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  • · Fachbeitrag · Nachhaltigkeit in der Kanzlei

    Mit der Sanierung von Bestandsgebäuden wird der „ökologische Rucksack“ leichter

    von Ursula Katthöfer, Wissenschaftsjournalistin, Bonn

    | Das Gebäude altehrwürdig, die Kanzlei seit Jahrzehnten am Standort etabliert. Wenn da nicht der hohe Ressourcenverbrauch wäre, weil Dach, Fenster und Wände nicht gut gedämmt sind und die Ölheizung aus einer vergangenen Ära stammt. Um die Treibhausgasemissionen zu senken, hat eine Kanzlei wie diese mehrere Möglichkeiten. |

    1. Neubau oder Umzug sind keine generellen Optionen

    Neubaupläne dürften eher Großkanzleien vorbehalten sein, die z. B. mehrere Standorte zusammenlegen möchten und aus Gründen der Synergie den Campusgedanken pflegen. Doch mit Neubauten allein lassen sich die Klimaziele nicht erreichen.

     

    Auch ein Umzug ist nicht nur mit hohen Kosten, sondern mit viel Aufwand für Kanzlei und Mandanten verbunden. Zwar standen Ende 2023 in Deutschland 6 Mio. qm Bürofläche leer (+13,4 Prozent ggü. Vorjahr, iww.de/s10517). Doch dürften sich leer stehende Büros gerade in denjenigen Gebäuden befinden, die nicht nachhaltig sind. Zudem sind Mieten in attraktiven Lagen trotz der derzeit schwachen Konjunktur hoch. Frankfurt und München nehmen inzwischen Kurs auf 50 EUR pro qm bei den Spitzenmieten.

    2. Für eine energetische Sanierung braucht man Experten

    Bleibt die klima- und umweltfreundliche Sanierung der Bestandsbauten. Ein wirtschaftlich tragfähiges, klimafreundliches Umbaukonzept setzt sowohl rechtliche als auch technische Fachkenntnisse voraus:

     

    • Energie-, Eigentums- und Steuerrecht bringen regulatorische Hürden mit sich. Es ist daher sinnvoll, sich diesbezüglich an einen spezialisierten Unternehmens- oder Steuerberater zu wenden.

     

    • Für technische Aspekte sind Energieberater die Experten (iww.de/s10519). Sie sind i. d. R. Architekten, Ingenieure oder Handwerker, die sich zu energetischem Bauen fortgebildet haben. Sie können helfen, die Schwachstellen des Gebäudes aufzuspüren. So zeigt eine Wärmebildkamera mithilfe von Infrarotstrahlen, an welchen Fenstern und Türen besonders viel Wärme entweicht. Wer nicht gleich den kompletten Energiecheck machen lassen möchte, kann z. B. den Heizenergiebedarf oder den Isolierstatus des Gebäudes beurteilen lassen. Auch berechnen die Energieberater die Einsparpotenziale sowie die Investitionskosten. Sie können den Umbau begleiten und die einzelnen Handwerker koordinieren. Das Bundeswirtschaftsministerium übernimmt bis zu 80 Prozent der Kosten für die Energieberatung in Unternehmen (iww.de/s10518).

     

    MERKE | Klimaschutz rechnet sich für den Nutzer: Ein gut gedämmtes Gebäude mit eigener Photovoltaikanlage und klimaneutraler Heizung spart in Zukunft noch mehr Energiekosten als heute. Von 2027 an gilt der EU-Emissionshandel auch für Gebäude. Zudem steigen die CO2-Preise im Zertifikatshandel. Diese Entwicklung sollte in die Kalkulation für eine Modernisierung einbezogen werden.

     

    3. Das sind die Einsparpotenziale im Detail

    Jede Modernisierung oder Sanierung steigert den Wert der Immobilie und senkt die Nebenkosten. Die gemeinnützige Beratungsgesellschaft mbH co2online (iww.de/s10520) schätzt auf Basis ihrer Gebäudedatenbank, dass bei einem Musterhaus von 125 qm Fläche aus dem Baujahr 1983 mit einer Gasheizung

     

    • eine neue Heizungsanlage 17 %,
    • eine gedämmte Kellerdecke 5 %,
    • eine gedämmte Fassade 19 %,
    • ein ausgetauschtes Fenster 7 % und
    • eine Dämmung der obersten Geschossdecke 7 %

     

    der jeweiligen jährlichen, durchschnittlichen Energiekosten einsparen. Eine fossile Heizung auszutauschen, ist unbestrittenermaßen nachhaltig. Die Frage ist nur, welche neue Heizungsform sich für den zu sanierenden Altbau eignet. Die Luft-Wärme-Pumpe eignet sich nicht für alle Gebäude, auch Pellet- oder Infrarotheizungen gelten als klimafreundlich. Eine erste Orientierung gibt der Heizungswegweiser (iww.de/s10522).

