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  • 01.05.2006 | Vor- und Nacherbschaft

    Befreiung des Vorerben

    von Ri Andreas Möller, Bochum
    1. Zu den Voraussetzungen einer nicht ausdrücklich angeordneten Befreiung des Vorerben.  
    2. Die Einsetzung zum Alleinerben reicht für sich allein nicht aus, um eine Befreiung des Vorerben anzudeuten.  
    (OLG Karlsruhe 10.8.05, 14 Wx 2/05, OLGR 06, 97, Abruf-Nr. 060867)  

     

    Sachverhalt

    Die Erblasserin ist ledig und kinderlos verstorben. Als Verwandte sind nur ihre Schwester (Beteiligte zu 1) und zwei Neffen bekannt. Die Erblasserin hat zwei Testamente hinterlassen. Im ersten Testament setzte sie ihre Schwester als Alleinerbin ein. Das zweite Testament hat sie als Zusatz zum ersten Testament bezeichnet. Darin hat sie die Erbeinsetzung ihrer Schwester wiederholt und ihr Eigentum nach dem Tod ihrer Schwester dem Beteiligten zu 2 vermacht sowie die Neffen vom Erbe ausgeschlossen. Zunächst beantragte die Beteiligte zu 1 die Erteilung eines Erbscheins, dass sie die Erblasserin allein beerbt und mit dem Tod der Vorerbin Nacherbfolge angeordnet worden sei. Nacherbe sei der Beteiligte zu 2. Diesen Antrag zog sie zurück und beantragte einen Erbschein, dass sie von Verfügungsbeschränkungen befreite alleinige Vorerbin der Erblasserin sei. Das Nachlassgericht hat angekündigt, diesen Erbschein zu erlassen. Die Beschwerde des Beteiligten zu 2 wies das LG zurück. Seine weitere Beschwerde führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.  

     

    Entscheidungsgründe

    Die weitere Beschwerde ist begründet. Das LG hat den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt. Beide Testamente bilden zusammen die Erklärung des Erblasserwillens. Das zweite Testament sollte das erste ergänzen, nicht aufheben. Beide Testamente sind bezüglich der Frage, ob die Beteiligte zu 1 befreite oder nicht befreite Vorerbin ist, auslegungsbedürftig. Eine ausdrückliche Anordnung ist aber nicht erforderlich. Es genügt, wenn der Befreiungswille im Testament andeutungsweise zum Ausdruck kommt (BayObLG FamRZ 05, 65). Bei einer Andeutung ist der Erblasserwille von Amts wegen unter Berücksichtigung sämtlicher auch außerhalb des Testaments liegender Umstände zu ermitteln. Die Einsetzung als „alleiniger Erbe“ reicht nicht für die Annahme aus, dass die Beteiligte zu 1 befreite Vorerbin sein sollte. Denn die Begriffe „Alleinerbe“ und „nicht befreiter Vorerbe“ gehören unterschiedlichen Kategorien an und bilden kein Gegensatzpaar. Das Gleiche gilt für den Ausschluss der Neffen vom Erbe. Zur Sachverhaltsaufklärung wäre eine persönliche Anhörung beider Beteiligten geboten gewesen, vor allem weil die Beteiligte zu 1 zunächst einen anderen Erbschein beantragt hat.  

     

    Praxishinweis

    Bei der Amtsermittlung gemäß § 12 FGG ist oft auch die Vernehmung von (früheren) Prozessbevollmächtigten erforderlich. Für eine Vernehmung ist eine Entbindung von der Schweigepflicht erforderlich, § 383 Nr. 6, § 385 Abs. 2 ZPO. Die Verweigerung der Entbindung kann als Beweisvereitelung gewertet werden (MüKo/Grunsky, BGB, 4. Aufl., § 2136 Rn. 2).