· Fachbeitrag · Klimaschutz
Die Drachen der Untätigkeit zähmen und damit das Klima schützen
von Wissenschaftsjournalistin Ursula Katthöfer, Bonn, textwiese.com
| Obwohl viele Rechtsanwälte längst erkannt haben, dass der Klimawandel und seine Folgen irreversible Schäden hervorrufen, ändern nur wenige Kanzleien klimaschädliches Verhalten. Warum ist das so? Was hält sie davon ab, CO 2 und CO 2 -Äquivalente einzusparen? Wie in vielen anderen gesellschaftlichen Gruppen sind neben strukturellen Hindernissen offenbar auch psychologische Hürden der Grund. Der Psychologe Prof. Dr. Robert Gifford bezeichnet diese als „Dragons of Inaction“, also Drachen der Untätigkeit. In seinem prominenten Werk ( doi.org/10.1037/a0023566 ) schildert er, warum uns insgesamt 36 Drachen ‒ eingeteilt in 7 Gruppen ‒ daran hindern, den Ausstoß von Treibhausgasemissionen zu stoppen. |
1. Die Drachen des begrenzten Denkvermögens
Menschen denken weniger rational als sie glauben. Das betrifft nicht nur den Klimawandel. Doch gerade dort macht sich Gifford zufolge bemerkbar, dass unser Gehirn sich zu einer Zeit entwickelte, als es weder Sesshaftigkeit noch Landwirtschaft, geschweige denn Industrie gab. Unser Gehirn reagiere daher eher auf unmittelbare Gefahren wie den Angriff durch den oft zitierten Säbelzahntiger als auf die allmählichen Klimaveränderungen. Unwissen sei ein zweiter Faktor. Selbst wer über die Folgen des Klimawandels informiert sei, wisse nicht, wie sich Treibhausgasemissionen effektiv reduzieren lassen. Es sei komplex, den CO2e-Fußabdruck z. B. einer Anwaltskanzlei zu erstellen. Eine weitere Quelle der Unsicherheit komme durch die Medien, die wissenschaftliche Inhalte möglichst verständlich verbreiten möchten und daher vereinfachen. Abstumpfung, Gewöhnungseffekte, mangelnde Selbstwirkung und die optimistische Einstellung, dass es schon nicht so schlimm werde, seien weitere Drachen unseres begrenzten Denkvermögens.
2. Die Drachen der Ideologie
Ideologien beschreibt Gifford wie einen breiten Schirm, unter dem sich Menschen sammeln und den sie ungern verlassen. Darunter seien Weltanschauungen wie der Glaube an einen ungezügelten Kapitalismus, der die Welt ausbeuten darf. Andere Menschen seien der Überzeugung, dass übermenschliche Kräfte wie Götter oder Mutter Natur uns die Verantwortung für den Klimawandel abnehmen. Eine weitere Ideologie basiere darauf, dass Techniken wie das Geoengineering die Klimaeffekte ausgleichen. Schließlich rechtfertige eine Ideologie, dass uns unser Komfort und unser Lifestyle zustehen.
3. Die Drachen des Vergleichs mit anderen
Gifford zufolge haben wir eine starke Tendenz, uns von Menschen beeinflussen zu lassen, die wir bewundern. Das eigene Sozialverhalten werde mit dem anderer Personen verglichen, um sich „korrekt“ zu verhalten ‒ selbst wenn es der Umwelt schadet. Soziale Normen und Unausgewogenheit sind ihm zufolge weitere Faktoren. So möchte niemand Energie sparen, wenn andere es nicht auch tun.
4. Die Drachen der unumkehrbaren Kosten
Investiert eine Kanzlei in einen Pkw mit Benzin- oder Dieselantrieb, zieht dies noch jahrelang Ausgaben für fossile Energien nach sich. Das klimaschädliche Verhalten wird laut Gifford jedoch nicht nur bei Investitionen zementiert. Auch Essgewohnheiten und Mobilitätsverhalten ließen sich nur sehr schwer ändern. Zielkonflikte seien ein besonders tückischer Drachen, wenn sich eigentlich positive Ziele nicht mit Umweltschutz vereinen lassen. Ein Beispiel ist die Flugreise: Ein persönliches Gespräch mag der Verteidigungsstrategie für einen Mandanten dienen, ist jedoch viel klimaschädlicher als eine Videokonferenz. Ein weiterer Punkt ist: Menschen, die sich einem Ort ‒ sei es Wohnort oder Arbeitsplatz ‒ nicht zugehörig fühlen, schätzen und schützen ihn auch nicht besonders.
5. Die Drachen der Missbilligung
Misstrauen, mangelndes Vertrauen in politische Programme, das Leugnen des Klimawandels, Widerstand gegen Umweltschutzaktionen und die grundsätzliche Tendenz, wissenschaftliche Erkenntnisse anzuzweifeln, fasst Gifford als Drachen der Missbilligung zusammen. Er zitiert Menschen, die überall Verschwörungen wittern. Für sie handele es sich beim Klimawandel wie schon bei der Mondlandung um Fake-News.
6. Die Drachen der wahrgenommenen Risiken
Gifford stellt fest, dass die Transformation für viele Menschen beängstigend ist. Wer sich dem Klimawandel stelle, habe viel zu verlieren ‒ so ihre Risikoeinschätzung. Typische Drachen sind demzufolge das fehlende Vertrauen in funktionale Techniken wie E-Mobilität oder die Angst vor körperlichen Gefahren: Wer Rad fährt, kann stürzen. Finanzielle, soziale und psychologische Risiken gehören ebenfalls dazu. Auch dass man Zeit in den Klimaschutz investieren müsse und an anderer Stelle etwas verpassen könnte, sei für manche Menschen riskant.
7. Die Drachen des begrenzten Handels
Schließlich formuliert Gifford zwei problematische Drachen derjenigen, die zwar etwas gegen die Erderwärmung unternehmen, aber eben nicht genug. Da sind zum einen die Maßnahmen mit Alibieffekt, die nicht wirklich etwas bewirken, und zum anderen der Reboundeffekt. Bei letzterem wird ein positiver Umweltschutzeffekt durch anschließendes Verhalten zunichte gemacht: Beispielsweise hat eine Kanzlei, die eine effizientere Heizung einbauen lässt, die Temperatur dann aber von durchschnittlich 20 auf 22° C erhöht, zwar sinkende Kosten, aber einen höheren CO2-Ausstoß.
Weiterführende hinweise
- web.uvic.ca/~esplab/