· Fachbeitrag · Coronakrise
Auswirkungen der Umsatzsteuersenkung zum 1.7.20 (Teil 1): Teilleistungen und Fälligkeit
von Dipl.-Rechtspfleger Peter Mock, Koblenz
| Die Bundesregierung hat zur Konjunkturbelebung beschlossen, die Mehrwertsteuer befristet vom 1.7. bis zum 31.12.20 zu senken: Beim Regelsteuersatz gelten für alle bis zum 30.6.20 ausgeführten Umsätze 19 Prozent USt weiter; für alle vom 1.7.20 bis 31.12.20 ausgeführten Leistungen gilt ein Regelsteuersatz von 16 Prozent und ab dem 1.1.21 soll wieder der (alte) Regelsteuersatz gelten. Beim ermäßigten Steuersatz (§ 12 Abs. 2 UStG) gelten für alle bis zum 30.6.20 ausgeführten Umsätze 7 Prozent. Für alle in der Zeit vom 1.7.20 bis 31.12.20 ausgeführten Leistungen gilt ein ermäßigter Steuersatz von 5 Prozent und ab dem 1.1.21 wieder der (alte) ermäßigte Steuersatz. Was bedeutet das für die Leistungen des Rechtsanwalts? |
1. Grundsatz: Leistungserbringung ist entscheidend
Die Tätigkeit des Rechtsanwalts unterliegt in der Regel ‒ von wenigen Ausnahmen, z. B. bei Kleinunternehmertätigkeit (§ 19 UStG), abgesehen ‒ der Umsatzsteuer, da der Anwalt gegenüber seinem Auftraggeber eine sonstige Leistung i. S. v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1, § 3 Abs. 9 UStG erbringt.
Beachten Sie | Für die Anwendung des neuen Steuersatzes kommt es weder auf den Tag der Auftragserteilung, der Rechnungsstellung oder des Zahlungseingangs an. Maßgeblich ist allein der Zeitpunkt der tatsächlichen Leistungserbringung (§ 13 Abs. 1 Nr. 1a UStG). Das gilt auch für Teilleistungen (§ 13 Abs. 1 Nr. 1a S. 2 UStG). Da es sich bei der anwaltlichen Tätigkeit i. d. R. um eine Dauertätigkeit handelt, ist die Leistung erst bei Mandatsende erbracht. Folge: Ändert sich der Umsatzsteuersatz während der Dauer eines Mandats, kann sich dies auf die spätere Abrechnung auswirken.
2. Fälligkeit der anwaltlichen Vergütung
Für den Steuersatz nach § 13 Abs. 1 Nr. 1a UStG ist der Zeitpunkt der Leistungsausführung maßgeblich. Anknüpfungspunkt ist die Fälligkeit der anwaltlichen Vergütung (OLG Koblenz AGS 07, 302). Sie wird nach § 8 Abs. 1 RVG fällig, wenn der Auftrag erledigt oder die Angelegenheit beendet ist. Ist der Rechtsanwalt in einem gerichtlichen Verfahren tätig, wird die Vergütung auch fällig, wenn eine Kostenentscheidung ergangen oder der Rechtszug beendet ist oder wenn das Verfahren länger als drei Monate ruht. Die Fälligkeit der anwaltlichen Vergütung tritt auch mit dem Abschluss eines Vergleichs ein. Die sich anschließende Streitwert- und Kostenfestsetzung ändert an diesem Zeitpunkt nichts.
MERKE | Fällt also die Auftragserledigung, die Beendigung der Angelegenheit oder des prozessualen Rechtszugs ‒ z. B. durch Urteilsverkündung, Vergleichsabschluss, Klage-, Anklage- oder Rechtsmittelrücknahme ‒ in den Zeitraum nach dem 1.7.20, wird die Vergütung erst dann fällig. Damit ist die anwaltliche Leistung erbracht und es ist der neue Steuersatz von 16 Prozent anzusetzen. Ist die Erledigung oder Beendigung noch vor dem 1.7.20 erfolgt, gilt der alte Umsatzsteuersatz. |
3. Einheitlicher Steuersatz bei Vorliegen einer Angelegenheit
Ein einheitlicher Steuersatz gilt, wenn gebührenrechtlich nur eine Angelegenheit i. S. d. § 15 Abs. 2 RVG vorliegt. Wenn also eine Auftragserledigung, die Beendigung der Angelegenheit oder des prozessualen Rechtszugs vor dem 1.7.20 vorliegt, ergibt sich ein Steuersatz von 19 Prozent. Ist dies dagegen erst danach erfolgt, beträgt der Steuersatz 16 Prozent.
