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  • 22.08.2023 · IWW-Abrufnummer 236956

    Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt: Beschluss vom 10.08.2023 – 5 Ta 65/22


    Tenor:

    Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Halle vom 02.05.2022 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 27.07.2022 - 6 Ca 1599/19 (PKH) - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

    Gründe

    A.

    Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung des ihr durch Beschluss des Arbeitsgerichts vom 25.10.2019 bewilligte Prozesskostenhilfe.

    Mit Beschluss vom 25.10.2019 hat das Arbeitsgericht der Klägerin Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und ihr Rechtsanwalt L... W... aus M... beigeordnet.

    Auf die sofortige Beschwerde der Bezirksrevisorin bei dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 20.01.2022 den PKH-Bewilligungsbeschluss vom 25.10.2019 dahingehend geändert, dass die von der Klägerin zu zahlende monatliche Rate auf 147,00 Euro festgesetzt wurde.

    Nachdem die Klägerin der Zahlungsaufforderung zur Zahlung der monatlichen Rate nicht nachgekommen ist, hat das Arbeitsgericht mit Verfügungen vom 15.04.2021 und vom 20.10.2021 Zahlungserinnerungen an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt. In den Zahlungserinnerungen hat das Arbeitsgericht die Klägerin darauf hingewiesen, dass die bewilligte Prozesskostenhilfe aufgehoben werden kann, wenn die durch das Gericht festgesetzten Raten nicht gezahlt werden. Auch die Zahlungsaufforderung vom 20.07.2020 wurde an den beigeordneten Rechtsanwalt zugestellt. Eine Übersendung an die Klägerin erfolgte nicht.

    Nachdem die Klägerin weiterhin keine Raten an die Landeskasse entrichtet hat, hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 02.05.2022 die der Klägerin durch Beschluss vom 25.10.2019 bewilligte Prozesskostenhilfe gemäß §§ 127 Abs. 1 Nr. 5 ZPO aufgehoben. Zum Zeitpunkt der Aufhebung der Prozesskostenhilfe war die Klägerin mit mindestens einer Rate länger als drei Monate im Rückstand.

    Der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 02.05.2022 wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 10.05.2022 zugestellt. Der Klägerin wurde der Beschluss am 09.05.2022 formlos zugesandt. Der Brief wurde von der Deutschen Post AG an das Arbeitsgericht Halle mit dem Vermerk "Empfänger/Firma unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln" zurückgesendet. Nachdem das Arbeitsgericht die aktuelle Anschrift der Klägerin ermittelt hat, hat das Arbeitsgericht den Beschluss vom 02.05.2022 am 08.06.2022 an die neue Anschrift der Klägerin übersandt.

    Mit Schreiben vom 27.06.2022, bei dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt am 30.06.2022 eingegangen, hat die Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Halle vom "09.05.2022" - gemeint war wohl der 02.05.2022 - Beschwerde eingelegt und begründete diese damit, dass sie die Zahlungsaufforderungen nicht erhalten habe und es ihr demzufolge nicht möglich war, Zahlungen zu leisten. Ein Kontakt zu ihrem Prozessbevollmächtigten habe nicht bestanden. Sie sei zudem bereit, die Ratenzahlungen zu leisten.

    Mit Beschluss vom 27.07.2022 hat das Arbeitsgericht der Beschwerde der Klägerin nicht abgeholfen und dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

    Mit Verfügung vom 02.11.2022 hat die Bezirksrevisorin bei dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt zu der sofortigen Beschwerde Stellung genommen. Die Bezirksrevisorin bei dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt hält die sofortige Beschwerde der Klägerin für unzulässig, da die Notfrist von einem Monat nach Zustellung an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht eingehalten wurde.

    B.

    I.

    Das Schreiben der Klägerin vom 27.06.2022 ist als sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Halle vom 02.05.2022 auszulegen. Es handelt sich um das gemäß §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsmittel.

    II.

    Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Mit ihrer bei dem Landesarbeitsgericht am 30.06.2022 eingelegten sofortigen Beschwerde hat die Klägerin die Notfrist von einem Monat nach § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht gewahrt.

    1.

    Die Frist von einem Monat begann mit Zustellung an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 10.05.2022 und endete mit Ablauf des 10.06.2022.

    Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die Zustellung an den für den Rechtszug bestellten Verfahrensbevollmächtigten und nicht an den Betroffenen selbst zu erfolgen. Eine gleichwohl an den anwaltlich vertretenen Betroffenen vorgenommene Zustellung ist wirkungslos und setzt Fristen nicht in Lauf. § 172 Abs. 1 ZPO findet sich im Titel 2 des Ersten Buches der ZPO "Allgemeine Vorschriften" und gilt damit für alle Zustellungen nach der ZPO und somit auch im Prozesskostenhilfeverfahren, das seinerseits in §§ 114 ff ZPO geregelt ist.

    Der Umfang der Prozessvollmacht richtet sich nach § 81 ZPO, der auch für das Prozesskostenhilfeverfahren gilt. Die Vollmacht erfasst danach auch "eine Wiederaufnahme des Verfahrens". Das Prozesskostenhilfeverfahren erstreckt sich deshalb auch auf die nachträgliche Überprüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe nach § 120 Abs. 4 ZPO und auf die Tatbestände für eine nachträgliche Aufhebung einer bereits bewilligten Prozesskostenhilfe nach § 124 ZPO (BAG 19.07.2006 - 3 AZB 18/06, juris, Rn. 9 bis 11; BGH 11.05.2016 VII ZP 582/15, juris, Rn. 7; Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Auflage, § 124 ZPO Rn. 9).

    2.

    Die von der Klägerin am 27.08.2019 unterzeichnete Prozessvollmacht ist auch nicht wirksam dahin beschränkt worden, dass die Vollmacht ein "eventuelles Überprüfungsverfahren nach Abschluss der Hauptsache" nicht umfasst.

    2.1.

    Die Klausel unter Ziffer 5 3. Absatz des Vollmachtformulars ist rechtsunwirksam.

    Es spricht schon einiges dafür, dass sich die Rechtsunwirksamkeit aus § 3 a Abs. 1 Satz 2 RVG ergibt, wonach Vergütungsvereinbarungen nicht in einem Vollmachtsformular enthalten sein dürfen. Die in dem von der Klägerin unterzeichneten Vollmachtsformular vorgesehene Beschränkung des Mandats könnte als indirekte "Vergütungsvereinbarung" ausgelegt werden, denn der Tätigkeitsumfang wird bei gleichbleibender Vergütungshöhe eingeschränkt (LAG Köln, 30.04.2019 - 1 Ta 17/19, juris, Rn. 5).

    Jedenfalls ergibt sich die Unwirksamkeit der Regelung aus § 305 c Abs. 1 BGB als überraschende Klausel sowie aus § 307 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB im Hinblick auf einen Verstoß gegen den Transparenzgrundsatz.

    a)

    Für die Gerichte besteht die Pflicht zur Klauselkontrolle von Amts wegen (EuGH, NJW 2009, 2367; Basedow in Münchner Kommentar BGB, 8. Auflage, vor 305 Rn. 47 ff).

    b)

    Die Regelung in Ziffer 5 des vorgedruckten Vollmachtformulars bezieht sich nicht auf die Ausgestaltung der Prozessvollmacht (§§ 80, 81 ZPO), sondern regelt den Umfang des anwaltlichen Geschäftsbesorgungsvertrages i. S. v. §§ 675, 611 BGB. Derartige vorformulierte Vertragsbedingungen für den Anwaltsvertrag stellen allgemeine Geschäftsbedingungen i. S. d. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB dar (LAG Köln 30.04.2019, 1 Ta 17/19, juris, Rn. 8).

    c)

    Die Beschränkung des Anwaltsmandats in Prozesskostenhilfeangelegenheiten im dritten Absatz der Ziffer 5 des Vollmachtsformulars ist ungewöhnlich und überraschend i.

    S. v. § 305 c Abs. 1 BGB. Der Vertragspartner des Verwenders braucht nicht mit einer solchen Vorschrift zu rechnen. Es besteht ein besonderes Interesse gerade einer Prozesskostenhilfepartei, dass das gesamte Prozesskostenhilfeverfahren in den Händen ihres Prozessbevollmächtigten zusammengeführt wird und dieser dadurch in die Lage versetzt wird, die Partei über den jeweiligen Stand des Verfahrens auf dem Laufenden zu halten und die notwendigen Schritte zu unternehmen. Diese Interessenlage ändert sich durch den Abschluss des Hauptverfahrens nicht. Eine Partei, die ihren Prozessbevollmächtigten für das Prozesskostenhilfeverfahren beauftragt hat, rechnet nicht damit, in diesem Verfahren selbst tätig werden zu müssen.

    d)

    Darüber hinaus ist die Klausel unter Ziffer 5 3. Absatz des Vollmachtsformulars auch intransparent i. S. d. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und führt dadurch zu einer unangemessenen Benachteiligung i. S. d. §§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Bereits bei der Formulierung "eventuelles Überprüfungsverfahren" ist nicht hinreichend klar, welche Verfahrensabschnitte bei dem PKH-Bewilligungsverfahren von der Vollmacht ausgenommen werden sollen. Ob dies auch die Tatbestände des § 124 ZPO erfassen soll, bleibt völlig unklar (vgl. LAG Köln 30.04.2019 - Ta 17/19, juris, Rn. 10 bis 13).

