· Fachbeitrag · §§ 62ff. EStG
Kindergeldanspruch für ein im EU-Ausland lebendes Kind
| Einem in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen polnischen Staatsbürger steht Kindergeld für ein bei der Mutter im polnischen Familienhaushalt lebendes Kind zu. Voraussetzung ist jedoch, dass den Eltern für das Kind in Polen aufgrund des Überschreitens der Einkommensgrenzen kein Kindergeld zusteht. |
Entscheidungsgründe
Im Streitfall war die seit Mai 2010 ‒ und damit im Streitzeitraum ‒ geltende Verordnung VO Nr. 883/2004 i. V. m. der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO Nr. 987/2009) anzuwenden. Ist der persönliche und sachliche Geltungsbereich der VO Nr. 883/2004 eröffnet, dann richtet sich die Kindergeldberechtigung nach den §§ 62 ff. EStG und der Anspruchskonkurrenz zwischen dem deutschen Kindergeldanspruch und der ausländischen Familienleistung nach Art. 68 der VO Nr. 883/2004. Diese Prioritätsregelung ist gegenüber § 65 EStG grundsätzlich vorrangig.
Der Anwendungsbereich der VO Nr. 883/2004 war im Streitfall eröffnet. Denn der Anspruchsberechtigte ist Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union (EU) und fällt damit nach Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 in den persönlichen Anwendungsbereich der Grundverordnung. Ebenso ist das Kindergeld nach dem EStG eine Familienleistung i. S. d. Art. 1 Buchst. z der VO Nr. 883/2004, weshalb auch deren sachlicher Anwendungsbereich nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. j der VO Nr. 883/2004 eröffnet war.
Der in den Monaten Januar bis April 2015 nicht erwerbstätige Anspruchsberechtigte unterlag nach Art. 11 Abs. 1, Abs. 3 Buchst. e der VO Nr. 883/2004 aufgrund seines Wohnsitzes in Deutschland den deutschen Rechtsvorschriften und die nicht erwerbstätige Kindesmutter unterlag in dem EU-Land Polen gem. Art. 11 Abs. 1, Abs. 3 Buchst. e der VO Nr. 883/2004 dessen Rechtsvorschriften.
Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, gilt Art. 68 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004. Die Vorschrift unterscheidet den vorrangig zuständigen Staat, der ohne Weiteres uneingeschränkt Kindergeld zu gewähren hat (Art. 60 Abs. 2 der VO Nr. 987/2009) vom nachrangig zuständigen Staat, in dem die Ansprüche auf Familienleistungen ausgesetzt werden, und zwar bis zur Höhe der vom vorrangig zuständigen Staat vorgesehenen Leistungen (Art. 68 Abs. 2 der VO Nr. 883/2004).
Gemäß Art. 68 Abs. 2 Satz 1 der VO Nr. 883/2004 werden bei Zusammentreffen von Ansprüchen die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Art. 68 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 Vorrang haben. Im Streitfall trafen die Ansprüche des Anspruchsberechtigten nach deutschem Recht und die Ansprüche nach polnischem Recht für dasselbe Kind und denselben Zeitraum aufeinander.
Zwar wäre ein Anspruch der Kindesmutter auf polnisches Kindergeld gem. Art. 68 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 Satz 3 der VO Nr. 883/2004 grundsätzlich vorrangig. Für die Annahme einer Kumulierung genügt es jedoch nicht, dass potenziell ein Anspruch in dem Staat besteht, in dem das Kind seinen Wohnsitz hat, faktisch das Kindergeld aber nicht bezogen wird, weil wie im Streitfall, die Einkommensgrenze für polnisches Kindergeld überschritten ist. Vielmehr ist Art. 68 der VO Nr. 883/2004 im Streitfall nicht anwendbar, da die Kindesmutter für die Monate Januar bis April 2015 kein Kindergeld bezogen hatte und daher faktisch keine Kumulierung der Ansprüche vorlag. Denn ausweislich der Bescheinigung des polnischen Gemeindezentrums für Sozialhilfe stand der Kindesmutter kein polnisches Kindergeld zu, da die Einkommensgrenze überschritten war.
Fundstelle
- FG Köln 15.11.18, 14 K 2164/17, Rev. BFH III R 27/19, iww.de/astw, Abruf-Nr. 214594