     

    Weitere Potenziale liegen in eigenen PV-, Mini-PV- und Solarthermie-Anlagen. Im Idealfall wird der aus der PV-Anlage gewonnene Strom direkt über eine Wallbox in den Batterien der E-Fahrzeuge der Kanzlei gespeichert. Die Wallbox könnte auch für Mandanten zugänglich gemacht werden. Bleibt dennoch Strom übrig, kann er ins Netz eingespeist und vergütet werden. Seit dem 1.2.24 liegt die Einspeisevergütung bei 8,11 Cent pro Kilowattstunde bei Anlagen mit einer Leistung von weniger als 10 Kilowatt Peak (kWp). Für größere PV-Anlagen von 10 bis 40 kWp liegt sie bei 7,03 Cent pro kWh, so das Solaranlagenportal (iww.de/s10523).

     

    Beachten Sie | Gebäude können sogar zu CO2-Senkern werden, wenn biobasiertes Baumaterial genutzt wird. Dieses bindet Kohlenstoff. So speichert eine Tonne Holz 600 bis 800 kg CO2. Auch Naturfasern wie Seegras, Hanf und Flachs, die zur Dämmung genutzt werden, binden das Treibhausgas. In Italien wird bereits mit Beton experimentiert, der aus Spelzen und Halmen von Risottoreis produziert wird.

    4. Nachhaltiges Bauen soll das „neue Normal“ werden

    Die Initiative „Phase Nachhaltigkeit“ der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen und der Bundesarchitektenkammer nimmt den Gedanken der CO2-Senker aktiv auf (iww.de/s10524). Sie empfiehlt für eine gelungene Energiewende im Gebäudesektor ein neues Denken: „Jedes Gebäude, jeder Innen- und jeder Außenraum kann und muss einen aktiven Beitrag zu einer positiv gestalteten und nachhaltigen gebauten Umwelt liefern.“ So heißt es in der Deklaration Nachhaltigkeit der Initiative. Es geht um nicht weniger als einen Paradigmenwechsel bei der Planung von Gebäuden: Nachhaltiges Bauen und Sanieren soll das „neue Normal“ werden. Die Initiative hat mehrere Leitfäden zu Architektur und Innenarchitektur erstellt. Sie ordnet jedem Neu-, Aus- oder Umbau eine ganzheitliche Planung über: Noch bevor eine Kanzlei ihr neues Projekt startet, sollte sie sich über Ressourcenschutz, Mehrfachnutzung, CO2-Budget, gesundheitsfördernde Räume und zukunftsfähige Architektur Gedanken machen und Prioritäten setzen.

    5. „Lowtech vor Hightech“ ist ein neuer Ansatz

    Ein eher unbekannter Klimaschutz-Ansatz lautet Lowtech vor Hightech (vgl. iww.de/s10525). Dieser Ansatz kehrt den Gedanken um, dass Klimaschutz mit viel Gebäudetechnik verbunden sein muss. Denn je komplizierter Heiz-, Lüftungs- und Klimasysteme sind, desto fehleranfälliger und wartungsintensiver sind sie auch. Und wie Energiekosten in komplexen Systemen entstehen, wird schnell undurchschaubar: Weil Fenster nicht mehr zum Stoßlüften geöffnet werden können und die Luftfeuchtigkeit dementsprechend hoch ist, droht gesundheitsgefährdender Schimmel. Zudem hat jedes technische Gerät, das in ein Gebäude eingebaut wird, im Laufe seines Lebenszyklus bereits bei Produktion und Transport CO2-Emissionen verursacht. Architekten sprechen von einem „ökologischen Rucksack“.

     

    Lowtech setzt dem robuste und einfache Baukomponenten entgegen. Das Baumaterial ist vorzugsweise natürlich, die Technik beschränkt sich auf das Nötigste und ist selbsterklärend, die Konstruktion hält im Winter warm, lässt sich im Sommer kühl halten und nutzt das Tageslicht, wo immer es geht.

