18.02.2014 · IWW-Abrufnummer 171381
Bundesarbeitsgericht: Urteil vom 12.11.2013 – 9 AZR 551/12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In Sachen Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin, pp. Klägerin, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte, hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. November 2013 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Brühler, die Richter am Bundesarbeitsgericht Krasshöfer und Dr. Suckow sowie die ehrenamtliche Richterin Neumann und den ehrenamtlichen Richter Dipper für Recht erkannt: Tenor: 1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 31. Januar 2012 - 11 Sa 739/10 - aufgehoben. 2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 29. April 2010 - 7 Ca 4601/09 - abgeändert: Die Klage wird abgewiesen. 3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Von Rechts wegen! Tatbestand: Die Klägerin begehrt von der Beklagten, ihr zwölf Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub aus dem Jahr 2008 nach dem Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen zu gewähren. Die 1971 geborene Klägerin, die ihre Arbeitsleistung an sechs Tagen in der Woche erbringt, ist bei der Beklagten respektive deren Rechtsvorgängerin seit dem 17. März 2003 als Verkäuferin beschäftigt. Der Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 25. Juli 2008 (MTV), der kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet, enthielt in der für die Jahre 2008 und 2009 maßgeblichen Fassung ua. folgende Regelungen: "§ 15 Urlaub ... (2) Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr. Maßgebend für die Urlaubsdauer ist das Lebensalter bei Beginn des Kalenderjahres. (3) Der Urlaub beträgt je Kalenderjahr ... nach dem vollendeten 30. Lebensjahr|36 Werktage. ... (7) Der Urlaub ist möglichst im laufenden Kalenderjahr zu gewähren und zu nehmen. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. ... (8) Im Falle der Übertragung muss der Urlaub in den ersten 4 Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden. ... (12) Wird der Arbeitnehmer während des Urlaubs arbeitsunfähig krank, so ist er verpflichtet, dem Arbeitgeber von seiner Erkrankung durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung unverzüglich Kenntnis zu geben. Die in die Zeit der Erkrankung fallenden Urlaubstage gelten in diesem Falle als nicht genommen. ..." Von März 2008 bis Mitte Mai 2009 war die Klägerin durchgehend arbeitsunfähig krank. Während der sich daran anschließenden Wiedereingliederung beantragte die Klägerin ua., ihr zwölf Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub für das Jahr 2008 zu gewähren. Die Beklagte teilte ihr mit, sie solle den Urlaub im Anschluss an die Wiedereingliederungsmaßnahme ab dem 11. Juni 2009 nehmen. In der Folgezeit widerrief die Beklagte die Urlaubsgewährung. Mit Schreiben vom 30. Juli 2009 verlangte die Klägerin von der Beklagten ohne Erfolg, ihrem Arbeitszeitkonto ua. zwölf Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub aus dem Jahr 2008 gutzuschreiben. Die Klägerin hat die Rechtsauffassung vertreten, sie habe Anspruch auf zwölf Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub aus dem Jahr 2008. § 15 MTV enthalte keine vom BUrlG abweichenden Befristungs- und Verfallsregelungen. Der Klägerin hat sinngemäß beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihr für das Jahr 2008 weitere zwölf Urlaubstage zu gewähren. Die Beklagte hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, der tarifliche Mehrurlaub sei gemäß § 15 Abs. 8 MTV verfallen. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der von dem Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel, die Abweisung der Klage, weiter. Entscheidungsgründe: Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das klagestattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen. Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte ist weder verpflichtet, der Klägerin tariflichen Mehrurlaub aus dem Jahr 2008 zu gewähren, noch, ihr Schadensersatz in Form von Ersatzurlaub zu leisten. I. Die Klägerin erwarb zu Beginn des Jahres 2008 einen Anspruch auf zwölf Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub (§ 15 Abs. 3 MTV iVm. § 3 BUrlG), der aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit in das Jahr 2009 übertragen wurde (§ 15 Abs. 7 Satz 2 MTV). Die Revision rügt zu Recht, dass dieser Anspruch ungeachtet der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin am 30. April 2009 verfallen ist (§ 15 Abs. 8 MTV). Die Tarifbestimmung des § 15 Abs. 8 MTV ist insoweit wirksam, als sie einen Verfall des Mehrurlaubs am 30. April des auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres vorsieht. 