Beachten Sie | Es ist unerheblich, wann innerhalb der Angelegenheit eine Gebühr entstanden ist.
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Im März 20 reicht Rechtsanwalt R auftragsgemäß Klage über 100.000 EUR ein. Im Oktober 20 wird mündlich verhandelt und es ergeht anschließend ein Urteil.
Lösung Die 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG ist durch Klageeinreichung im März entstanden, die 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG erst im Oktober. Es ist unzulässig, die Verfahrensgebühr mit 19 Prozent USt und die Terminsgebühr mit 16 Prozent zu berechnen; da die Angelegenheit erst mit Urteilsverkündung im Oktober beendet ist, gilt einheitlich der Steuersatz von 16 Prozent. |
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Im März 20 wird Rechtsanwalt R damit beauftragt, den Mandanten M in einer zivilrechtlichen Angelegenheit zu vertreten. Nach mehrfachem Schriftwechsel mit Gegner G kommt es im Juni 20 zu einer außergerichtlichen Einigung.
Lösung Da sich die Angelegenheit vor dem 1.7.20 erledigt hat, beträgt der Steuersatz hier 19 Prozent. |
a) Besonderheit: Vergleich vor Änderungsstichtag, Berichtigung danach
Ist ein gerichtliches Verfahren durch einen vor dem 30.6.20 festgestellten Vergleich beendet worden, bleibt es auch dann bei der 19-prozentigen Umsatzsteuer für die anwaltliche Vergütung, wenn nach dem Stichtag eine Berichtigungsentscheidung nach § 564 ZPO oder § 319 ZPO ergeht (OLG Koblenz, a. a. O.).
Beachten Sie | Eine Berichtigungsentscheidung ändert an der Fälligkeit der Vergütung und an dem bis dahin geltenden Umsatzsteuersatz nichts. Vielmehr wirkt die bindende Berichtigung auf den Zeitpunkt des Erlasses der berichtigten Entscheidung zurück. Diese ist so behandeln, als habe sie von vornherein in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses bestanden. Wegen dieser Wirkung ist der Zeitpunkt des Berichtigungsbeschlusses für den geltend gemachten Anfall der erhöhten Umsatzsteuer ohne Belang.
b) Teilleistungen
Eine Teilleistung i. S. v. § 13 Abs. 1 Nr. 1a S. 2 UStG liegt vor, wenn für bestimmte Teile einer wirtschaftlich teilbaren Leistung das Entgelt gesondert vereinbart wird (§ 13 Abs. 1 Nr. 1a S. 3 UStG).
MERKE | Teilleistungen und damit Teilfälligkeiten spielen eine Rolle bei eigenständigen gebührenrechtlichen Angelegenheiten i. S. v. § 15 Abs. 2 RVG, Kostenentscheidungen und der Beendigung des Rechtszugs bzw. länger als drei Monate ruhenden Verfahren (§ 8 Abs. 1 S. 2 RVG). Änderungen des Umsatzsteuersatzes während des laufenden Mandats sind daher unbeachtlich, soweit Teilleistungen noch vor der Neuregelung vorgenommen werden. Zu unterscheiden sind Teilleistungen bei verschiedenen gebührenrechtlichen Angelegenheiten und solche innerhalb einer Angelegenheit. |
aa) Teilleistungen bei verschiedenen Angelegenheiten
Bei verschiedenen gebührenrechtlichen Angelegenheiten ist stets auf deren jeweilige Beendigung abzustellen.
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Am 14.4.20 erhält Rechtsanwalt R von M den Auftrag, das Mahnverfahren gegen Gegner G einzuleiten. Nachdem das Gericht einen VB erlassen hat, legt G dagegen am 25.6.20 fristgerecht Einspruch ein. Auftragsgemäß erhebt R am 9.7.20 Klage.
