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  • · Fachbeitrag · Strafverfahrensrecht

    Den richtigen Prozessbegleiter finden

    von Christian Noe B. A., Göttingen

    | Wer als Anwalt das Instrument der psychosozialen Prozessbegleitung (PP) effektiv nutzen will, sollte wissen, wie er qualifizierte Prozessbegleiter findet und einen klugen Austausch gestaltet. Wie Sie Netzwerke und Fachkanäle in der Praxis nutzen, erklärt der folgende Beitrag (zur Erläuterung der PP an sich: AK 22, 117 ). |

    1. Prozessbegleiter finden und Wissensnetzwerke stricken

    Es ist einfach, Mandanten eine stützende und die individuelle Persönlichkeit berücksichtigende PP anzubieten. Effektive Ansätze zeigt die folgende Grafik:

     

     

    2. Prozessbegleitung fördert den Verfahrenserfolg

    Vielen Anwälten ist nicht bewusst, dass eine PP während des gesamten Mandats faktisch eine kostenlose Verstärkung der anwaltlichen Dienstleistung darstellt: Prozessbegleiter nehmen viel Arbeit ab und stabilisieren den Mandanten für anstehende Verhandlungstermine. Die Begleitung ist intensiv und umfasst häufig viele Arbeitsstunden. Die Begleiter erfahren im Gespräch mit den Opfern deren Lebensgeschichte, charakterliche Besonderheiten, Wünsche und Ängste. Wer als Prozessbegleiter individuelle Eigenschaften, Stressverhalten sowie Gestik und Mimik der Mandanten deuten kann, gibt dem Anwalt wertvolle Hinweise an die Hand.

     

    • Beispiel

    Entscheidend können schon vermeintliche Kleinigkeiten sein, weiß die Prozessbegleiterin Silke Lorenz: „Ich hatte eine Klientin, die zu grinsen begann, wenn ihr Gespräche oder bestimmte Fragen unangenehm waren. Dass der Anwalt und auch Richter so ein Verhalten frühzeitig kennen und einordnen können, ist natürlich wichtig.“ Ein „Grinsen“ im Gericht kann ansonsten falsch ankommen und Missverständnisse fördern.

     

    3. Prozessbegleitung ist keine „Exotenregelung“

    Das Recht auf eine Prozessbegleitung hat jeder Verletzte (§ 406g Abs. 1 StPO), und zwar nicht erst in der Hauptverhandlung vor Gericht, sondern bereits im Ermittlungsverfahren. Prozessbegleiter werden zudem beigeordnet, d. h.: Mandanten müssen die Begleiter nicht selbst bezahlen. Auch wenn die Konstellation häufig ist, dass der Mandant vom Prozessbegleiter zum Anwalt geschickt und eine Begleitung also schon vorhanden ist, gibt es Fälle, in denen Mandanten beim Rechtsanwalt sind, aber noch keine Unterstützung durch PP haben.

     

     

    Wenn der Anwalt auf ein Netzwerk qualifizierter Begleiter zurückgreifen kann, signalisiert er: Er kann ihm bekannte Personen nennen und erklären, warum gerade dieser oder jener Begleiter gut zum Mandanten passt, welches seine Stärken sind und was er in ähnlichen Fällen schon geleistet hat. Nichts nimmt zuverlässiger Ängste als lebendige Beispiele, wie frühere Mandanten durch den Begleiter stabilisiert, adäquat vorbereitet und sich geschützt fühlend durch eine Verhandlung gelotst wurden.

    4. „Wissenspool für die Arbeit mit gehandicapten Mandanten“

    Silke Lorenz ist seit zehn Jahren Prozessbegleiterin bei der Stiftung Opferhilfe in Niedersachsen (opferhilfe.niedersachsen.de). Sie gibt Anwälten Tipps, die sich selbst einen Überblick über die Möglichkeiten der Prozessbegleitung verschaffen wollen.

     

    Frage: Wie finden die Betroffenen rasch geeigneten juristischen Beistand?

     

    Antwort: Unser Netzwerk umfasst auch Kontakte zu Opferanwälten bzw. Strafverteidigern und Familienanwälten. Die kennen wir gut und diese sind spezialisiert und sehr engagiert im Job. Es ist sinnvoll, dass die Betroffenen oder die Nebenklagevertretungen Kontakt zu den Opferhilfebüros der Stiftung Opferhilfe suchen oder aufbauen. In jedem LG-Bezirk findet sich ein Opferhilfebüro. In jedem Büro befinden sich mindestens eine dementsprechend ausgebildete Fachkraft. Meist sind alle 30 Kolleginnen und Kollegen der Stiftung entsprechend ausgebildet. Viele wissen gut über die lokal oder weiter in der Region aktiven Anwälte Bescheid.

     

    Frage: Lassen die Begleitungsphasen solche Einschätzungen zu?

     

    Antwort: Eine Prozessbegleitung kann mitunter Jahre dauern und da bekommt man dann auch mit, wie versiert Anwälte mit Mandanten umgehen und wer sich in welchen Fällen besonders engagiert hat. Außerdem ist unsere Berufsgruppe bundesweit sehr gut vernetzt, Begleiter tauschen sich aus und nehmen an Fortbildungen teil. Wer mit erfahrenen Prozessbegleitern kooperiert, profitiert sozusagen regelmäßig von deren wachsenden Kompetenzen und neuen Ansätzen in der praktischen Arbeit.

     

    Frage: Unterschätzen Anwälte die Herausforderung, wenn ihre Mandanten Opfer von Straftaten sind?

     

    Antwort: Die Betroffenen ringen oft mit verschiedenen, schlimmsten Erfahrungen. Da sind z. B. auch missbrauchte Kinder, vergewaltigte Frauen oder verprügelte Männer dabei, die sich nicht mehr allein aus dem Haus trauen. Oft können sich diese Personen nicht mehr gut konzentrieren oder klar denken und haben Schwierigkeiten, einem anderen in die Augen zu schauen. Oder es kommen Probleme, wie Schulden oder Süchte hinzu. Selbst ein Anwalt, der es gewohnt ist, täglich mit unterschiedlichen Charakteren und Verhaltensweisen umzugehen, ist da schnell überfordert. Ein Anwalt hat neben seiner juristischen Arbeit keine Zeit, Schuldnerberatung und Sozialarbeit zu machen, an andere Beratungen zu vermitteln bzw. dort freie Plätze für Mandanten zu suchen.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Deshalb sollten Anwälte Psychosoziale Prozessbegleitung kennen, AK 22, 117
    • Coaching in der Kanzlei: Wenn Mandanten emotional werden, AK 20, 28
    Quelle: Ausgabe 10 / 2022 | Seite 175 | ID 48481382