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  • · Fachbeitrag · Rechtsprechung

    Der Chefarzt als Sachverständiger: Aktuelle Gerichtsurteile und praktische Hinweise

    von Rechtsanwältin Henriette Feesche, armedis Rechtsanwälte, Hannover, www.armedis.de 

    | Chefärzte werden von Gerichten häufig mit der Erstattung von Gutachten beauftragt. Die unterlegene Prozesspartei sucht aber nicht selten Angriffspunkte gegen Gutachten und Gutachter - und erhebt zum Beispiel den Vorwurf, der sachverständige Chefarzt sei befangen gewesen. Manchmal wird er sogar auf Schadenersatz wegen eines angeblich unrichtigen Gutachtens verklagt. Dieser Beitrag fokussiert sich auf drei Gerichtsentscheidungen, die sich mit Fragen der Befangenheit sowie den Voraussetzungen für eine Schadenersatzpflicht des Sachverständigen beschäftigen. |

    1. Bezeichnung als „Kollege“ begründet keine Befangenheit

    Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hatte einen Fall zu entscheiden, bei dem ein Patient die Befangenheit des ärztlichen Sachverständigen in zweifacher Hinsicht rügte (Beschluss vom 17. März 2014, Az. 5 U 124/13, Abruf-Nr. 144356).

     

    Der Fall

    Der Sachverständige hatte zum einen gutachterlich ausgeführt, ein Aktenvermerk des beklagten Orthopäden in dessen Behandlungsdokumentation lasse auf eine „problematische Arzt-Patienten-Beziehung“ schließen. Zum anderen hatte er den Beklagten im Gutachten als „Kollege“ bezeichnet.

     

    Die Entscheidung

    Das Gericht wies beide Vorwürfe zurück: Der Hinweis des Sachverständigen, eine Anmerkung des Orthopäden lasse auf eine problematische Arzt-Patienten-Beziehung schließen, könne vorliegend keine Voreingenommenheit des Gutachters begründen. Denn dieser musste sich für das Gutachten mit dem Verlauf der postoperativen Behandlung durch den Orthopäden auseinandersetzen, da der Patient die Nachbehandlung bemängelt hatte.

     

    In diesem Zusammenhang waren Eintragungen in der Behandlungsdokumentation relevant - aus ihnen ging hervor, dass der Patient mehrfach eine erneute Vorstellung bei dem Orthopäden abgelehnt hatte. Hieraus folgerte das Gericht, dass der Sachverständige aus nachvollziehbaren Gründen auf eine problematische Arzt-Patienten-Beziehung geschlossen habe, ohne dabei eine Verantwortlichkeit der einen oder anderen Seite zu beschreiben.

     

    Das Gericht urteilte zudem, dass der ärztliche Gutachter weder eine mangelnde Neutralität noch eine „gewisse Solidarität“ habe erkennen lassen, als er den beklagten Orthopäden als „Kollegen“ bezeichnet hatte. Im Verhältnis zwischen Ärzten sei diese Bezeichnung üblich und sachlich gesehen nicht zu beanstanden. Es bestehe kein Anlass zu der Annahme, der Sachverständige sei aufgrund einer persönlicher Nähe zum Beklagten voreingenommen.

    2. Haftung des Gutachters bei unverwertbarem Gutachten?

    Vor dem OLG Hamm machte ein Kläger einen Schadensersatzanspruch gegen den ärztlichen Sachverständigen geltend, da das Gutachten nicht verwertbar war (Beschluss vom 14. Januar 2014, Az. 9 U 231/13, Abruf-Nr. 141579).

     

    Der Fall

    Die fehlende Verwertbarkeit des Gutachtens resultierte daraus, dass der Sachverständige zuvor für befangen erklärt worden war. Er hatte den Gutachterauftrag des Gerichts überschritten, indem er zusätzliche Feststellungen getroffen hatte.

     

    Die Entscheidung

    Der Kläger hatte mit seiner Schadenersatzklage keinen Erfolg. Ein Schadenersatzanspruch gegen einen Sachverständigen kann nach § 839a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dann begründet werden, wenn ein gerichtlich bestellter Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet - wenn es also nicht der objektiven Sachlage entspricht.

