03.12.2010 | Testament
Rechtsprechungsübersicht zur Auslegung, ob eine Verfügung wechselbezüglich ist
von RiLG Dr. Andreas Möller, Bochum
Es lassen sich kaum allgemeine Grundsätze für die Auslegung aufstellen, ob eine Verfügung wechselbezüglich i.S. von § 2270 BGB ist. Die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB ist dabei erst anzuwenden, wenn die Frage der Wechselbezüglichkeit aufgrund der individuellen Auslegung nicht beantwortet werden kann. Entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls. Anhaltspunkte für die Auslegung können aber die bereits entschiedenen Fälle geben (vgl. auch J. Mayer in Reimann/Bengel/Mayer, ABC der Wechselbezüglichkeit, 5. Aufl., S. 769). Dazu eine Rechtsprechungsübersicht:
Übersicht: Rechtsprechung zur Wechselbezüglichkeit von Verfügungen (§ 2270 BGB) |
Setzen Eheleute durch ein gemeinschaftliches Testament einander gegenseitig zu alleinigen Erben ein und bestimmen sie, dass nach ihrem Tod der Neffe der Ehefrau und dessen Familie „unser Vermögen erben“ soll, ist für die Frage ob der überlebende Ehegatte dadurch gehindert ist, anderweit zu testieren, Folgendes zu prüfen: Einerseits ist zu untersuchen, ob die Schlusserbeneinsetzung durch den überlebenden Ehegatten wechselbezüglich zur Einsetzung seiner Person als Erbe nach seinem vorverstorbenen Ehegatten sein sollte. Andererseits muss geprüft werden, ob die Schlusserbeneinsetzung durch den einen Ehegatten in Wechselbezug zur Einsetzung der Schlusserben durch den anderen Ehegatten steht (OLG Düsseldorf FamRZ 08, 307). Der fehlende Hinweis auf Abkömmlinge des Schlusserben im Testament kann als Indiz dafür genommen werden, dass die Ehegatten die Bindungswirkung an die Schlusserbeneinsetzung nicht auch auf deren Abkömmlinge erstrecken wollten (BayObLG FamRZ 99, 1388).
Die notarielle Belehrungspflicht gem. § 17 BeurkG kann die Möglichkeit, dass der vom Notar formulierte Wortlaut den Willen der testierenden Ehegatten nur unpräzise erfasst, nicht ausschließen. Dies gilt sowohl für die Trennungs- als auch für die Einheitslösung gem. § 2269 BGB (OLG Hamm FamRZ 05, 1592). Aus der Tatsache, dass keine Klarstellung zur Wechselbezüglichkeit aufgenommen wurde, kann auch bei einem notariellen Testament nicht gefolgert werden, dass eine solche nicht gewollt ist (BayObLG FamRZ 99, 1388).
Aus einer Freistellungsklausel können keine allgemeinen Schlussfolgerungen gezogen werden. Es ist denkbar, dass die testierenden Ehegatten auch, wenn sie einander für die Zeit nach dem Tod des einen von ihnen freie Hand lassen wollen, für die Zeit vorher darauf Wert legen, von einer Testamentsänderung des anderen unterrichtet zu werden. In diesem Fall ist trotz der Freistellung für später die Wechselbezüglichkeit zu bejahen. Ebenso gut ist aber auch Folgendes möglich: Einer Freistellungsklausel liegt der Wille der Ehegatten zugrunde, ihre gleichzeitig getroffenen Verfügungen von Todes wegen von vornherein nicht voneinander abhängig zu machen (vgl. § 2270 BGB). Sie bringen dies nur deshalb für die Zeit nach dem Tod des Erstversterbenden zum Ausdruck, weil für die Zeit vorher eine Bindung ohnehin nach dem Gesetz (§ 2271 Abs. 1 BGB) nicht in Betracht kommt (OLG Zweibrücken FamRZ 04, 984).
Es ist anerkannt, dass gleich lautende Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament, mögen sie gegenseitige Zuwendungen der Erblasser enthalten oder zugunsten desselben Dritten getroffen sein, für ihre Wechselbezüglichkeit sprechen (OLG Hamm FamRZ 94, 1210).
Die Tatsache, dass die Verfügungen nicht gleichlautend formuliert sind, kann aber auch ein Indiz gegen die Wechselbezüglichkeit sein. So hat das OLG Zweibrücken die Wechselbezüglichkeit verneint (Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit [FGPrax] 03, 274). Hierbei hat es sich aber ferner auf weitere Indizien gestützt, die gegen die Wechselbezüglichkeit sprechen, dass das Testament zugunsten des Überlebenden eine Freistellungsklausel enthielt und der Erstversterbende zu Lebzeiten in Kenntnis des Widerrufs der von dem überlebenden Ehegatten getroffenen Verfügungen davon ausging, dass seine testamentarischen Anordnungen noch Gültigkeit hatten.
