04.08.2008 | Sozialhilferegress
Rückforderungsanspruch/sonstige Maßnahmen des Sozialhilfeträgers von 1997 bis 2007
von RA und Notar Reinhold Redig, Mörlenbach
Mit Beginn der immer knapper werdenden öffentlichen Kassen hat das Instrumentarium des Sozialhilferegresses eine immer größere Bedeutung erlangt. Während früher die Sozialhilfebehörden recht großzügig damit umgingen, geleistete Zuwendungen zurückzufordern, falls die Vermögenslosigkeit des Sozialhilfeempfängers in Wegfall geraten ist, hat in den letzten Jahren die Verfolgung derartiger Ansprüche und damit die Judikatur zugenommen. Der folgende Beitrag gibt über einen Zeitraum von zehn Jahren hinweg einen Überblick über die einschlägigen Themenkreise.
Rechtsprechungsübersicht: Entwicklungen im Bereich des Sozialhilferegresses (1997 bis 2007) |
1. Erbausschlagung eines Behinderten durch den Betreuer: Das OLG Stuttgart hält die Erbschaftsausschlagung des Betreuers eines Behinderten für nicht genehmigungsfähig i.S. des § 1822 Nr. 2 BGB (NJW 01, 3484), weil sie nicht dem Wohl des Betreuten entspreche, § 1901 Abs. 2 S. 1 BGB. Rechtsgeschäfte, durch die der Zugriff des Sozialhilfeträgers auf das ihm gebührende Vermögen vereitelt wird, seien wegen Sittenwidrigkeit nichtig (§ 138 Abs. 1 BGB, abl. Anm. J. Mayer ZEV 02, 369).
Demgegenüber vertritt das LG Aachen die Auffassung, dass es sich bei der Entscheidung über die Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft um ein höchst persönliches Recht des Erben handelt (ZEV 05, 120). Dieser müsse frei entscheiden können, ob er das Erbe annehmen oder ausschlagen wolle. Es gäbe keinen Zwang zur Annahme der Erbschaft, damit Dritte auf das Erbe zugreifen könnten.
2. Ausübung eines Rückübertragungsanspruchs eines Grundstücks: Das Verwaltungsgericht Gießen vertritt in einem Anordnungsverfahren die Auffassung, dass ein Grundstück, das unter dem Vorbehalt eines lebenslänglichen Nießbrauchs sowie unter Vereinbarung eines Rückforderungsanspruchs übertragen worden ist, wirtschaftlich und rechtlich verwertbares Vermögen des Erwerbers i.S.d. § 90 SGB XII (§ 88 Abs. 1 BSHG a.F.) darstelle. Die Ausübung des Rückübertragungsanspruchs des Grundstücks zu dem Zweck, den Zugriff des Trägers der Sozialhilfe auf das Grundstück zu vereiteln, verstoße in sittenwidriger Weise gegen den Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe und sei gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig (DNotZ 01, 784 m. abl. Anm. J. Mayer).
3. Lebzeitige Zuwendungen: Diese können bei Verarmung des Schenkers gemäß § 528 Abs. 1 BGB widerrufen und zurückgefordert werden. Dieser Anspruch ist gemäß § 93 SGB XII (früher § 90 BSHG), auf den Sozialhilfeträger überleitbar. Der BGH urteilte, dass es für die Überleitung eines Rückforderungsanspruchs wegen Notbedarfs des Schenkers unbeachtlich ist, ob das geschenkte Grundstück im Eigentum des Schenkers Schonvermögen (und damit unantastbar) nach den sozialhilferechtlichen Vorschriften gewesen wäre (NJW 05, 670).
4. Verarmung des Schenkers: Mit der Frage eines internen Ausgleichsanspruchs zwischen mehreren gleichzeitig Beschenkten bei Verarmung des Schenkers hatte sich der BGH beschäftigt (ZEV 98, 73). Eltern hatten mit notariellem Vertrag einem ihrer Söhne ein Hausgrundstück unter Einräumung eines Wohnrechts übertragen. Gleichzeitig wurde vereinbart, dass an den Bruder des Erwerbers ein Gleichstellungsgeld zu zahlen sei. Nach der Übertragung des Grundstücks und Zahlung des Geldbetrags wurden die Eltern pflegebedürftig und mussten in ein Pflegeheim übersiedeln. Zur Deckung der mit dem Aufenthalt in dem Pflegeheim verbundenen Kosten reichten ihre Einnahmen nicht aus. Der fehlende Betrag wurde vom Sozialhilfeträger übernommen, der im Anschluss hieran den Anspruch der Eltern gegen den übernehmenden Sohn nach § 90 BSHG (jetzt § 93 SGB XII) auf sich überleitete und ihn zur Erstattung der aufgewendeten Pflegekosten heranzog. Eine Inanspruchnahme des Sohnes, der das Gleichstellungsgeld erhielt, erfolgte nicht. Der BGH hat entschieden, dass zwischen mehreren gleichzeitig Beschenkten hinsichtlich des Rückgewähranspruchs nach § 528 Abs. 1 BGB eine gesamtschuldnerartige Beziehung bestehe, die bei der Inanspruchnahme eines Beschenkten einen internen Ausgleichsanspruch entsprechend § 426 Abs. 1 BGB gegen den anderen Beschenkten auslöse. Dies gelte auch, wenn die ihnen jeweils zugewandten Gegenstände nicht gleichartig seien. Der BGH entschied auch, dass der Schenker (übergebende Eltern) nicht abschließend bestimmen könne, wer von den Beschenkten die Nachteile des auf seiner Seite eingetretenen Notbedarfs tragen sollte.
