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  • · Fachbeitrag · Interview

    Vier-Tage-Woche in der Kanzlei HÄRTING: mehr Motivation, Effizienz und Work-Life-Balance

    | Die Vier-Tage-Woche in einer Anwaltskanzlei funktioniert! Das hat die Kanzlei HÄRTING aus Berlin durch eine einjährige Testphase festgestellt. Die Mehrheit von über 90 % der Vollzeitmitarbeiter hat sich für eine Vier-Tage-Woche ausgesprochen. Die Aussicht auf eine längere Erholungsphase durch einen freien Freitag sorgt für hoch motivierte Mitarbeiter, noch mehr Ansporn und Freude bei der Arbeit und eine bessere Work-Life-Balance. Die Kanzlei hat die Arbeitsabläufe und die interne Kommunikation jetzt noch besser strukturiert und organisiert und kann dadurch effektiver handeln. Anfängliche Kritik und Zweifel haben sich nicht bewahrheitet. Rechtsanwalt und Partner Lasse Konrad schildert die Erfahrungen, Anpassungen und Bewertungen. |

     

    Frage: Die Kanzlei hat die Vier-Tage-Woche zunächst sechs Monate lang getestet und dann um weitere sechs Monate verlängert. Was können Sie uns über Ihre Erfahrungen und Erkenntnisse während der Verlängerung berichten? Haben sich in dieser Zeit völlig neue Erkenntnisse ergeben? Oder haben sich eher die Annahmen und Trends aus den ersten sechs Monaten bestätigt?

     

    Antwort: Gerade nach den ersten sechs Monaten Testzeit konnten wir über bestimmte Schlüsselfaktoren, wie etwa Umsatz, noch keine richtigen Schlüsse treffen. Das liegt etwa an den ungleich verteilten Feiertagen im Jahr und der branchentypischen schwankenden Auftragslage in den einzelnen Quartalen. Insofern war es wichtig, das ganze Jahr zu betrachten.

     

    Horrorszenarien sind dabei ausgeblieben. Auch ist die Entwicklung im Rahmen unserer Erwartungen geblieben. Ansonsten hätten wir uns auch schon nach den ersten sechs Monaten für eine Rückkehr zur klassischen Fünf-Tage-Woche entschieden. Völlig neue Erkenntnisse gab es somit in den zweiten sechs Monaten nicht. Die Abläufe haben sich besser eingespielt und auch typische Auslastungspeaks konnten gut bewältigt werden.

     

    Frage: Haben sich Ihre Ziele und Erwartungen, die Sie in den ersten sechs Monaten der Testphase hatten, während der verlängerten Testphase bestätigt oder geändert?

     

    Antwort: Bereits nach den ersten sechs Monaten konnten wir ein gutes Fazit ziehen. Deshalb haben wir das doch vergleichsweise gewagte Vorhaben weiter verfolgt. Wir wollten dabei beobachten, ob wir gerade in den kritischen Monaten zum Jahresende weiterhin mit unserem System gut fahren.

     

    Frage: Können Sie inzwischen Aussagen über die Auswirkungen der Vier-Tage-Woche auf den Umsatz Ihrer Kanzlei machen? Wie haben sich die messbaren Indikatoren, wie Arbeitsstunden, Fehltage und Umsatzzahlen etc., entwickelt?

     

    Antwort: Rückschlüsse „nur“ auf die Vier-Tage-Woche zu ziehen, verbietet sich im Rahmen komplexer und vielschichtiger Abläufe, auch und vor allem in einem komplexen Kanzleigefüge. Sicher konnten wir festhalten, dass sich die Zahlen (Umsatz, Arbeitsstunden, Fehltage etc.) nicht zum Schlechten hin entwickelt haben. Weniger messbar, aber dafür täglich erlebbar sind die eindeutig positiven und anhaltenden Äußerungen, Rückmeldungen und vor allem das wahrgenommene Kanzleileben. Ob die „hard facts“ dies auf Dauer widerspiegeln, werden wir erst mit einer mittelfristigen Analyse wirklich belastbar feststellen können.

     

    Frage: Welche unerwarteten Herausforderungen sind während der verlängerten Testphase aufgetreten, und wie haben Sie darauf reagiert?

