01.07.2007 | Gestaltungspraxis
Eine Gratwanderung: Erbeinsetzung oder Vermächtnis
Letztwillige Verfügungen von Erblassern sind oft widersprüchlich oder mehrdeutig. Auch wenn der Erblasser sein Vermögen durch Testament insgesamt verteilt hat, bleibt sprachlich und nach den Umständen offen, ob er Vermächtnisanordnungen, die Einsetzung eines einzigen Alleinerben oder mehrere Miterben (Erbengemeinschaft) zu seinen Rechtsnachfolgen bestimmen wollte. Anhand eines typischen Sachverhalts aus der Praxis wird aufgezeigt, wie solche Erblassererklärungen richtig gewürdigt und ausgelegt werden können.
Beispiel (in Anlehnung an BayObLG FamRZ 03, 119) |
Die im Jahr 2006 verstorbene Erblasserin E, Mutter von vier Töchtern, T 1 bis T 4, war verwitwet. Ihr Vermögen erschöpfte sich in Guthaben auf Sparkonten bei Sparkasse S. Beim Erbfall betrug das Sparvermögen rund 70.000 EUR. Mit privatschriftlichem Testament verfügte sie, dass von dem Vermögen je 4.000 EUR an jede Tochter auszuzahlen seien sowie je 2.000 EUR an ihre fünf Enkelkinder. Weiter heißt es in dem Testament: „Das weitere Vermögen bleibt bei unseren Freunden aus der Familie F“. Schulden hatte E in Höhe von ca. 8.000 bis 12.000 EUR. Die Personen der Familie F waren bestimmbar. T 1 hält sich für die Alleinerbin. Sie beantragt beim zuständigen Nachlassgericht einen auf sich lautenden Erbschein. Wie wird das Gericht entscheiden? |
Auslegung der Verfügung hat Vorrang
Bis zu einer Entscheidung muss das Gericht eine bestimmte Prüfungsreihenfolge einhalten. Zunächst muss die Verfügung gemäß den §§ 133, 2084 BGB ausgelegt und ermittelt werden, wer nach dem Erblasserwillen Erbe werden sollte. Zwar hat E keine bestimmte Person als „Erbe“ bezeichnet. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass sie überhaupt keinen Rechtsnachfolger bestimmen wollte. Gemäß § 2084 BGB ist diejenige Auslegung zu wählen, bei welcher die Verfügung Erfolg haben kann.
Auslegungskriterien
Im Rahmen der Auslegung sind folgende Auslegungskriterien zu berücksichtigen:
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