· Fachbeitrag · Arbeitsrecht
Außerordentliche Kündigung durch Chefarzt wegen unzureichender Personaldecke rechtens
von RA, FA für MedR, Wirtschaftsmediator Dr. Tobias Scholl-Eickmann, Kanzlei am Ärztehaus, Dortmund, www.kanzlei-am-aerztehaus.de
| Ein Chefarzt ist zur außerordentlichen Eigenkündigung seines Dienstverhältnisses berechtigt, wenn der Krankenhausträger ihm trotz Abmahnung entgegen den vertraglichen Vereinbarungen kein ausreichendes nichtärztliches Personal zur Verfügung stellt. Dies entschied das Landesarbeitsgericht ( LAG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 11. Oktober 2013 (Az. 12 Sa 15/13, Abruf-Nr. 141900 ). |
Fall: Der Chefarzt im Klinik-MVZ
Ein plastischer Chirurg war nach vorangehender Tätigkeit als niedergelassener Arzt seit 2005 als Chefarzt der plastisch-chirurgischen Abteilung eines vom Klinikträger betriebenen MVZ tätig. Ärztliches Personal war ihm nicht unterstellt. Arbeitsvertraglich wurde eine Beteiligung des Arztes an den Erlösen in Höhe von 40 Prozent vereinbart, soweit diese einen Kostendeckungsbeitrag in Höhe von 140.000 Euro übersteigen. Das Gesamteinkommen des Arztes bezifferte das LAG mit rund 18.500 Euro monatlich - insoweit ist ein weiterer Rechtsstreit über die Höhe der Beteiligung des Chefarztes anhängig.
Ferner wurde vertraglich fixiert, dass das MVZ dem Arzt ausreichend Personal, Räume und Material zur Verfügung stellt.
Arzt mahnte MVZ ab
Im Oktober 2010 mahnte der Arzt das MVZ ab, weil es mit dem Vermieter der Räumlichkeiten über eine vorzeitige Beendigung des Mietverhältnisses gesprochen hatte und den Arzt vertragswidrig zuvor nicht angehört hatte. Kurz darauf erfolgte eine weitere Abmahnung durch den Arzt, da die einzige Arzthelferin des MVZ erkrankt war und das MVZ jedenfalls für zwei Tage keine Ersatzkraft zur Verfügung gestellt hatte.
Gespräche blieben ohne Ergebnis
Anfang Dezember 2010 teilte das MVZ dem Arzt mit, dass es die Schließung der plastischen Chirurgie zum Jahresende beabsichtige und den Arzt ab dem 1. Januar freistellen möchte. Der Arzt beantragte daraufhin seine neuerliche Zulassung als Vertragsarzt, die am 23. März 2011 erfolgte. Zwischenzeitlich fanden Gespräche zwischen dem Arzt und dem MVZ statt, die eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses sowie Abrechnungsfragen zum Gegenstand hatten - ohne Ergebnis.
Im März 2011 kam es zu Engpässen beim nichtärztlichen OP-Personal der vom MVZ-Träger betriebenen Klinik. Da der Arzt im MVZ durch dasselbe Personal bei Operationen unterstützt wurde bzw. diese teils auch in der Klinik durchführte, wirkte sich der Personalengpass derart aus, dass wiederholt terminierte Operationen durch den Arzt nicht durchgeführt werden konnten.
Der Arzt mahnte das MVZ daraufhin erneut ab und wies auf die vertragliche Verpflichtung hin, ihm ausreichend Personal zur Verfügung zu stellen. Für den Fall, dass der Verpflichtung nicht nachgekommen werde, drohte er arbeitsrechtliche Maßnahmen bis hin zur außerordentlichen Kündigung an.
Personalengpässe und OP-Ausfälle wiederholten sich
Zwar bemühte sich das MVZ um entsprechende Sicherstellung der Operationen des Arztes. Ungeachtet dessen kam es wiederholt zu unzureichenden Personalbestückungen und OP-Ausfällen. Der Arzt kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis Anfang April 2011 außerordentlich und betrieb fortan eine Praxis mit einem Kollegen. Das MVZ klagte gegen die außerordentliche Kündigung, da es an einem wichtigen Grund mangele; es habe ein unvorhersehbarer Personalengpass bestanden.
Die Entscheidung
Nachdem das MVZ in der ersten Instanz noch obsiegt hatte, urteilte das LAG nun zugunsten des Arztes. Seine außerordentliche Kündigung sei wirksam. Das MVZ habe wiederholt die Pflicht verletzt, dem Arzt ausreichend Personal zur Verfügung zu stellen. Dies sei ausdrücklich vertraglich verankert gewesen. Nur bei ausreichender Personalausstattung könne eine vertragsgemäße Beschäftigung als Chefarzt der plastisch-chirurgischen Abteilung erfolgen.
MVZ ist für Personalengpass verantwortlich
Entgegen der Auffassung des MVZ habe dieses den Personalengpass auch zu vertreten. Eine Regelbesetzung mit 8.75 bzw. 9,75 Pflegekräften im OP-Dienst müsse bei drei Operationssälen und mindestens einer (MVZ-)Ambulanz bei Fällen von Krankheit oder Urlaub unweigerlich zu Personalengpässen führen. Der Arzt habe daher zu Recht eine unzureichende Personaldecke gerügt.
Recht auf vertragsgemäße Beschäftigung wurde verletzt
Der Arzt war nach Überzeugung des LAG somit in seinem Recht auf vertragsgemäße Beschäftigung nachhaltig verletzt. Zudem sei auch sein grundrechtlich geschütztes Recht auf berufliche Entfaltung seiner Persönlichkeit berührt. Letztlich sei unmittelbar auch die Vergütung des Arztes betroffen. Nach wiederholten ergebnislosen Abmahnungen sei die Kündigung auch das verbleibende Mittel der Wahl. Umgekehrt sei nicht ersichtlich, welches Interesse zugunsten des MVZ in der Abwägung zu berücksichtigen sein könnte.
FAZIT | Die Entscheidung des LAG arbeitet die Pflichten des MVZ als Arbeitgeber lehrbuchhaft heraus und stellt auch zutreffend fest, dass die Personalengpässe bei der vorgenommenen Personalplanung absehbar und damit dem MVZ bzw. der Klinik schuldhaft zurechenbar waren.
Das Urteil ist auf sämtliche Chefarzt-Verträge übertragbar: Chefärzte können auch bei einer fehlenden vertraglichen Verankerung - diese wird von Trägern bei Vertragsverhandlungen häufig vehement abgelehnt - eine ausreichende Personalausstattung beanspruchen. In Zeiten der Budgetierung und des fortschreitenden Ärztemangels wird die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg gute Argumente und Optionen für Chefärzte in ähnlicher Situation eröffnen. |