei den anderen Anwälten etwas mitbekommen.
Neu: Im Rahmen der BRAO-Reform findet hier eine Präzisierung statt. Danach gilt: Ist nach der jetzigen Fassung die „Berufsausübung in der Berufsausübungsgesellschaft“ relevant, wird dies zukünftig die „gemeinschaftliche Berufsausübung“ sein. Damit soll sichergestellt werden, dass nicht nur die Gesellschafter der Sozietät, sondern auch die angestellten Rechtsanwälte und die freien Mitarbeiter vom Verbot erfasst werden.
Von der Erstreckung des Verbots auf die Sozietät gibt es allerdings eine Ausnahme: Die Mandanten können in die Vertretung widerstreitender Interessen einwilligen und sich von verschiedenen Anwälten einer Sozietät vertreten lassen, wenn sie umfassend informiert wurden und die Belange der Rechtspflege dem nicht entgegenstehen. Das bedeutet:
- Die umfassende Information setzt voraus, dass die Parteien über sämtliche Umstände der Interessenkollision genauso aufgeklärt werden wie über die daraus entstehenden Folgen und damit verbundenen Gefahren für sich selbst und ihre Rechtssache. Auch wenn § 3 Abs. 2 S. 3 BORA für die Schriftlichkeit der Informationspflicht und der Einverständniserklärung nur eine Soll-Vorschrift ist, empfiehlt sich eine schriftliche Niederlegung.
- Stehen Belange der Rechtspflege entgegen, kann auch ein Einverständnis der Mandanten nicht weiterhelfen. Was allerdings unter diesem Begriff zu verstehen ist, ist nach wie vor unklar. Solche Belange könnten etwa vorliegen, wenn nicht sichergestellt werden kann, dass geheimhaltungsbedürftige Informationen an den anderen Anwalt in der Sozietät gelangen können. Eine „chinese wall“ kann durch eine beschränkte Freigabe der elektronischen Akte nur für bestimmte Mitarbeiter, getrennte Postbearbeitung und Aktenführung umgesetzt werden.
- Im Rahmen der BRAO-Reform ist über das Einverständnis hinaus zu gewährleisten, dass neben den Belangen der Rechtspflege „geeignete Vorkehrungen die Einhaltung der Verschwiegenheit“ sicherstellen.
4. Rechtsfolgen eines Verstoßes
Liegt bei einem einzelnen Anwalt eine Interessenkollision vor, muss er die Mandate insgesamt beenden (§ 3 Abs. 4 BORA). Er kann sich nicht aussuchen, welchen Mandanten er weiter betreuen will. Innerhalb einer Sozietät muss er nur niederlegen, wenn der Widerstreit nicht durch ein Einverständnis überwunden werden kann.
Wechselt ein Anwalt die Kanzlei, ist davon auszugehen, dass nur die aufnehmende Kanzlei das Mandat niederlegen muss. Nur bei ihr besteht die Gefahr, dass sie Informationen aus dem bisher woanders geführten Mandat erlangen kann.
Beachten Sie | Die Niederlegung muss unverzüglich erfolgen. Die Frist beginnt mit der Kenntnis der Interessenkollision. Gleichzeitig ist der niederlegende Anwalt dazu verpflichtet, seine Mandanten über diesen Umstand zu informieren.
Flankiert wird das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen durch den in § 356 StGB niedergelegten Parteiverrat. Dabei handelt es sich um eine der wenigen Strafnormen, die bei einem Verstoß gegen das anwaltliche Berufsrecht zum Tragen kommen kann.
Weiterführende Hinweise
- Die Anwaltskanzlei als herkömmliche PartG oder als PartGmbB, AK 21, 124
- Vor- und Nachteile einer Anwalts-GbR, AK 21, 105
- Rechtsanwalt + Externer Datenschutzbeauftragter = eventuell Gewerbetreibender?, AK 18, 23