    6. Nachhaltigkeit im Bestand kann sogar Produktivität steigern

    Ohne komplett zu sanieren, lässt sich Nachhaltigkeit in bereits eingerichteten Räumen und Gebäuden erreichen, indem Details verändert werden. Umwelt- und Klimaschutz gehen dabei häufig mit mehr Produktivität Hand in Hand, was folgende Beispiele zeigen:

     

    • Natürliches Licht ist besser als Kunstlicht. Wer den ganzen Tag bei Kunstlicht arbeitet, leistet weniger als jemand, der Tageslicht hat. Grund ist die Farbtemperatur, gemessen in Kelvin. Bei Rechtshändern sollte das Fenster deshalb links vom Schreibtisch sein, bei Linkshändern umgekehrt. Ein Fenster hinter dem Bildschirm lässt die Augen ermüden. Ein Fenster im Rücken des Mitarbeitenden ist ebenfalls ungünstig, weil sich dann das Tageslicht im Bildschirm spiegelt.

     

    • Sharing-Angebote verhindern Leerstand, für den hohe Mieten gezahlt werden müssen. Weil Teilzeitkräfte sich einen Schreibtisch teilen oder Anwälte teils aus dem Homeoffice arbeiten und nur hin und wieder einen Arbeitsplatz brauchen, können Rollcontainer für jeden den Büroablauf strukturieren. Wer anwesend ist, schiebt sich seinen Container mit seinen persönlichen Dingen unter den allgemein zugänglichen Schreibtisch. Über Anbieter wie DeskFlex können Mitarbeiter sich ihren Bürotisch online reservieren (iww.de/s10526).

     

    • Wassersparende Armaturen in den WCs senken den Trinkwasserverbrauch. Schätzungen des Bundesbauministeriums zufolge verbrauchen Mitarbeitende täglich 20 bis 25 l Trinkwasser am Arbeitsplatz (iww.de/s10527). Nicht beliebt, aber durchaus energiesparend sind Handwaschbecken, die nur kaltes Wasser bereithalten. Wie hoch die Ersparnis ist, hängt davon ab, ob das Wasser mit Solarenergie, konventionellem Strom oder Gas erhitzt wird. 5-Liter-Untertischgeräte, die rund um die Uhr am Stromnetz hängen, sind sehr energieintensiv. Bei diesen Geräten sollte eine Schaltuhr eingesetzt werden, die das Gerät außerhalb der Kanzleizeiten abschaltet.

     

    • Begrünte Innen- und Außenräume sowie entsiegelte Außenflächen mit Sitzmöglichkeiten schaffen eine angenehme Atmosphäre. Das steigert die Aufenthaltsqualität und damit die Leistungsfähigkeit. Gestaltungsideen sind dabei keine Grenzen gesetzt (Kräuter oder Bienenweiden in Hochbeeten).

     

    • Wenn neue Möbel angeschafft werden, können diese umweltfreundlich sein. Öko-Einrichtungsgegenstände haben einen möglichst kleinen ökologischen Fußabdruck, weil Rohstoffe wie Holz, Schilf und Linoleum natürlich sind. Das Material sollte recycelbar, biologisch abbaubar und langlebiger sein. Möbel mit Ökozertifikat sind häufig aus Massivholz, das aus verantwortungsbewussten Quellen und nicht aus illegaler Urwaldrodung stammt. Die Transportwege sind kurz, die Arbeitsbedingungen fair.

    7. Finanzielle Förderung: Neues ab 2024

    Seit dem 1. 1.24 gilt das reformierte Gebäudeenergiegesetz (GEG) , im Volksmund auch Heizungsgesetz genannt (iww.de/s10528). Es soll das klimafreundliche Heizen fördern und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen reduzieren. Viel wurde darüber gestritten, an dieser Stelle nur eines: Die Grundförderung von 30 Prozent der Kosten soll es für alle geben, also Eigentümer, Vermieter und Unternehmen. Alle Anträge für den Austausch von Heizungen bearbeitet die KfW. Kanzleien als Unternehmen können die Heizungsförderung ab August 2024 beantragen (iww.de/s10529). Außerdem bietet die KfW im Zuge ihrer Mittelstandsförderung ein Programm zum Thema Energie und Umwelt an (iww.de/s10530).

     

    Das Bundesamt für Wirtschaft und Außenkontrolle (BAFA) hat ebenfalls mehrere Förderprogramme aufgelegt, u. a. um Nichtwohngebäude zu sanieren (iww.de/s10531). Auch die Bundesländer bieten finanzielle Fördermöglichkeiten. Zudem lohnt es sich, nach den Fördertöpfen in der eigenen Kommune zu schauen. Lokale Energieversorger unterstützen z. B. Wallboxen oder Mini-PV-Anlagen, die auf einem Garagendach oder am Balkon als sog. Balkonkraftwerk Platz haben. Einige Städte fördern sogar die Fassadenbegrünung, um an heißen Sommertagen für ein angenehmes Stadtklima zu sorgen.

    Quelle: Ausgabe 08 / 2024 | Seite 141 | ID 49950374