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  • · Fachbeitrag · Arbeitsrecht

    Mindestbesetzung mit Pflegepersonal: Betriebsrat hat Mitbestimmungsrecht

    von RA, FA ArbR und MedR, Dr. Tilman Clausen, armedis Rechtsanwälte Hannover, www.armedis.de

    | Bei der Ausstattung eines Krankenhauses mit Pflegepersonal darf der Betriebsrat über die Mindestbesetzung mitentscheiden, wenn dadurch einer Gesundheitsgefährdung der Beschäftigten vorgebeugt wird (Arbeitsgericht [ArbG] Kiel, Beschluss vom 26.07.2017, Az. 7 BV 67 c/16, noch nicht rechtskräftig). |

    Sachverhalt

    Antragstellerin im Beschlussverfahren war ein Krankenhaus. Antragsgegner war dessen Betriebsrat (zur Erklärung der Begriffe „Beschlussverfahren“ und „Einigungsstelle“ siehe Exkurs am Ende des Beitrags). Beide Seiten hatten ohne Erfolg über die Mindestbesetzung für den Pflegedienst auf einzelnen Stationen des Krankenhauses verhandelt. Eine aus Vertretern beider Seiten gebildete Einigungsstelle hatte mehrere Gutachten beauftragt, die die Gesundheitsgefährdung des Pflegepersonals beurteilen sollten.

     

    Da trotzdem keine einvernehmliche Regelung möglich war, beschloss die Einigungsstelle, wie viele examinierte Pflegekräfte pro Schicht für eine bestimmte Patientenzahl zu planen sind. Der in der Einigungsstelle unterlegene Krankenhausträger leitete daraufhin ein Beschlussverfahren vor dem ArbG Kiel ein, um feststellen zu lassen, dass der Spruch der Einigungsstelle unwirksam sei. Das Gericht entschied jedoch zugunsten des Betriebsrats.

    Entscheidungsgründe

    Das Gericht verwies zunächst darauf, dass nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) der Betriebsrat bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen habe. Dieses Mitbestimmungsrecht setze ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv bestehe. Dies gelte vor allem dann, wenn mangels zwingender gesetzlicher Vorgaben zum Arbeits- und Gesundheitsschutz betriebliche Regelungen erforderlich seien.

     

    Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ergebe sich hier aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i. V. m. §§ 3, 5 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). § 3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG verpflichte jeden Arbeitgeber per Generalklausel, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ergebe sich, wenn konkrete Gefährdungen der Mitarbeiter im Sinne von § 5 Abs. 1 ArbSchG vorlägen (z. B. durch unzumutbare Gestaltung von Arbeitszeiten oder Arbeitsabläufen oder durch psychischen Druck). Im vorliegenden Fall seien die Gefährdungen durch die von der Einigungsstelle eingeholten Gutachten belegt.

     

    Zwar greife der Spruch der Einigungsstelle in die unternehmerische Freiheit des Krankenhausträgers ein, die nach Art. 12 Grundgesetz (GG) geschützt sei: Das Krankenhaus sei in der Personalbesetzung nicht mehr völlig frei, da es abhängig von den belegten Betten eine bestimmte Personalstärke vorhalten müsse. Das Grundrecht des Krankenhausträgers kollidiere hier jedoch mit den Grundrechten der Arbeitnehmer aus Art. 31 EU-Grundrechte-Charta. Danach haben diese das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen. Darüber hinaus sei auch Art. 2 Abs. 2 GG maßgeblich: Dieser räume den Arbeitnehmern das Recht auf körperliche Unversehrtheit ein. Daher hätten die Grundrechte der Arbeitnehmer Vorrang vor dem Grundrecht des Krankenhausträgers.

    Bedeutung des Beschlusses für den Chefarzt

    Praktisch jeder Chefarztdienstvertrag sieht vor, dass der Chefarzt für die medizinische Versorgung der Patienten und für den geordneten Dienstbetrieb seiner Abteilung/Klinik verantwortlich ist. Damit der Chefarzt dieser Verpflichtung auch nachkommen kann, ist er darauf angewiesen, ausreichend Personal in Form von nachgeordneten Ärzten und Pflegepersonal vonseiten des Krankenhausträgers zur Verfügung gestellt zu bekommen. In der Praxis kommt es hier oft zu Auseinandersetzungen zwischen Chefärzten und Krankenhausträgern. Der Beschluss des ArbG Kiel zeigt, dass die Situation einer unzureichenden Personalausstattung im Sinne des Chefarztes und der Beschäftigten gelöst werden kann.

