Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Prozesstaktik

    Der frühe Vogel … verscherzt sich die Entschädigung

    | Gegen ein überlanges Verfahren kann sich eine Partei mit einer Verzögerungsrüge wehren. Wer wegen der langen Wartezeit später eine Entschädigung einklagt, muss zuvor auch zwingend gerügt haben (§ 198 Abs. 5 GVG). Aber Vorsicht: Eine zu frühe Rüge ist nicht wirksam, und zwar auch dann nicht, wenn das Verfahren später tatsächlich zu lange dauert, so das OVG Berlin-Brandenburg (20.9.18, OVG 3 A 3.18, Abruf-Nr. 205334 ).

    1. Entschädigung nicht sofort einklagbar

    Wer gerügt hat und später klageweise eine Entschädigung geltend machen will, muss zentrale Fristen berücksichtigen.

     

     

    Für die Verzögerungsrüge selbst gelten keine konkreten Fristen, wie lange das Verfahren zuvor dauern muss, damit die Rüge gerechtfertigt ist. Gemäß § 198 Abs. 3 S. 2 GVG ist zu berücksichtigen, dass ein Anlass zur Besorgnis bestehen muss, dass das Verfahren nicht binnen angemessener Zeit abgeschlossen wird. Dies ist der Fall, wenn ein Betroffener erstmals Anhaltspunkte dafür hat, dass das Verfahren keinen angemessen zügigen Fortgang nimmt.

     

    Im vorliegenden Fall (Entzug der Fahrerlaubnis) entschied das OVG, dass eine Dauer von jeweils 6 Wochen nach Eingang des Verwaltungsvorgangs bzw. der Beschwerdebegründung auch für ein Eilverfahren nicht unangemessen lang sei. Als die Rüge erhoben wurde, war das Eilverfahren mit der Beschwerdeentscheidung seit 6 Wochen abgeschlossen.

    2. Wann dauert ein Verfahren zu lange?

    Ob ein Gerichtsverfahren unangemessen lange i. S. von § 198 Abs. 1 S. 1 GVG dauert, hängt vom konkreten Einzelfall ab. Vor allem Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter sind entscheidende Kriterien (§ 198 Abs. 1 S. 2 GVG). Dabei gibt es keine allgemeingültigen oder statistisch ermittelbaren Vorgaben (vgl. BVerwG 11.7.13, 5 C 23.12 D). Ist eine Verzögerungsrüge verfrüht erhoben, ist sie unbeachtlich, sodass eine Entschädigungsklage hierauf nicht gestützt werden kann. Eine verfrühte Rüge wird auch nicht „rückwirkend“ wirksam, wenn das Verfahren im weiteren Verlauf dann doch noch unangemessen lange dauert.

     

    Bezüglich einer Verzögerungsrüge im Maßregelvollzugsverfahren nach §§ 109 ff., 130 StVollzG entschied das OLG Karlsruhe, dass der Rüge keine unmittelbare materielle oder prozessuale Bedeutung zukommt (11.6.18, 2 Ws 127/18, Abruf-Nr. 205333). Daher besteht weder eine Bescheidungs- noch eine Äußerungspflicht. Die Entscheidung obliegt allein dem Entschädigungsgericht. Im Straf- bzw. Maßregelvollzugsverfahren werde, anders als von Amts wegen im Strafverfahren nach der Vollstreckungslösung grundsätzlich keine Verfahrensverzögerung festgestellt oder kompensiert.

     

    Besonders in sozialgerichtlichen Auseinandersetzungen kommt es regelmäßig zu der Frage, ab wann eine unangemessene Verfahrensdauer vorliegt. So bestätigte kürzlich das LSG Hessen (1.8.18, L 6 SF 2/18 EK SB, Abruf-Nr. 205332), dass dem SG in durchschnittlich schwierigen und bedeutenden Verfahren eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu 12 Monaten einzuräumen ist. Das gilt nach der BSG-Rechtsprechung für jede Instanz (BSG 15.5.15, B 10 ÜG 8/14 R). Zwar kann das Gericht gezwungen sein, bei grundsätzlichen Rechtsfragen intensiv Fachliteratur auszuwerten, sofern keine höchstrichterliche Rechtsprechung existiert. Dies kann aber nur in seltenen Ausnahmen eine mehrmonatige Verzögerung rechtfertigen, etwa wenn über mehrere komplexe Rechtsfragen gleichzeitig zu entscheiden ist (LSG Hessen, a. a. O.)

     

    Wird beurteilt, ob eine angemessene Verfahrensdauer vorliegt, kann nicht darauf abgestellt werden, ob das Gericht chronisch überlastet ist, längere Rückstände bestehen oder eine allgemein angespannte Personalsituation vorliegt. Ob für die überlange Verfahrensdauer eine Säumnis des Gerichts oder ein strukturelles Problem ursächlich ist, auf das der Bearbeiter keinen Einfluss hat, spielt keine Rolle (Hessischer VGH 22.3.18, 29 C 779/17.E).

     

    Weiterführende Hinweise

    • Auf Entschädigung klagen: Ohne Anwalt geht es nicht ... AK 17, 183
    • Abgelehnter Richter darf über Befangenheitsantrag selbst entscheiden, wenn..., AK 17, 112
    • Verzinsung bei überlangem Kostenfestsetzungsverfahren, AK 17, 75
    Quelle: Ausgabe 12 / 2018 | Seite 214 | ID 45523213