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  • 03.03.2008 | Vermächtnis

    Ist der Vermächtnisanspruch bei Änderung der Verhältnisse gefährdet?

    von RA Ernst Sarres, FA Familienrecht, Düsseldorf

    In der Praxis treten Probleme auf, wenn sich nach dem Erbfall die tatsächlichen Verhältnisse, die der Vermächtnisanordnung des Erblassers zugrunde lagen, ändern. Der Beitrag zeigt, wie der Erbe darauf reagieren kann.  

     

    Der Fall in Anlehnung an BGH (NJW 93, 850)

    Gemäß Erbvertrag vom 24.11.58 hatte Erblasser E seinen Stiefsohn S zum Alleinerben eingesetzt, der dessen Modegeschäft weiterführen sollte. E ordnete zugunsten seiner Ehefrau F ein Vermächtnis an, das ihr ein Wohnrecht im Haus, freie Verpflegung und eine wöchentliche Leibrente in bestimmter Höhe, gewährte. Im Gegenzug sollte F im Modegeschäft und im Haushalt von S bestimmte Dienstleistungen erbringen. Gemäß Testament sollte sich die Leibrente auch bei „Arbeitsverweigerung“ der F nur auf 2/3 reduzieren. F beendete ihre lebzeitig begonnene Mitarbeit im Haushalt bereits im Jahr 1961, ihre betriebliche Mithilfe im Jahre 1971. E verstarb 1961. Als S das Modegeschäft 1986 verkaufte, stoppte er die zuvor gekürzten Leibrentenzahlungen an F vollständig. Zu Recht?  

     

    Lösung: Die Regeln, die bei Fehlen oder Wegfall der Geschäftsgrundlage (jetzt Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB) eingreifen, sind entwickelt worden, um auf der Ebene des Schuldrechts bei Verträgen mit gegenseitigem Leistungsaustausch die Folgen schwerwiegender Störungen der Vertragsgrundlagen in den Grenzen des Zumutbaren halten zu können. Darum geht es beim Vermächtnis nicht. Beim Vermächtnis handelt es sich nicht um einen gegenseitigen Leistungsaustausch auf der Ebene des Schuldrechts, sondern um eine unentgeltliche Leistung erbrechtlicher Natur. Ein Vermächtnis muss dementsprechend grundsätzlich bis zur völligen Ausschöpfung des Nachlasses (§§ 1990 ff. BGB) erfüllt werden. Grund: Der Erbe unterliegt, wenn er die Erbschaft annimmt, damit dem Willen des Erblassers. Diese Pflicht des Erben, das Vermächtnis zu erfüllen, beruht nicht auf der Zustimmung zum Erbvertrag, sondern auf den erbrechtlichen Verfügungen des Erblassers in einer letztwilligen Verfügung und auf dem Umstand, dass der Erbe die Erbschaft nicht ausgeschlagen hat. Ändern sich tatsächliche Umstände nachträglich, kann dem nur mit einer ergänzenden Vertragsauslegung Rechnung getragen werden, um das Vermächtnis an die neuen Verhältnisse anzupassen.  

     

    Dieser Weg ist im vorliegenden Fall ausgeschlossen, weil der Erbvertrag auch den Fall regelt, dass die Ehefrau ihre Mitarbeit grundlos verweigerte. Für diese Situation konnte sie die Rente sogar noch zu zwei Dritteln behalten. Daher liegt es fern, eine ergänzende Vertragsauslegung dahingehend vorzunehmen, dass die Rente nur deshalb gekürzt bzw. aufgehoben werden soll, weil der Alleinerbe seinen Betrieb aufgegeben und veräußert habe. Denn die Ehefrau sollte auch für diesen Fall der „Unmöglichkeit“ der Erbringung von Leistungen eine Quote von 2/3 der Leibrente beanspruchen können. Demzufolge war die Zahlungseinstellung durch S nicht rechtmäßig.  

     

    Praxishinweis: Die einzelnen Bedingungen für einen Vermächtnisanspruch, seinen Leistungsbeginn und -höhe und die Beendigung von Zahlungen sollten in der Vermächtnisanordnung dezidiert auch für erkennbare Ausnahmefälle geregelt werden. Denn die Änderung der Verhältnisse allein kann den Vermächtnisanspruch grundsätzlich nicht beeinflussen. Hier hat im Zweifel der Erblasserwille Vorrang. Die Praxis arbeitet insoweit z.B. mit Höchst- und Mindestbeteiligungen des Vermächtnisnehmers.  

     

    Musterformulierung: Meine Tochter T, die mich gepflegt hat, erhält nach meinem Tod ein Vermächtnis in Höhe von 6 % des beim Erbfall errechneten Nettonachlasses (= Nettonachlasswert, nach dem auch der Pflichtteilsanspruch [§ 2311 BGB] ermittelt wird), maximal 5.500 EUR. Sollte sich beim Erbfall kein Grundbesitz mehr in meinem Nachlass befinden, entfällt das Vermächtnis für T vollständig.  

     

     

    Quelle: Ausgabe 03 / 2008 | Seite 51 | ID 117915