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  • 01.07.2005 | Sozialhilferegress

    Behindertentestament – eine Zwischenbilanz

    von RA Hans-Helmut Fensterer, Frankenthal-Hessheim

    In der April-Ausgabe von „Erbrecht effektiv“ haben wir Ihnen das BGH-Urteil vom 8.12.04 zum Behindertentestament vorgestellt (Bock, EE, 05, 55, Abruf-Nr. 050277). Dieses Urteil wirft alte und neue Fragen zur Rechtswirksamkeit der Behindertentestamente auf. Der Beitrag beantwortet diese Fragen. 

     

    Der Fall des BGH vom 8.12.04, IV ZR 223/03, im Überblick

    Sachverhalt  

    Die beiden Eltern hatten ein standardisiertes Berliner Testament mit Pflichtteilsstrafklausel errichtet. Alle Kinder, auch das behinderte Kind, sollten erst im zweiten Erbfall erben. Im Hinblick auf das behinderte Kind wurde Testamentsvollstreckung angeordnet.  

     

    Entscheidungsgründe  

    Nach wie vor besteht kein Überleitungsanspruch des Sozialhilfeträgers, wenn der zugewendete Erbteil größer als der Pflichtteil ist bzw. sofern Testamentsvollstreckung angeordnet ist.  

     

    (Neu): Der Pflichtteilsanspruch kann vom Sozialhilfeträger auch gegen den Willen des Pflichtteilsberechtigten bzw. (Ergänzungs-)Betreuers übergeleitet werden, und zwar unter dem Gesichtspunkt der Unterhaltsberechtigung des Pflichtteilsberechtigten.  

     

    Praxishinweis  

    Die Entscheidung hat Konsequenzen für das standardisierte Berliner Testament mit Pflichtteilsstrafklausel:  

     

    • Bevorzugung des behinderten Kindes (Auslegung des BGH): Auch wenn der Sozialhilfeträger den Pflichtteilsanspruch aus dem ersten Erbfall auf sich übergeleitet hat, erhält das behinderte Kind im zweiten Erbfall den ihm testamentarisch zustehenden Erbteil.

     

    • Aus für das Berliner Testament mit Pflichtteilsstrafklausel: Das Berliner Testament mit Pflichtteilsstrafklausel im ersten Erbfall ist für Zwecke eines Behindertentestamentes „tot“. Der Schutz von Familienvermögen bzw. Erbanteil des behinderten Kindes vor dem Zugriff des Sozialhilfeträgers kann auf diesem Wege nicht mehr gewährleistet werden.

     

    • Weitergeltung der Grundsätze zum Behindertentestament: Andererseits gelten die bislang entwickelten Grundsätze zum Behindertentestament (BGHZ 111, 36; BGHZ 123, 368) weiter.

     

    • Behindertentestament und „sonstige“ Sozialhilfeempfänger (Hartz-IV): Zwar sind nach bisheriger Rechtsprechung Behindertentestamente nicht sittenwidrig. Hartz-IV-Empfänger müssen sich aber Vermögen, auch durch Erbfall erlangtes Vermögen, auf die Hartz-IV-Beträge anrechnen lassen. Insofern ist zweifelhaft, ob eine Erbausschlagung des Sozialhilfeempfängers nicht doch sittenwidrig ist.

     

    Praxishinweis: Hier erscheint es zweckmäßiger, eine Zuwendung an den Sozialhilfeempfänger ebenso wie beim „klassischen“ Behindertentestament der Dauertestamentsvollstreckung zu unterwerfen mit bestimmten Anweisungen, wie der Testamentsvollstrecker mit der Nachlassmasse verfahren muss. Insofern dürfte sich der Anwendungsbereich des Behindertentestaments auch auf andere Bereiche der Sozialhilfe und des Sozialhilferechts ausweiten (Jülicher/Kilger, NJW Spezial 05, 109).

     

    Im Anschluss an die Urteilskommentierung in EE 05, 55 ff. informieren wir Sie nun, wie Sie diese Entscheidung in die Praxis umsetzen können.  

     

    Beispiel: „Standardfall“

    Ein Ehepaar hat zwei oder mehr Kinder, davon ist eines behindert. Das behinderte Kind erhält Sozialhilfe oder könnte diese künftig erhalten. Die Eltern wollen einerseits Sozialhilfeleistungen für das behinderte Kind bekommen bzw. sich die Möglichkeit dafür offen halten, andererseits soll das Familienvermögen bzw. der Anteil des behinderten Kindes dem Sozialhilfeträger nicht zukommen. Wie kann dieses Ziel testamentarisch umgesetzt werden?  

     

    Lösung: In der Praxis kommen drei Vorgehensweisen in Betracht:  

     

    1. Das behinderte Kind wird im 1. und 2. Erbfall Miterbe. Es wird Testamentsvollstreckung angeordnet.
    • Vorteile: Die alleinige Verfügungsbefugnis liegt beim Testamentsvollstrecker.

     

    • Nachteile: Offen bleibt bei dieser Lösung, wer (das vererbte Familienvermögen) nach dem Tod des behinderten Kindes erbt (unterstellt: behindertes Kind ist nicht testierfähig). Der Sozialhilfeträger kann nach dem Tod des behinderten Kindes auf den Nachlass zugreifen. Die Testamentsvollstreckung fällt mit Tod des behinderten Kindes weg. Es können die allgemeinen Probleme einer Miterbengemeinschaft auftreten (ggf. verstärkt durch die Person des Betreuers). Dazu zählen insbesondere die gemeinsame Verwaltung und Verfügung.

     

    2. Das behinderte Kind wird im 1. Erbfall Miterbe, im 2. Erbfall Vorerbe (Nacherbfolge anordnen!), es gilt in allen Fällen Testamentsvollstreckung.

     

    • Vorteile: Die Dauer der Miterbengemeinschaft nach dem 1. Erbfall ist überschaubar (Regelfall: Auseinandersetzung der Miterbengemeinschaft mit dem 2. Erbfall).

     

    • Nachteile: Es können die gleichen Probleme wie bei Lösung 1 auftreten.

     

    3. Das behinderte Kind wird im 1. und 2. Erbfall Vorerbe, Nacherbschaft wird nachgeordnet, Testamentsvollstreckung wird angeordnet.

     

    • Vorteile: Der Sozialhilfeträger kannin beiden Erbfällen nicht zugreifen (Erbanteil größer als Pflichtteil, maximal Erbteil). Die Erbfolge nach dem Tod des behinderten Kindes ist geregelt.

     

    • Nachteile: Möglicherweise ergeben sich die üblichen Probleme einer Miterbengemeinschaft (s. oben Fall 1). Auch kann die Abgrenzungen der Verfügungsbefugnis Vorerbe/Nacherbe problematisch sein.

     

    Praxishinweis: Nur bei der dritten Konstruktion kann der Sozialhilfeträger in beiden Erbfällen nicht auf den Erbteil zugreifen. Die Lösung Nr. 3 ist daher zu bevorzugen (eine Vermächtnislösung ist nicht empfehlenswert, dazu Fensterer, EE 04, 191).