     

    Antwort: Unerwartete Herausforderungen hatten wir eigentlich nicht. Vielmehr kam es zu den bereits bekannten Themen und Wünschen, die vier Tage flexibler gestalten zu können, gerade bei Mitarbeitenden mit Familie. Diesem Wunsch sind wir direkt bei der Verlängerung der Testphase nachgekommen bzw. haben diesen aktiv forciert, was sich gerade bei dem freien Beruf des Anwalts/der Anwältin nahezu aufdrängt.

     

    Frage: Welche neuen Möglichkeiten zur Verbesserung der Arbeitsorganisation oder der Teamdynamik haben sich ergeben?

     

    Antwort: Der Notdienst am Freitag und die Koordination der gemeinsamen Anwesenheiten in der Kanzlei innerhalb der Teams erfordern eine gute Planung und hohe Kommunikationsbereitschaft. Im Zuge dessen haben wir uns auch auf einen festen freien Tag in der Woche verständigt. Zumindest zum Anfang der Testphase bestand die Angst, das gleiche Arbeitspensum in kürzerer Zeit bewältigen zu müssen. Ich denke, die meisten haben aber gerade hierin einen Ansporn gesehen, sich noch besser zu organisieren und mit Teamkollegen abzusprechen.

     

    Frage: Gab es (während der verlängerten Testphase) bestimmte Tage oder Phasen ‒ z. B. das Jahresende ‒, die besonders herausfordernd waren? Und wenn ja, wie wurden diese bewältigt?

     

    Antwort: Zum Jahresende fällt immer besonders viel Arbeit an, denn zum Jahresende droht stets die Verjährung. Nach jetzigem Stand konnten wir aber keine negativen Veränderungen in Bezug auf das vorherige Arbeitszeitmodell ausmachen.

     

    Frage: Wie haben sich die Kommunikations- und Koordinationsprozesse zwischen den Mitarbeitern entwickelt?

     

    Antwort: Der vermehrte Austausch wiederum hat dazu geführt, dass wir unsere Kommunikation effizienter gestalten mussten. Nach dem Motto: „Hätte eine E-Mail nicht gereicht?“ ‒ nur, dass wir jetzt eben immer mehr auf die Messaging-App Slack umstellen.

     

    Frage: Konnten Sie während der verlängerten Testphase zusätzliche Daten oder Erkenntnisse sammeln, die Ihnen bei der Entscheidungsfindung über die Zukunft des Arbeitszeitmodells helfen?

     

    Antwort: Das ist ein laufender Prozess. Belastbare Aussagen zu treffen und diese auch rein tatsächlich „nur“ auf die Vier-Tage-Woche zurückzuführen, wäre etwas vermessen. Wir hoffen, dass wir mittelfristig hier etwas genauer und in den Feststellungen belastbarer werden können.

     

    Frage: Gibt es weiterhin spezifische Maßnahmen oder Initiativen, um die Mitarbeiterbindung und das Engagement weiter zu stärken?

     

    Antwort: Es gibt eigentlich immer neue Bestrebungen. Beispielsweise haben wir durch die Schaffung eines Gremiums versucht, Mitarbeitende aus allen Lebensabschnitten und Positionen an internen Entscheidungen teilhaben zu lassen und ein Verantwortungsbewusstsein zu schaffen. Gerade aus dem Gremium heraus erhoffen wir uns Ideen, wie wir die Kanzlei stetig für alle verbessern können.

     

    Zudem wurde bei uns vor nicht allzu langer Zeit die Härting Academy eingeführt. Sie stellt eine Plattform dar, in der alle ‒ von Studenten bis Partnern ‒ ihr Wissen teilen können und zu interessanten Diskussionen in der Rechtswissenschaft, zum Jura-Studium oder zu aktuellen Gesetzesneuerungen und Urteilen anregen sollen. Wir wollen uns auf der Vier-Tage-Woche nicht ausruhen, sondern dynamisch, innovativ und letztlich auch attraktiv für bestehende oder zukünftige Mitarbeitende und Mandanten sein.

     

    Frage: Welche neuen Perspektiven haben sich während der verlängerten Testphase bezüglich der Auswirkungen der Vier-Tage-Woche auf die Produktivität und Effizienz ergeben?

     

    Antwort: Die Tendenz geht zu einer höheren Produktivität an den übrigen vier Arbeitstagen. Sicherlich mag auch eine höhere Moral durch das „verlängerte“ Wochenende dazu führen.