Dem Anspruch auf Rückgewähr nach § 528 Abs. 1 BGB könne grundsätzlich der Aufwand für freiwillige Pflege- oder Betreuungsleistungen gegenüber dem Schenker nicht entgegengehalten werden (vgl. auch Keim, ZEV 98, 375).
5. Erbenhaftung: Das BVerwG musste über die Erbenhaftung für den Erstattungsanspruch nach § 50 Abs. 2 SGB X entscheiden (ZEV 02, 469). Der Erblasser erhielt Pflegegeld für seine Ehefrau. Auch nach deren Tod erhielt er durch ein technisches Versehen drei Monate weiter Pflegegeld ausbezahlt. Kurz darauf verstarb er und wurde von der Klägerin beerbt. Die Klägerin wehrte sich gegen den Bescheid der Sozialhilfebehörde auf Erstattung überzahlten Pflegegeldes. Das BVerwG gab dem Sozialhilfeträger recht. Die Pflegegeldleistungen seien ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden. Bei der Zumutbarkeit der Rückgewähr sei allein auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Erblassers abzustellen. Ihm seien jedoch die Rechtsgrundlosigkeit der Leistung und seine Erstattungsverpflichtung bekannt gewesen. Die Klägerin könne sich gegen den Erstattungsanspruch nur mit den ihr als Erbin zustehenden Haftungsbeschränkungen gemäß §§ 1975 ff. BGB (Damrau/Gottwald, Praxiskommentar Erbrecht, §§ 1975 ff. BGB, Rn. 2 ff., 5 ff. Nachlassverwaltung, Nachlassinsolvenz) wehren.
6. Übernahme von Bestattungskosten: Träger des Anspruchs auf Kostenübernahme nach § 15 BSHG (heute § 74 SGB XII) ist derjenige, der verpflichtet ist, die Bestattungskosten zu tragen (BVerwG NJW 03, 78; 3146). Wer die Durchführung oder Bestattung aus dem Gefühl sittlicher Verpflichtung, aber ohne Rechtspflicht, übernehme, sei nicht Verpflichteter i.S. dieser Vorschrift. Demgemäß sei Nichtverpflichteter der Heimträger, der aufgrund Heimvertrags zur Bestattung eines Heiminsassen berechtigt sei, den insoweit aber weder eine landesrechtliche Bestattungspflicht noch eine vertragliche Kostenverpflichtung treffe. Vielmehr seien die nahen Angehörigen eines Verstorbenen gewohnheitsrechtlich dazu verpflichtet, für dessen Bestattung zu sorgen. Zu diesem Personenkreis gehörten nicht nur die Kinder und der Ehegatte, sondern auch die Geschwister des Verstorbenen (OVG Lüneburg NJW 03, 1268, im Anschluss an BVerwG NVwZ-RR 95, 283).
Ein Krankenhausträger kann regelmäßig nach § 15 BSHG (heute § 74 SGB XII) die Übernahme der Kosten für die Bestattung von Patienten verlangen, die im Krankenhaus mittellos verstorben und deren Angehörige nicht zu ermitteln sind (BVerwG NJW 04, 1969).
7. Überleitung des Pflichtteilsanspruchs auf Sozialhilfeträger: Der BGH bestätigt seine neuere Rechtsprechung, wonach der Pflichtteilsanspruch eines enterbten Sozialhilfeempfängers auf den Sozialhilfeträger übergeleitet und von diesem geltend gemacht werden kann, ohne dass es auf eine Entscheidung des Pflichtteilsberechtigten selbst ankommt (ZEV 05, 117).