Selbst bei gegenseitiger Erbeinsetzung der Ehegatten und Schlusserbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder ist regelmäßig anzunehmen, dass jeder Ehegatte die Kinder wegen des Verwandtschaftsverhältnisses bedenkt und nicht weil der andere dies auch tut (BayObLG FamRZ 86, 392; 96, 1040). Anders kann es liegen im Verhältnis zwischen einer dieser Schlusserbeinsetzungen einerseits und der Einsetzung des jeweils anderen Ehegatten als einzigem Erben unter Ausschluss des gemeinsamen Kindes beim Tod des zuerst versterbenden Ehegatten andererseits (BGH NJW 02, 1126).
Es gibt eine allgemeine Lebenserfahrung, dass, wenn Eheleute Verwandte nur des einen Teils als Schlusserben einsetzen, der Vorversterbende dem Überlebenden im Regelfall das Recht belassen will, die Verfügung der Schlusserbeinsetzung seiner eigenen Verwandten zu ändern (BayObLG Rpfleger 85, 445, 446; KG OLGZ 93, 398; OLG Hamm FamRZ 10, 1201). Auch die Schlusserbeneinsetzung einer gemeinnützigen oder karitativen Organisation ist regelmäßig nicht bindend (BayObLG FamRZ 86, 604).
Sofern ein bestimmter Nachlassgegenstand ausdrücklich nicht dem Nachlassvermögen der gegenseitigen Erbeinsetzung und der gemeinsam verfügten Schlusserbeneinsetzung unterliegen soll, kann dies ein Indiz dafür sein, dass hinsichtlich des übrigen Vermögens eine Bindung gewollt ist (OLG München FamRZ 08, 728).
Ergibt sich, dass die Schlusserbeneinsetzung im gemeinschaftlichen Testament von Eheleuten nur für den Fall des gemeinsamen Versterbens gewollt ist, ergibt sich daraus, dass dem überlebenden Ehegatten die Testierfreiheit erhalten bleiben soll. In einem solchen Fall kann die für den Fall des Nacheinanderversterbens fehlende Schlusserbeneinsetzung nicht durch ergänzende Auslegung ersetzt werden (KG FamRZ 06, 511). Treffen Eheleute in einem gemeinschaftlichen Testament aber Anordnungen für den Fall, „dass beide Eheleute sterben“, kann dies auch dahin auszulegen sein, dass die Eheleute Vorsorge auch für den Tod des Längstlebenden, und nicht nur für den Fall ihres gleichzeitigen Versterbens haben treffen wollen (OLG Köln FamRZ 96, 310).
Haben in Gütergemeinschaft lebende Eheleute in einem gemeinschaftlichen Testament ihren einzigen männlichen Abkömmling zum Hoferben eingesetzt und die weiblichen Abkömmlinge von der Erbfolge ausgeschlossen, spricht dies für eine Wechselbezüglichkeit der getroffenen Verfügung. Wenn sie die Zielsetzung ihres gemeinschaftlichen Testaments, die Fortführung des landwirtschaftlichen Anwesens durch den einzigen männlichen Abkömmling, durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erreicht haben, kann im Wege der ergänzenden Auslegung angenommen werden, dass sich die Eheleute über die Sicherstellung der Hofnachfolge hinaus nicht gegenseitig in ihrer Testierfreiheit beschränken wollten (BayObLG FamRZ 04, 1233).
Enthält das gemeinschaftliche Testament der Ehegatten, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben und ihre Kinder als Schlusserben einsetzen, eine Bestimmung, der zufolge der überlebende Ehegatte das vorhandene Vermögen für seine Versorgung und Pflege im Alter verwenden darf und die Kinder nur erben, „wenn was nachbleibt“, ist das Testament dahingehend auszulegen, dass die Schlusserbeneinsetzung nicht wechselbezüglich erfolgt ist, sondern der Letztversterbende völlige Testierfreiheit für den gesamten Nachlass haben soll (OLG Hamm FamRZ 07, 678).
Der Umstand, dass eine Zuwendung hinter der gesetzlichen Erbfolge zurückbleibt, kann gegen die Wechselbezüglichkeit sprechen (BayObLG FamRZ 93, 1370). Das Gleiche gilt, wenn durch die Schlusserbeneinsetzung primär die gesetzliche Erbfolge verhindert werden sollte und weniger die sachgerechte Verteilung des Vermögens auf die Familienstämme im Vordergrund steht (BayObLG FamRZ 05, 1931).
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Weiterführender Hinweis
- EE 10, 181, zur Annahme der Wechselbezüglichkeit bei Auslegung des Erblasserwillens
Quelle: Ausgabe 12 / 2010 | Seite 203 | ID 140562