    2.2.

    Des Weiteren ist zu beachten, dass ein Anwalt, der ein Gesuch von Prozesskostenhilfe einreicht, im Zweifel als für das gesamte Verfahren bevollmächtigt anzusehen ist. Zu dem Rechtszug i. S. d. § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO gehört auch das Prozesskostenhilfe-Überprüfungsverfahren. Dies entspricht der berechtigten Erwartung der Partei, die nicht damit rechnet, in diesem Verfahren selbständig tätig werden zu müssen. Vielmehr geht sie davon aus, dass ihr Prozessbevollmächtigter sie informieren und beraten wird, wenn Handlungsbedarf besteht. Der Ausschluss einer auf das Hauptsacheverfahren beschränkten Beiordnung dient nicht nur dem Schutz der Staatskasse vor der Inanspruchnahme durch zwei Rechtsanwälte in derselben Angelegenheit, sondern auch dem gebotenen Schutz des Mandanten. Dies zeigt sich an den gesetzlichen Folgen der Beiordnung für die Begründung und die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Rechtsanwalt und Partei. Nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 BRAO hat der Rechtsanwalt im gerichtlichen Verfahren die Vertretung einer Partei zu übernehmen, wenn er gemäß § 121 ZPO beigeordnet ist. Die Beiordnung stellt einen öffentlich-rechtlichen Akt dar, der die Freiheit des Rechtsanwalts bei der Vertretung im gerichtlichen Verfahren über die Annahme eines Mandanten frei zu entscheiden, das öffentliche Interesse einschränkt. Die Beiordnung begründet für ihn die öffentlich-rechtliche Pflicht zum Abschluss des Vertretungsvertrages. Die Übernahme wird zur Berufspflicht, aufgrund derer sich der Rechtsanwalt seiner Mandantschaft im Umfang seiner Beiordnung zur Prozessvertretung zur Verfügung stellen muss. Er kann sich dieser Pflicht auch nicht ohne Weiteres entledigen. Die Aufhebung der Beiordnung kann vielmehr gemäß § 48 Abs. 2 BRAO nur durch das Gericht erfolgen, wenn wichtige Gründe dafür vorliegen. Soweit ein Rechtsanwalt die Prozessvollmacht privatrechtlich auf das Hauptsacheverfahren beschränkt und für das Überprüfungsverfahren ausgeschlossen wird, ist er zu einer Vertretung der Partei nicht i. S. d. § 121 ZPO bereit. Eine Beiordnung darf nicht erfolgen (LAG Köln 25.07.2019 - 9 Ta 101/19, juris; VG Dresden 21.01.2022 - 12 K 173519.A, juris; Dürbeck in: Prütting/Helms, FamFG, § 78 Beiordnung eines Rechtsanwaltes Rn. 3; andere Ansicht Brandenburgisches Oberlandesgericht 06.08.2021 - 15 WF 69/21, juris).

    C.

    Der Klägerin wird angeraten, hinsichtlich des an die Landeshauptkasse Sachsen-Anhalt zu zahlenden Betrages in Höhe von 1.186,74 Euro bei der Landeshauptkasse Sachsen-Anhalt einen Antrag auf Stundung oder Ratenzahlung zu stellen.

    D.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

    E.

    Gegen diese Entscheidung findet ein weiteres Rechtsmittel nicht statt. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 78 Satz 1, 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.

    Vorschriften§§ 127 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO, § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 172 Abs. 1 ZPO, §§ 114 ff ZPO, § 81 ZPO, § 120 Abs. 4 ZPO, § 124 ZPO, § 3 a Abs. 1 Satz 2 RVG, § 305 c Abs. 1 BGB, § 307 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB, §§ 80, 81 ZPO, §§ 675, 611 BGB, § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, §§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 48 Abs. 1 Nr. 1 BRAO, § 121 ZPO, § 48 Abs. 2 BRAO, § 97 Abs. 1 ZPO, §§ 78 Satz 1, 72 Abs. 2 ArbGG