Praxishinweis: Der Zugriff des Sozialhilfeträgers auf Pflichtteilsansprüche des Hilfeempfängers kann bei kluger Testamentsgestaltung vermieden werden: Durch Anordnung von Testamentsvollstreckung und Nacherbfolge wird der Nachlass zum gläubigergeschützten Sondervermögen. Daraus resultierende Ausschlagungsrechte nach § 2306, 2307 BGB sind nach derzeitiger Rechtsprechung nicht überleitbar.
8. Kettenschenkung: Zu den Rückgriffsmöglichkeiten des Sozialhilfeträgers bei der Kettenschenkung ist die Rechtsprechung uneinheitlich. Von Kettenschenkung spricht man, wenn Eltern Immobilienbesitz auf ihr Kind übertragen und dieses Kind im Wege einer ehebezogenen Zuwendung den Grundbesitz auf seinen Ehegatten weiter überträgt. Die Eltern verarmen. Der Sozialhilfeträger muss Leistungen erbringen. Zu den Ansprüchen, auf die der Sozialhilfeträger über § 93 SGB XII zugreifen kann, zählt vor allem die Rückforderungsmöglichkeit des Schenkers im Fall seiner Verarmung, § 528 BGB. Bei der Kettenschenkung richtet sich dieser Anspruch zwar primär gegen das eigene Kind, das sich aufgrund der Weitergabe an seinen Ehegatten auf Entreicherung berufen kann, § 818 Abs. 3 BGB. Durch die Rechtsfolgenverweisung auf das Bereicherungsrecht gewährt § 528 BGB dem Sozialhilfeträger über § 822 BGB jedoch die Möglichkeit, das Schwiegerkind in gleicher Weise in Anspruch zu nehmen, wie wenn es die Zuwendung rechtsgrundlos unmittelbar von den Eltern erhalten hätte (BGH NJW 89, 1478; a.A. OLG Düsseldorf FamRZ 84, 887).
Ein Ehepaar hatte einer Bekannten ein Sparguthaben geschenkt. Die Beschenkte kaufte davon für ihren Sohn ein Auto. Ein Jahr später wurde die Schenkerin pflegebedürftig. Für einen Teil der Heimpflegekosten kam die Sozialhilfe auf. Der Sozialhilfeträger leitete Rückgewähransprüche der Eheleute gegen den Sohn der Bekannten auf sich über. Der BGH entschied: Ist die Pflicht des Beschenkten zur Herausgabe des Geschenks ausgeschlossen, weil er damit eine Sache erworben und diese unentgeltlich einem Dritten zugewendet hat, haftet der Dritte nicht auf Herausgabe dieser Sache. Vielmehr haftet der Dritte auf Wertersatz, kann sich jedoch durch Herausgabe der Sache befreien (DNotI-Report 04, 91).
9. Pflichtteilsklausel: Der BGH hat entschieden, dass eine Pflichtteilsklausel in Form einer Verwirkungsklausel den Sozialhilfeträger nicht an der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs hindert. Im gemeinschaftlichen Ehetestament hieß es: „Der überlebende Ehegatte von uns soll Vollerbe sein, sodass er über den gesamten Nachlass und sein Eigenvermögen frei verfügen kann. Sollte ein Kind bereits Pflichtteilsrechte nach dem Tod des ersten Elternteils geltend machen, verliert es beim Tod des längerlebenden Elternteils seinen testamentarisch festgelegten Anspruch.“ Der BGH stellt fest, dass derartige isolierte oder reine Pflichtteilssanktionsklauseln üblich sind, und dass sie auch für noch zu errichtende letztwillige Verfügungen Wirkungen entfalten können (ZEV 06, 76).
10. Sozialrechtliche Haftung der Erben eines Sozialhilfeempfängers: Diese sowie die Erben seines vorverstorbenen Ehegatten oder Lebensgefährten haften bis zur Höhe des Nachlasses zum Zeitpunkt des Todes für die Sozialhilfeaufwendungen der vergangenen zehn Jahre. Dies galt bereits unter der alten Rechtslage aus § 92c Abs. 1und 2 BSHG und jetzt nach dem § 102 SGB XII (Sächsisches OVG, ZEV 06, 470). Die Erblasserin hatte dem arbeitslosen Beklagten Vermögenswerte von gut 37.000 DM hinterlassen. Vor ihrem Tod hatte sie Sozialhilfeleistungen von rund 59.000 DM erhalten. Der Beklagte wurde zur Zahlung von ca. 33.000 DM, der dem Wert des nach Abzug eines Freibetrages verbleibenden Nachlasses entsprach, verurteilt. Es ergebe sich keine unbillige Härte, weil er das ererbte Vermögen bereits verbraucht habe.