     

    • Personalengpässe in Ihrer Abteilung: So gehen Sie vor
    • Im Sinne einer guten Zusammenarbeit zwischen Chefarzt und Krankenhausleitung sollten Sie immer eine einvernehmliche Lösung suchen.
    • Um einen Personalengpass in Ihrer Abteilung überhaupt nachweisen zu können, müssen Sie ihn erst einmal dokumentieren. Wenn es noch keine Einigungsstelle und damit auch keine Gutachten gibt, dienen Überstundennachweise und Protokolle von Gesprächen mit nachgeordneten Ärzten und Pflegepersonal als Beweismittel.
    • Wenn Ihnen die Klinikleitung die Vorgaben des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) vorhält, (CB 11/2015, Seite 1), weisen Sie darauf hin, dass nicht Durchschnittswerte für die Personalausstattung maßgeblich sind, sondern die örtlichen Gegebenheiten.
    • Erklären Sie, dass eine einvernehmliche Lösung für alle Beteiligten sinnvoller ist als ein per Gerichtsbeschluss durchgesetzter Personalschlüssel, der nachträglich nicht mehr verändert werden kann.
     

    Exkurs: Einigungsstelle und Beschlussverfahren

    Eine Einigungsstelle ist ein betriebsverfassungsrechtliches Hilfsorgan gemäß § 76 BetrVG. Sie dient dazu, Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat außergerichtlich beizulegen. Sie wird zu gleichen Teilen (paritätisch) durch Vertreter des Arbeitgebers und des Betriebsrats besetzt. Hinzu kommt ein neutraler Vorsitzender (i. d. R. ein Arbeitsrichter). Die Einigungsstelle kann auch dann Beschlüsse fassen, wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht einigen können: Bei Stimmengleichheit gibt das Votum des Vorsitzenden den Ausschlag. Der Beschluss erlangt bindende Wirkung, wenn nicht eine der beiden in der Einigungsstelle vertretenen Parteien binnen 14 Tagen beim ArbG beantragt, den Beschluss zu überprüfen.

     

    MERKE | Im vor dem ArbG Kiel entschiedenen Fall war der Beschluss der Einigungsstelle durch die Stimme des Vorsitzenden zustande gekommen.

     

    In der Einigungsstelle geschlossene Betriebsvereinbarungen können auf Antrag des Arbeitgebers oder des Betriebsrats gerichtlich auf Rechtsfehler überprüft werden (Beschlussverfahren). Solche Fehler sind z. B. Unzuständigkeit der Einigungsstelle, Verstöße gegen höherrangiges Recht (Gesetze und Tarifverträge) oder Verfahrens- und Formfehler. Zuständig für diese Verfahren ist das ArbG am Betriebssitz.

     

     

    FAZIT | Das Krankenhaus hat gegen den Beschluss beim Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein Beschwerde eingelegt. Wenn das LAG die Entscheidung des ArbG Kiel bestätigt, ist das Krankenhaus an die Vorgaben der durch die Einigungsstelle beschlossenen Betriebsvereinbarung gebunden. Dies bedeutet eine dauerhafte Einschränkung des Krankenhauses in seiner unternehmerischen Handlungsfähigkeit bei der Personalplanung. Vor diesem Hintergrund ist eine gütliche Einigung vorzuziehen. Sie lässt allen Beteiligten mehr Handlungsspielraum und muss im Rahmen der anwaltlichen Beratung unbedingt empfohlen werden.

     

    Weiterführende Hinweise

    • „‚Ihre Abteilung hat genug Ärzte‘: So begegnet der Chefarzt den Argumenten der Klinikleitung“ (CB 11/2015, Seite 1)
    • „Medizinstudentin als Nachtwache überfordert: Chefarzt haftet bei unqualifiziertem Personal“ (CB 05/2015, Seite 1)
    Quelle: Ausgabe 04 / 2018 | Seite 5 | ID 45175809