     

     

    Das Gericht sah aufgrund des eindeutigen Wortlauts von § 839a BGB die Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruchs hier als nicht erfüllt an. Das Gutachten sei hier gerade nicht „unrichtig“ gewesen, denn inhaltlich seien die Ausführungen allesamt korrekt gewesen. Ein Überschreiten des Gutachterauftrages durch inhaltlich korrekte, nach dem gerichtlichen Auftrag aber nicht verlangte - und daher zusätzliche - Feststellungen sei mit einer Unrichtigkeit im oben beschriebenen Sinne nicht gleichzusetzen.

     

    PRAXISHINWEIS | Der ärztliche Sachverständige sollte sich bei der Erstellung des Gutachtens streng an die Vorgaben im Beweisbeschluss des Gerichtes halten. Jedenfalls bei inhaltlich korrekten zusätzlichen Feststellungen besteht zwar nicht die Gefahr, dass sich der Sachverständige schadenersatzpflichtig macht. Es ist aber möglich, dass der Sachverständige für befangen erklärt wird, sodass dessen Gutachten unverwertbar wird.

     

    3. Wann haftet der vom Staatsanwalt bestellte Gutachter?

    Auch in diesem Verfahren ging es um ein unrichtiges Gutachten. Erstellt hatte es ein Sachverständiger, der als Professor für Rechtsmedizin und Leiter eines rechtsmedizinischen Instituts tätig war.

     

    Der Fall

    Bei dem Fall vor dem Bundesgerichtshof (BGH) hatte ein Kläger den staatsanwaltschaftlich beauftragten Gutachter auf Schmerzensgeld in Anpruch nehmen wollen (Urteil vom 6. März 2014, Az. III ZR 320/12, Abruf-Nr. 141080).

     

    Hintergrund war die Behandlung durch einen Chefarzt, der einer 91-jährigen Patientin wegen starker Übelkeit und Luftnot Morphin verabreicht hatte. Wenige Minuten später verstarb die Patientin an akutem Herz- und Kreislauf-Versagen. Die Staatsanwaltschaft veranlasste deshalb eine Obduktion durch den beklagten Sachverständigen, der im Blut der Verstorbenen 6-Monoacetylmorphin (6-MAM) feststellte, das als kurzlebiges Abbauprodukt eine kurze Zeit zuvor erfolgte Heroinapplikation beweist. Die Büro- und Diensträume des Chefarztes wurden daraufhin durchsucht und dieser wegen Mordverdachts verhaftet. Nicht nur Geschäftsführer und Mitarbeiter der Klinik, sondern auch die Presse wurden von dem Vorfall unterrichtet.

     

    Später kam heraus, dass der Sachverständige der Staatsanwaltschaft das bereits zuvor eingetroffene Ergebnis der Hirngewebsuntersuchung, bei dem kein 6-MAM nachgewiesen worden war, nicht mitgeteilt hatte. Das Ermittlungsverfahren gegen den Chefarzt wurde eingestellt. Mit seiner Klage verlangte der Chefarzt Schmerzensgeld vom beklagten Gutachter in Höhe von 150.000 Euro, da durch die Ermittlungsmaßnahmen und die Presseberichterstattung sein Ruf dauerhaft und irreparabel geschädigt worden sei.

     

    Die Entscheidung

    Der BGH wies die Klage insgesamt ab, da eine Haftung entsprechend § 839a BGB hier ausscheide. Die durchgeführte Obduktion und toxikologische Untersuchung seien Teil eines Todesfallermittlungsverfahrens, das der Gutachter wegen §§ 159, 87 ff. Strafprozessordnung (StPO) im Rahmen seines anvertrauten öffentlichen Amtes erbracht habe - und nicht als Privatmann.

     

    Rechtliche Folge einer solchen Konstellation sei nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 Satz Grundgesetz (GG), dass die persönliche Haftung des Sachverständigen ausscheide. Der Staat bzw. die jeweilige Anstellungskörperschaft trete in diesem Fall an die Stelle des hoheitlich tätig gewordenen Sachverständigen und übernehme dessen Haftung.

     

    PRAXISHINWEIS | Wird der Sachverständige von der Staatsanwaltschaft im Rahmen einer Todesfallermittlung nach der StPO zur Gutachtenerstattung bestellt, so kommt er ausnahmsweise keiner privaten, sondern einer hoheitlichen Tätigkeit nach. Dies bedeutet im Falle einer Haftung für ein unrichtiges Gutachten, dass grundsätzlich der Dienstherr des Sachverständigen die Haftung übernimmt und so dessen persönliche Inanspruchnahme verhindert wird.

    Quelle: Ausgabe 05 / 2015 | Seite 3 | ID 43289125