11. Maßgeblicher Zeitpunkt der Ermittlung der Einkommens- und Vermögenslage des Schenkers: Wird einem i.S. von § 528 Abs. 1 S. 1 BGB bedürftigen Schenker Sozialhilfe gewährt und der Rückforderungsanspruch gegen den Beschenkten von dem Träger der Sozialhilfe übergeleitet, gilt Folgendes: Für die Einstandspflicht des verschenkten Vermögens ist die Einkommens- und Vermögenslage des Schenkers im Zeitpunkt der zur Bewilligung der hilfeführenden Beantragung von Sozialhilfe maßgeblich, nicht dagegen die Einkommens- und Vermögenslage des Schenkers im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung über den übergeleiteten Anspruch (BGH NJW 03, 2449).
12. Gegenseitige Erbeinsetzung: Bei gegenseitiger Erbeinsetzung von Ehegatten kann der Träger der Sozialhilfe nach dem Tod des Erstversterbenden nach erfolgter Überleitung Pflichtteilsansprüche eines behinderten Kindes unabhängig von dessen eigener Entscheidung geltend machen (OLG Karlsruhe DNotI-Report 04, 37; OLG Frankfurt DNotI-Report 04, 38). Enthält allerdings die letztwillige Verfügung eine sog. Pflichtteilsstrafklausel, ist der Sozialhilfeträger nicht berechtigt, anstelle des Pflichtteilsberechtigten über die Geltendmachung des Pflichtteils zu entscheiden. Denn dies käme einer unzulässigen Überleitung des Rechts zur Erbschaftsausschlagung gleich.
13. Pflege und Versorgung: Diese kann nach OLG Oldenburg nicht als Gegenleistung gemäß § 516 BGB für die im Wege der vorweggenommenen Erbfolge vorgenommene Übertragung eines Hausgrundstücks angesehen werden, wenn die Übereinkunft nicht in die notarielle Urkunde aufgenommen wurde (ZEV 99, 31). Die Abrede zur Pflege beruhe vielmehr ersichtlich auf einer familienrechtlichen Pflicht zur gegenseitigen Unterstützung.
14. Überleitung eines Wohnungsrechts und ersparte Aufwendungen für Wartung und Pflege: Der Sozialhilfeträger kann die von der Übernehmerin infolge der Heimaufnahme ihrer Mutter ersparten Aufwendungen für Wartung und Pflege verlangen OLG Düsseldorf (DNotI-Report 05, 149). Gemäß dem Notarvertrag musste die Beklagte den Eltern auf deren Wunsch hin liebevolle Wartung und Pflege in gesunden und kranken Tagen gewähren. Nach Ansicht des Gerichts beinhaltet dies mangels näherer Definition keine 24 Stunden dauernde Rundum-Versorgung. Vielmehr sollte die Beklagte den Eltern diejenige Aufmerksamkeit zukommen lassen, wie es einer Tochter unter Berücksichtigung ihrer Pflichten gegenüber ihrer eigenen Familie und ihrer berechtigten eigenen Lebensführungsinteressen zumutbar ist. Hierbei ging das OLG Düsseldorf vom durchschnittlichen Aufwand in Höhe der Pflegestufe I aus. Das ist ein Zeitaufwand im Tagesdurchschnitt von mindestens 90 Minuten.
Auch hinsichtlich des Wohnungsrechts bejahte das OLG Düsseldorf einen Anspruch auf Erstattung der tatsächlich ersparten Aufwendung. Im konkreten Fall waren diese jedoch minimal, da die wohnungsberechtigte Mutter lediglich ein Zimmer in dem übergebenen Haus genutzt hatte.
15. Elternunterhalt: Auch im Rahmen des Elternunterhalts muss der Unterhaltsschuldner grundsätzlich den Stamm seines Vermögens einsetzen. Hierbei braucht er seinen eigenen angemessenen Unterhalt einschließlich einer angemessenen Altersvorsorge nicht zu gefährden. Dem Unterhaltsschuldner steht es grundsätzlich frei, in welcher Weise er neben der gesetzlichen Rentenversicherung Vorsorge für sein Alter trifft. Sichert er den Fortbestand seiner gegenwärtigen Lebensverhältnisse durch Sparvermögen oder ähnliche Kapitalanlagen, muss ihm davon jedenfalls der Betrag verbleiben, der sich aus der Anlage der ihm unterhaltsrechtlich zuzubilligenden zusätzlichen Altersvorsorge (bis zu 5 Prozent des Bruttoeinkommens beim Elternunterhalt) bis zum Renteneintritt ergäbe (BGH DNotI-Report 06, 168; FamRZ 03, 860; 04, 792; 1184).
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Quelle: Ausgabe 08 / 2008 | Seite 130 | ID 120877