· Fachbeitrag · Interview
„Nachhaltigkeit beginnt bei der Mandatsauswahl“
| Klimaschutz geht alle Generationen an und Menschen aus allen Generationen setzen sich für Klimaschutz ein. Dennoch hat die Reduktion von Treibhausgasen das Potenzial, die Gesellschaft zu spalten ‒ in alt und jung, aktiv und passiv. Wie sehen Rechtsreferendare das Verhalten etablierter Anwälte? Julian Senders arbeitete nach dem ersten juristischen Staatsexamen als wissenschaftlicher Mitarbeiter in mehreren Kanzleien und bei der Stiftung Umweltenergierecht in Würzburg. Nun steht der Berliner vor dem zweiten Staatsexamen. Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) sprach mit ihm. |
Frage: Wie engagieren Sie sich für Klimaschutz?
Antwort: Privat setze ich mich in Berlin-Lichtenberg in einer lokalen Initiative für Verkehrsberuhigung ein. Als Mitglied der Lawyers4Future unterstütze ich NGOs und Initiativen bei einzelnen rechtlichen Fragen. Bei meiner Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Umweltenergierecht ‒ einer Forschungseinrichtung zum Recht der Erneuerbaren Energien ‒ ging es um verschiedene Aspekte der Energiewende, etwa um die Rechtsfragen des Netzausbaus. Zudem promoviere ich in klassischem Umweltrecht.
Frage: Wie schätzen Sie das Engagement Ihrer Branche zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit ein?
Antwort: Die Anwaltsbranche ist extrem divers. Das betrifft sowohl die Menschen und ihre Überzeugungen als auch die Kanzleigrößen und deren Ausrichtungen. In den letzten Jahren hat sich mit Blick auf den Klimaschutz eine Avantgarde an Juristinnen und Juristen hervorgetan, die strategisch vorgehen. Auch größere Kanzleien versuchen, den Klimaschutz ernst zu nehmen. Dieses Engagement muss man von Greenwashing abgrenzen. Gerade größere, international tätige Kanzleien schreiben sich Umweltschutz oft auf die Fahnen, sind aber auf größere und umsatzstarke Mandate angewiesen. Das bedeutet auch fossile Industrie.
Frage: Es scheint starke Beharrungskräfte zu geben. Wie erklären Sie sich das?
Antwort: Es liegt schon in der Natur des Jurastudiums und dem Recht als Machtinstrument, das feste Strukturen braucht. Jurastudierende sind im Schnitt konservativer als andere Studierende, sie denken regelbezogen. Kreativität ist zwar gefragt, bewegt sich aber immer in einem festen Rahmen, der dem Klimaschutz eher entgegenwirkt. So folgt das Bürgerliche Recht dem Leitgedanken des freien Individuums, das privatautonom handelt. Dahinter steht die Vorstellung vom freien Spiel der Kräfte ‒ ein kapitalistisches Narrativ der bürgerlichen Gesellschaft des späten 19. Jahrhunderts. Gleiches gilt für die Grundrechte: Jede Person ist frei, fossile und klimaschädliche Tätigkeiten auszuüben. Wer das zugunsten des Klimaschutzes einschränken möchte, muss dies begründen.
Frage: Wie gehen junge Menschen mit dem Rechtfertigungsdruck um?
Antwort: Rechtfertigungsdruck sind wir gewohnt. Wer ein Problem damit hat, auf neue Argumente schnell andere Argumente zu finden, ist als Juristin oder Jurist am falschen Platz. Ohnmachtsgefühle lassen sich vermeiden, indem man selbst aktiv wird und Selbstwirksamkeit erfährt. Das muss sich keineswegs auf die Kanzlei und den Beruf beschränken, sondern kann auch in einem Naturschutzverein oder in der Lokalpolitik geschehen. Es geht auch darum, kleine Dinge zu bewegen.
Frage: Welche Erwartungen haben Sie an Führungskräfte in Kanzleien?
Antwort: Idealerweise nehmen sie die Anliegen der Jüngeren ernst, auch wenn es um Klimaschutz im Kleinen geht. Doch kann eine Kanzlei noch so viel das Licht ausschalten und auf Plastik verzichten ‒ ihr tatsächlicher Klimaschutz-Impact liegt in den Mandantenstrukturen. Klimaschutz sollte bei den Mandanten beginnen. Das ist sehr kontrovers, denn natürlich hat jeder eine Rechtsberatung verdient. Nichtsdestotrotz stellt die Wahl der Mandanten die Weichen, ob eine Kanzlei und die einzelnen Anwältinnen und Anwälte auf der Seite des Klimaschutzes oder eher auf der Seite der fossilen Industrie stehen.
Frage: Wie können Studierende erkennen, wo mögliche Arbeitgeber stehen?
Antwort: Die Law Students for Climate Accountability ( www.ls4ca.org ) haben ein Klimaschutz-Ranking der großen Kanzleien aufgestellt. Dieses Ranking berücksichtigt die großen Mandate. Manche Großkanzlei, die ein berufliches Traumziel sein mag, entpuppt sich aus Sicht des Klimaschutzes als falsche Arbeitgeberin. Das Ranking zeigt aber eben auch, dass große Kanzleien durchaus gut abschneiden können.
Frage: Was tun Sie selbst, um Kollegen zu mehr Klimaschutz zu motivieren?
Antwort: Ich bin ein großer Verfechter ordnungsrechtlicher Maßnahmen, die sich nicht auf Anreize, Freiwilligkeit und Marktmechanismen beschränken, sondern klare Grenzen benennen. Es ist spannend und wichtig für meinen Realitätscheck, dass viele Gleichaltrige dies anders sehen. Es gibt also nicht nur die eigene „Bubble“ ‒ Kritik jeglichen individuellen Konsums liegt mir aber fern. Es bringt nichts, wenn wir uns über Flugreisen und Warmwasserverbrauch streiten. Denn ich bin davon überzeugt, dass übergeordnete Strukturen, wie Konzerne, Lobbyverbände, und rechtliche Rahmenbedingungen das Verhalten steuern. Dahinter steht Wachstumsdenken. So lange wir in diesem Denken verharren, sind wir beim Klimaschutz zu langsam. Schon heute haben wir in den Bergen kaum noch Schnee, es muss schneller gehen. Aus meiner Sicht muss die Politik die großen Player in die Pflicht nehmen. Das steht im Zusammenhang zu großen Kanzleien mit klimaschädlichen Mandaten. Wer sie nicht aus Überzeugung vertritt, muss sich fragen, ob es auch anders geht. In unseren Berufen sind wir näher an den Strukturen als viele andere Menschen.
Vielen Dank, Herr Senders!
Weiterführender Hinweis
- Fotoquelle: Manuel Reger, Waldbrunn