     

    Frage: Haben Sie während der verlängerten Testphase neues Feedback von Mandanten oder externen Partnern erhalten, das Ihre Sichtweise auf die Vier-Tage-Woche beeinflusst hat?

     

    Antwort: Das Feedback fällt hier nach wie vor sehr positiv aus. Natürlich erfordert der freie Freitag eine verbesserte Kommunikation innerhalb der Teams, gerade hinsichtlich dringlicher Angelegenheiten. Viele Mandanten schätzen sicherlich auch unseren Mut zur Innovation und sehen ihn als Anreiz, ähnliche Modelle auch in ihren Strukturen einzuführen.

     

    Frage: Wie haben sich inzwischen die Belastung und das Stresslevel Ihrer Mitarbeiter verändert, insbesondere in Bezug auf den Notdienst, Spitzenzeiten oder Deadlines?

     

    Antwort: Die Aus-/Belastung nimmt naturgemäß für alle Vollzeitkräfte zwischen Montag und Donnerstag etwas zu. Dafür sind die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aber durch die zusätzlich gewonnene Zeit auch erholter.

     

    Der Notdienst wurde recht schnell deutlich umstrukturiert und eine noch klarere Aufgabenverteilung festgelegt, sodass nicht am Freitag der Notdienst den „Rest der Woche“ aufholen muss, sondern wirklich nur für Notfälle zur Verfügung steht.

     

    In einem freien Beruf, wie dem Anwaltsberuf, lässt es sich nicht verhindern ‒ und es steht im Übrigen auch meist im direkten Verhältnis zur Berufswahl ‒, dass man seinen Mandaten auch hilft, wenn die normale Arbeitszeit eigentlich beendet ist. Besonderheiten lassen sich nicht planen. Hacker-Angriffe kommen z. B. meistens vor, wenn das Unternehmen es am wenigsten merkt, nämlich am Wochenende. Ähnlich verhält es sich bei besonders eiligen Rechtsangelegenheiten. Die etwaigen Peaks und Überlasten haben wir ‒ wie jeher ‒ mit „Ausgleichstagen“ oder ähnlichen Konstrukten abgefedert.

     

    Frage: Gibt es neue oder ergänzende Ideen, die Ihr Arbeitszeitmodell noch weiter verbessern könnten?

     

    Antwort: Mit Kommunikationstools versuchen wir unsere Kommunikation effizienter und zentralisierter zu gestalten. Der Notdienst oder Abstimmungen zu Meetings in Person erfordern eine einheitliche Kommunikation, die für alle zugänglich ist. Die Vier-Tage-Woche würde nicht ohne funktionieren.

     

    Frage: Inwiefern hat sich Ihrer Meinung nach der Aufwand für die Implementierung und Durchführung der Vier-Tage-Woche im Vergleich zu den erzielten Ergebnissen gelohnt?

     

    Antwort: Gelohnt hat es sich allemal. Die Umstellung war ein gewagter Schritt. Wir konnten ja nicht genau absehen, wie und in welchen Bereichen die Umstellung zu positiven oder negativen Veränderungen führen würde. Auch deshalb war es uns in der Partnerrunde wichtig, die Option offenzuhalten, auch wieder zur Fünf-Tage-Woche zurückkehren oder aber eben Anpassungen an dem Testmodell vornehmen zu können. Im Ergebnis können wir sagen: Die positiven Faktoren ‒ wie sie hier bereits erwähnt wurden ‒ überwiegen. Viele positive Veränderungen werden sich womöglich auch erst in Zukunft zeigen.

     

    Vielen Dank, Herr Konrad!

     

    Weiterführende Hinweise

    • Interview: „Feinheiten haben sich erst in der Testphase gezeigt ‒ deshalb haben wir jetzt noch kein Endergebnis.“, AK 23, 207
    • Teil 1: Arbeitsrechtlicher Check der Vier-Tage-Woche, AK 23, 139
    • Teil 2: Arbeitsrechtlicher Check der Vier-Tage-Woche, AK 23, 171
    • Abgesehen vom Arbeitsrecht: Die Herausforderungen einer Vier-Tage-Woche, unter iww.de/ak, Abruf-Nr. 49420970
    Quelle: Ausgabe 12 / 2024 | Seite 209 | ID 50083353