1. Die unionsrechtlichen Vorgaben, die der Senat zum Anlass genommen hat, § 7 Abs. 3 BUrlG fortzubilden, betreffen ausschließlich den gesetzlichen Urlaubsanspruch von vier Wochen. Die Tarifvertragsparteien können Urlaubsansprüche, die darüber hinausgehen, frei regeln (vgl. EuGH 3. Mai 2012 - C-337/10 - [Neidel] Rn. 34 ff. mwN). Ihre Regelungsmacht schließt die Befristung des Mehrurlaubs ein. Unionsrecht steht einem tariflich angeordneten Verfall des Mehrurlaubs nicht entgegen (BAG 22. Mai 2012 - 9 AZR 575/10 - Rn. 10). Eine Vorlage an den EuGH zwecks Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV ist deshalb nicht erforderlich. 2. Für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, den tariflichen Mehrurlaub einem eigenen, von dem des gesetzlichen Urlaubs abweichenden Fristenregime zu unterstellen, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem "Gleichlauf" des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub auszugehen. Ein "Gleichlauf" ist nicht gewollt, wenn die Tarifvertragsparteien entweder bei der Befristung und Übertragung oder beim Verfall des Urlaubs zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub unterschieden oder sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige, vom BUrlG abweichende Regelungen zur Befristung und Übertragung oder zum Verfall des Urlaubsanspruchs getroffen haben (BAG 22. Mai 2012 - 9 AZR 575/10 - Rn. 12). 3. Die Parteien des MTV haben sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige, vom BUrlG abweichende Regelungen zur Übertragung und zum Verfall des Urlaubsanspruchs getroffen. Nach der Urlaubskonzeption des MTV soll der Arbeitnehmer das Risiko tragen, dass der Anspruch auf Mehrurlaub infolge Arbeitsunfähigkeit nicht erfüllbar ist. Dies folgt aus § 15 Abs. 8 MTV, demzufolge der Urlaub im Falle der Übertragung in den ersten vier Monaten des folgenden Kalenderjahres zu gewähren und zu nehmen ist. Hierin weicht der MTV von der gesetzlichen Regelung in § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG ab, die lediglich einen Übertragungszeitraum von drei Monaten vorsieht. 4. Unerheblich ist, dass die eigenständige Tarifregelung im Hinblick auf den gesetzlichen Mindesturlaub unwirksam ist (§ 13 Abs. 1 Satz 1, § 1 BUrlG iVm. § 134 BGB). Für den vom gesetzlichen Urlaub abtrennbaren Teil der einheitlich geregelten Gesamturlaubsdauer, den tariflichen Mehrurlaub, bleibt sie gemäß § 139 BGB wirksam (vgl. BAG 12. April 2011 - 9 AZR 80/10 - Rn. 27). II. Die Beklagte schuldet die Gewährung von Mehrurlaub nicht aufgrund einer einzelvertraglichen Vereinbarung. Die Erklärung des Arbeitgebers, er gewähre einem Arbeitnehmer Erholungsurlaub, ist im Regelfall Erfüllungs-, nicht aber Verpflichtungshandlung. Der Arbeitgeber bringt mit der Freistellungserklärung regelmäßig zum Ausdruck, dass er bestehende Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers durch die Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung für einen bestimmten Zeitraum erfüllen will. Ein von einem rechtsgeschäftlichen Erklärungsbewusstsein getragener Wille des Arbeitgebers, durch die Freistellungserklärung bereits verfallene Urlaubsansprüche neu zu begründen und diese im selben Akt (uno actu) zu erfüllen, kann nur unter besonderen Umständen angenommen werden. Solche hat die Klägerin nicht vorgetragen. Die Beklagte war deshalb berechtigt, von der Urlaubsgewährung Abstand zu nehmen. Da der Anspruch der Klägerin auf tariflichen Mehrurlaub aus dem Jahr 2008 mit Ablauf des 30. April 2009 unterging, bestand für eine Gewährung nach diesem Zeitpunkt kein Rechtsgrund. III. Die Klage hat auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Schadensersatzes keinen Erfolg. Die Voraussetzungen nach § 275 Abs. 1 und 4, § 280 Abs. 1 und 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB liegen nicht vor. Hat der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt, wandelt sich der im Verzugszeitraum verfallene Urlaubsanspruch in einen auf Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution gerichteten Schadensersatzanspruch um (vgl. BAG 17. Mai 2011 - 9 AZR 197/10 - Rn. 11, BAGE 138, 58). Als der Anspruch der Klägerin auf Mehrurlaub mit Ablauf des tariflichen Übertragungszeitraums am 30. April 2009 verfiel, befand sich die Beklagte mit der Urlaubsgewährung nicht im Verzug. In seiner Entscheidung vom 17. Mai 2011 (- 9 AZR 197/10 - Rn. 14) hat der Senat dahinstehen lassen, ob in der Forderung des Arbeitnehmers, seinem Urlaubskonto Urlaubstage gutzuschreiben, eine Mahnung iSd. § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt. Der Senat braucht die Frage auch hier nicht zu beantworten. Die Klägerin verlangte erstmals mit Schreiben vom 30. Juli 2009 von der Beklagten, ihr ua. zwölf Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub aus dem Jahr 2008 gutzuschreiben. Zu diesem Zeitpunkt war der Anspruch bereits verfallen. IV. Die Klägerin hat gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.