Lösung Auf die Vergütung für das Mahnverfahren beträgt der Umsatzsteuersatz 19 Prozent, bei der Vergütung für das Hauptsacheverfahren 16 Prozent. Es liegen hier zwei verschiedene Angelegenheiten vor (vgl. § 17 Nr. 2 RVG). |
PRAXISTIPP | Dasselbe gilt für den Fall eines bedingten Prozessauftrags, z. B. wenn der Anwalt zunächst außergerichtlich, später dann gerichtlich tätig wird. Steuerrechtlich handelt es sich hier ebenfalls um Teilleistungen. Die Umsatzsteuer entsteht mit der Ausführung der jeweiligen Teilleistung. |
bb) Teilleistungen innerhalb einer Angelegenheit
Trotz einer gebührenrechtlichen Angelegenheit kann es zu Teilfälligkeiten und zu Teilleistungen kommen, die ggf. unterschiedlich zu versteuern sind.
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Gegen ein am 5.6.20 ergangenes VU über 10.000 EUR legt der Beklagte B fristgerecht am 7.6.20 Einspruch ein. Über den Einspruch wird im September mündlich verhandelt; der Einspruch wird als unbegründet verworfen.
Lösung Mit Erlass des VU ist eine Kostenentscheidung ergangen, sodass die angefallenen Gebühren nach § 8 Abs. 1 S. 2 RVG fällig werden und ein Steuersatz von 19 Prozent entsteht. Nach Beendigung des Rechtszugs durch Endurteil muss die Schlussrechnung erfolgen und 16 Prozent Umsatzsteuer ausweisen. Der bereits gezahlte Nettobetrag ist abzuziehen und ein Überschuss an den Mandanten zu erstatten. | ||
Abrechnung bis zum VU | ||
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG aus 10.000 EUR | 725,40 EUR | |
0,5-Terminsgebühr, Nr. 3104, 3105 VV RVG aus 10.000 EUR | 279,00 EUR | |
Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 1.024,40 EUR | |
19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 194,63 EUR | |
1.219,03 EUR | ||
Schlussabrechnung | ||
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG aus 10.000 EUR | 725,40 EUR | |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104, 3105 VV RVG aus 10.000 EUR | 669,60 EUR | |
Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 1415,00 EUR | |
16 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 226,40 EUR | |
1641,40 EUR | ||
abzgl. gezahlt netto | 1024,40 EUR | |
Summe (nicht an Mandanten auszuzahlen) | 617,00 EUR |
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Mandant M beauftragt Rechtsanwalt R im Februar im Ermittlungsverfahren. Die Staatsanwaltschaft beantragt einen Strafbefehl, der im Juni erlassen wird. Hiergegen legt R Einspruch ein. Im November ergeht in der Hauptverhandlung ein Urteil.
Lösung Das Ermittlungsverfahren und das nachfolgende Hauptsacheverfahren sind gebührenrechtlich verschiede Angelegenheiten (§ 17 Nr. 10 RVG); gemäß § 464 StPO enthält der Strafbefehl eine Kostenentscheidung. Die bis dahin angefallene Vergütung wird daher fällig (§ 8 Abs. 1 S. 2 RVG) und ist mit 19 Prozent zu versteuern. Das Hauptsacheverfahren ist mit 16 Prozent zu versteuern. | ||
Abrechnung Vorbereitendes Verfahren (Mittelgebühren) | ||
Grundgebühr, Nr. 4100 VV RVG | 200,00 EUR | |
Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV RVG | 165,00 EUR | |
Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 385,00 EUR | |
19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 73,15 EUR | |
458,15 EUR | ||
Abrechnung Verfahren AG bis Strafbefehl (Mittelgebühren) | ||
Verfahrensgebühr, Nr. 4106 VV RVG | 165,00 EUR | |
Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 185,00 EUR | |
19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 35,15 EUR | |
220,15 EUR | ||
Hauptverfahren (Schlussabrechnung) | ||
Verfahrensgebühr, Nr. 4106 VV RVG | 165,00 EUR | |
Terminsgebühr, Nr. 4108 VV RVG | 275,00 EUR | |
Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR | |
abzgl. gezahlt netto | 185,00 EUR | |
Zwischensumme | 275,00 EUR | |
16 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 44,00 EUR | |
319,00 EUR |